Die Ermittlungen im Entführungsfall zogen sich über sechs Jahre hin und endeten mit einem Fiasko. Am 31. Mai 2021 entschied das Berufungsgericht von Odessa, die Entführung des Abgeordneten Scherbitsch nicht zu bestrafen, weil die Tat verjährt sei.
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Das Einzige, wofür das Berufungsgericht den jungen Rechtsradikalen bestrafen wollte, war Waffenbesitz. Statt der dafür vorgesehenen Strafe von drei Jahren Freiheitsentzug bekam Sternenko für den Waffenbesitz nur eine Bewährungsstrafe von einem Jahr. Der Rechtsradikale muss jedoch weiterhin im Hausarrest bleiben.
Es ist ein sehr sanfter Hausarrest, denn Sternenko wurde das Internet nicht abgeschaltet. So kann der Rechtsextremist von zuhause aus einen Video-Kanal betreiben, in dem er gegen russland-freundliche Politiker und Bürger in der Ukraine hetzt. Der Video-Kanal hat 277.000 Abonnenten.
Auf Druck der Straße wird Haftstrafe in Hausarrest umgewandelt
Am 23. Februar 2021 gab es einen Lichtblick. Das Primorsk-Gericht in Odessa verurteilte Sternenko wegen der gewaltsamen Entführung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren.
Die Antwort des nationalistischen Mobs folgte prompt. Vor dem Gericht in Odessa randalierten Sternenko-Anhänger. Und in Kiew demonstrierten 1.500 Nationalisten gegen die Verurteilung des Rechtsradikalen. Die Demonstranten in Kiew beschmierten den Amtssitz des ukrainischen Präsidenten mit Parolen. Auch ein Hakenkreuz wurde auf die Fassade des Präsidentensitzes gesprüht. Das Hakenkreuz, so hieß es später von Seiten des ukrainischen Innenministeriums, hätten „russische Provokateure“ angebracht.
Zehn Demonstranten, die Waffen dabeihatten, wurden wegen „Hooliganismus“ festgenommen und bekamen Hausarrest.
Der Aufmarsch der Ultranationalisten und Rechtsradikalen in Kiew verfehlte seine Wirkung nicht. Sternenko wurde aus dem Untersuchungsgefängnis in den Hausarrest entlassen. Auch die Botschaft der USA in Kiew hatte sich offiziell für den „Patrioten“ Sternenko eingesetzt.
Die Sympathie für Sternenko reicht bