22. April 2025

Unbeantwortete Fragen an den „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“

Deutscher Soldatenfriedhof in Rschew - Foto: Ulrich Heyden
Foto: Deutscher Soldatenfriedhof in Rschew - Foto: Ulrich Heyden

Die Russland-Psychose treibt immer neue Blüten. Das letzte Gebiet, auf dem Russland und Deutschland noch zusammenarbeiten – die Pflege deutscher Soldatengräber in Russland – wird sorgsam unter einem Schleier verborgen. Millionen Gefallene von der Ostfront sollen die „Kriegsertüchtigung“ nicht stören. Ein Erfahrungsbericht von Ulrich Heyden

Am 2. April fragte ich beim Leiter des Moskauer Büros des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge, Herman Krause, ein Interview über die Arbeit dieser Organisation in Russland an. Schon einen Tag später hatte ich die Antwort von Herrn Krause: „Zu dem Interview: gerne beantworte ich die Fragen schriftlich.“

Im Rahmen meiner Recherchen zum deutschen Soldatenfriedhof in Rschew – nordwestlich von Moskau - Warum ist es so still um die großen deutschen Soldatenfriedhöfe in Russland? – Eine Spurensuche war mir aufgefallen, dass der Volksbund in Russland seit 1992 eine große Arbeit geleistet hat. Es wurden zahlreiche große Friedhöfe für deutsche Soldaten in Russland angelegt Der neue, alte Feind | Manova-Magazin.

Zudem – so scheint mir – ist die Kriegsgräberfürsorge das letzte Gebiet, auf dem Deutschland und Russland noch zusammenarbeiten. Das Thema Soldatengräber ist also in vielerlei Hinsicht wichtig. Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, was auf dem letzten Gebiet der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland genau passiert.

Ich schickte also meine Fragen an Hermann Krause und bekam am 17. April folgende Antwort, in Fettschrift.

 «Aufgrund der aktuellen schwierigen politischen Situation habe ich mich entschlossen, zum jetzigen Zeitpunkt kein Interview über die Arbeit des Volksbundes in der RF zu geben.

Für mich ist wichtig und entscheidend, dass wir unsere Arbeit in Russland fortsetzen können.

Ich bitte um Verständnis.»

Ich war baff. Ich kenne Hermann Krause als ARD-Radio-Journalist seit den 1990er Jahren von Presse-Terminen in Moskau. Er war seit 1989 mit Unterbrechungen in Moskau als WDR-Korrespondent tätig. 2019 wurde er dann Büroleiter für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. in Moskau.

Freundliche Worte im E-Mail-Verkehr

Die letzten Wochen hatte ich mit dem Kollegen Krause in freundlichem Ton per E-Mail korrespondiert. Ich hatte ihn mit „Sie“ angesprochen. Er korrigierte mich neckisch, „haben wir uns nicht immer geduzt?“

Herman Krause ist ein umgänglicher Typ. Er spricht ruhig, kann zuhören und scheint die ideale Besetzung für eine Tätigkeit in Russland. Er ist Mitglied im Vorstand des Deutsch-Russischen Forums e.V. Der Verein wurde in deutschen Medien beschuldigt, „russischen Interessen“ zu dienen. Doch das kann man Krause nicht vorwerfen. Zu politischen Fragen in Russland hat er immer den Standpunkt des deutschen Mainstreams vertreten Rotary Magazin Artikel: Titelthema - Nawalny ein "sakrales Opfer"?.

Seine plötzliche formal-kühle Interview-Absage in Fettschrift, die mich an Mahnbescheide deutscher Behörden erinnerte, machte mich sprachlos. Soviel Dreistigkeit hatte ich nicht erwartet. War seine Freundlichkeit nur ein Spiel gewesen?

Ich machte noch einen Versuch und schrieb dem Kollegen Krause, er brauche natürlich nicht alle meine Fragen beantworten. Er könne sich aus meiner Liste die Fragen aussuchen, die ihm passen. Doch mein ehemaliger Journalisten-Kollege blieb still.

Ich rätselte. Seine Antwort legte nahe, dass ein Interview mit den Nachdenkseiten, die Fortführung der Arbeit der Kriegsgräberfürsorge in Russland „gefährdet“. Das ist natürlich kompletter Unsinn. Denn die Pflege der Soldatengräber in Russland und Deutschland wurde 1992 zwischen beiden Ländern vertraglich geregelt. Ein Interview welches die Arbeit der „Volksbundes“ für Interessierte nachvollziehbar macht, kann der Arbeit des Volksbundes doch nur nützen. Gegen ein Hintergrund-Interview kann weder Russland noch Deutschland etwas haben.

Soldatenfriedhöfe in Russland rangieren an hinterer Stelle

Aber vielleicht, so ging es mir durch den Kopf, gibt es ja im Volksbund Kräfte, welche eine Zusammenarbeit mit russischen Stellen, die es auf dem Gebiet der Kriegsgräber bis heute gibt, nicht groß in der Öffentlichkeit dargestellt sehen wollen, weil das der „Kriegstüchtigkeit“ und dem sorgsam konstruierten Feindbild Russland schaden kann. Wer es noch nicht weiß: Der „Volksbund“ finanziert sich aus Spenden und staatlichen Geldern.

In der Selbstbeschreibung des Volksbundes heißt es: „Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ist eine humanitäre Organisation. Er widmet sich im Auftrag der Bundesregierung der Aufgabe, Kriegstote im Ausland zu suchen und zu bergen, sie würdig zu bestatten und ihre Gräber zu pflegen.“

Die Interview-Absage deutet darauf hin, dass der „Volksbund“ nicht daran interessiert ist, dass die Soldatenfriedhöfe mit deutschen Gefallenen aus dem Zweiten Weltkrieg in Russland zum großen Medien-Thema werden.

Dieser Eindruck verstärkte sich bei mir, nachdem ich die Website der Organisation Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. | Gemeinsam für den Frieden häufiger besuchte. Zu krass ist der Gegensatz zwischen den in Deutschland diskutierten Themen zum Zweiten Weltkrieg und dem Blickwinkel des „Volksbundes“.

Zumindest auf der Startseite der Website tauchen die Soldatengräber in Russland nicht auf. In diesen Tagen – wo in Deutschland an russischen Soldatengräbern im Beisein russischer Diplomaten dem Tag der Befreiung am 8. Mai gedacht wird - geht es auf der Startseite des Volksbund-Website um andere Gebiete, wo deutsche Soldaten ihre Stiefel hingesetzt haben. Auf der Startseite des Volksbundes wird berichtet über Gräber von deutschen Soldaten und deutschen Zivilisten in Costermano/Italien, Tényő/Ungarn und Swinemünde/Polen und El Alamein/Ägypten aber nicht um Soldatengräber in Russland. Zufall? Wohl kaum.

Was ich den Vertreter des „Volksbundes“ genau fragte

Ich hatte dem Moskauer Büroleiter des „Volksbundes“ einen Fragenkatalog geschickt. Hier einige meiner Fragen:

Wie gestaltete sich der Kontakt der deutschen Kriegsgräberfürsorge zu russischen Medien und Veteranen-Organisationen vor und nach 2014?

Nach offiziellen Angaben starben beim Feldzug Barbarossa gegen die Sowjetunion 3,5 Millionen deutsche Soldaten. Wie viele davon starben auf dem Territorium der Russischen Föderation?

Wie viele deutsche Soldaten, die am Angriff auf die Sowjetunion 1941 bis 1945 teilgenommen haben, liegen in bekannten, öffentlich zugänglichen deutschen Soldatenfriedhöfen auf dem Territorium der Russischen Föderation?

Auf den etwa sieben bekannten, großen deutschen Soldatenfriedhöfen in Russland sind nur einige Hunderttausend Soldaten bestattet. Wo liegt der Rest der deutschen Toten? Gelten sie immer noch als vermisst oder ahnt man zumindest wo die Nichtbestatteten liegen?

Wie viele Gebeine von vermissten deutschen Soldaten wurden in den letzten zehn Jahren pro Jahr gefunden?

Nachwort

Soviel steht für mich fest: Sollte der „Volksbund“ seine konstruktive und friedensstiftende Arbeit in Russland unter einem Schleier verbergen, wäre das eine Irreführung der Öffentlichkeit. Denn der Volksbund tritt in der Öffentlichkeit als politisch neutrale Organisation auf. Doch wer den Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion auf die hinteren Seiten abschiebt und Interviews über die Aktivitäten des „Volksbundes“ in Russland verweigert, kuscht vor den Kriegstreibern in Berlin.

 

P.S.: Soweit meine Zusammenfassung. Für besonders Interessierte hier noch alle meine Interview-Fragen.

Interview-Fragen an Hermann Krause, 12.04.25, Ulrich Heyden, Moskau

I.

Warum haben Sie sich entschieden, nach Jahrzehnten Tätigkeit als Radio-Korrespondent des WDR in Moskau weiter in Russland tätig zu sein, nun schon seit 2019 als Büroleiter der Deutschen Kriegsgräberfürsorge in Moskau?

Wie läuft die Arbeit der Deutschen Kriegsgräberfürsorge in der Russischen Föderation? Welche Erfolge und welche Probleme gibt es?

Wenn sie in Russland gefundene sterbliche Überreste von deutschen Soldaten auf einem der deutschen Friedhöfe beerdigen, kommen dann Verwandte aus Deutschland angereist. Wenn nein, warum nicht?

Haben Sie einen ungefähren Überblick, wie viele Deutsche im Jahr nach Russland fahren, um die Gräber ihrer in Russland begrabenen Väter und Großväter zu besuchen?

Ist die Zahl der Besucher stabil oder abnehmend?

II.

Als die Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf Grundlage des deutsch-russischen Vertrages von 1992 über die Pflege der deutschen Kriegsgräber in der Russischen Föderation aktiv wurde, gab es von einzelnen sowjetischen Kriegsveteranen – zum Beispiel in Wolgograd – Kritik, das deutsche Friedhöfe eingerichtet wurden. Wie sieht es heute aus? Gibt es in russischen Regionen aus der Bevölkerung oder von Institutionen oder Organisationen noch oder wieder Kritik an deutschen Soldatenfriedhöfen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, was wird genau kritisiert?

Kann man sagen, dass die Deutsche Kriegsgräberfürsorge, die bis heute in Russland ungehindert arbeiten und die deutschen Friedhöfe in Ordnung halten kann, das einzige Feld sind, auf dem Russland und Deutschland heute noch zusammenarbeiten?

III.

Sie waren im Januar nordwestlich von Moskau in der Stadt Rschew wo sich neben einem sowjetischen Soldatenfriedhof mit 20.000 Toten ein deutscher Soldatenfriedhof mit 42.000 Toten befindet. Aus ihrem veröffentlichten Bericht entnahm ich, dass sie sich um eine Erweiterung des deutschen Friedhofs bemühen. Wie wurden sie empfangen? Was wurden Ihnen gesagt?

Was sind die Gründe für die angefragte Erweiterung in Rschew?

Hat die deutsche Kriegsgräberfürsorge in Russland noch weitere Bauvorhaben für Friedhofserweiterungen oder neue deutsche Soldatenfriedhöfe?

IV.    

Wie gestaltete sich der Kontakt der deutschen Kriegsgräberfürsorge zu russischen Medien und Veteranen-Organisationen  vor und nach 2014?

Pflegt Ihr Moskauer Büro Kontakt zu Verbänden russischer Kriegsveteranen, russischen Journalisten und Medien?

Werden sie in Russland zu öffentlichen Veranstaltungen oder von russischen Journalisten zu Interviews eingeladen?

Organisiert ihr Büro selbst Veranstaltungen oder läuft ihre Arbeit in Russland faktisch unter Ausschluss der russischen Öffentlichkeit?

V.

Wie viele Gebeine von vermissten deutschen Soldaten wurden in den letzten zehn Jahren pro Jahr gefunden?

Ist die Tendenz steigend?

Wer sucht nach Gebeinen deutscher Soldaten?

Wird die Sucharbeit bezahlt, wenn ja von wem?

Welche Motivation gibt es für russische Suchtrupps die Fundstelle eines gefallenen deutschen Soldaten ihrem Büro zu melden?

Gibt es immer noch Suchanfragen von Angehörigen aus Deutschland nach dem Sterbeort von deutschen Soldaten?

Gab oder gibt es noch Überführungen der Gebeine gefallener deutscher Soldaten nach Deutschland?

Wie sind die Kontakte zu den Stadtverwaltungen der Städte, in denen es deutsche Soldatenfriedhöfe gibt? Spricht man nur über das Nötigste oder macht man auch Pläne für die Zukunft?     

VI.                                                                                                                             

Nach offiziellen Angaben starben beim Feldzug Barbarossa gegen die Sowjetunion 3,5 Millionen deutsche Soldaten. Wie viele davon starben auf dem Territorium der Russischen Föderation?

Wie viele deutsche Soldaten, die am Angriff auf die Sowjetunion 1941 bis 1945 teilgenommen haben, liegen in bekannten, öffentlich zugänglichen deutschen Soldatenfriedhöfen auf dem Territorium der Russischen Föderation?

Auf den etwa sieben bekannten, großen deutschen Soldatenfriedhöfen in Russland nur einige Hunderttausend Soldaten bestattet. Wo liegt der Rest der deutschen Toten? Gelten sie immer noch als vermisst oder ahnt man zumindest wo die Nichtbestatteten liegen?

Wird man sie nicht mehr oder nur noch mit größter Mühe finden?

Deutsche Soldaten und deutsche Kriegsgefangene wurden in der Sowjetunion bestattet auf Soldatenfriedhöfen, die von Wehrmachts-Einheiten, von der Sowjetunion oder ab 1992 von der deutschen Kriegsgräberfürsorge eingerichtet wurden? Gibt es noch weitere Gräberkategorien?

Nach Berechnungen russischer Historiker starben 443.000 deutsche Soldaten in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft. Ist diese Zahl korrekt?

Warum sind die deutschen Soldatengräber in Russland auf der Website der Kriegsgräberfürsorge nicht gleich auf der Startseite mit einem Menüpunkt ansteuerbar? Ich musste erst lange suchen, bis man eine Übersicht der Friedhöfe in Russland findet. Man hat den Eindruck die russischen Gräber sollen dem Besucher auf der Startseite nicht so ins Auge fallen.

Wie groß ist das Interesse der deutschen Öffentlichkeit an den deutschen Kriegsgräbern in Russland heute, im Vergleich zu der Zeit vor 2014, als sich die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland verhärteten?

VII.

2018 wurden vom deutschen Auswärtigen Amt 500.000 Euro für die Erweiterung eines Gedenkkomplexes zum ehemaligen Vernichtungslager Maly Trostinez bei Minsk bewilligt. Weitere 500.000 Euro kamen von der Deutschen Kriegsgräberfürsorge und weiteren Spendern. (Belarus: Steinmeier eröffnet KZ-Gedenkstätte in Maly Trostinez | MDR.DE)

Inwieweit wurde das von der Kriegsgräberfürsorge bereitgestellte Geld für Maly Trostinez verbaut?

Warum stellte die Kriegsgräberfürsorge Geld für diesen Gedenkort zur Verfügung? Wurden dort auch deutsche Soldaten beerdigt?

VIII.

Besorgen sie die Spannungen zwischen Russland und Deutschland? Sehen sie einen Ausweg?

Werden sie im Rahmen des Tages der Befreiung am 8. Mai in Deutschland auf Veranstaltungen auftreten?

Nehmen sie in Deutschland an Friedensdemonstration teil, auf denen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine demonstriert wird? Wenn nein, warum nicht?

Sie gingen Ende der 1990er Jahre als Journalist nach Moskau. Wenn Sie heute nochmal jung wären, würden Sie wieder als Korrespondent nach Russland gehen? Wenn ja, warum?

 

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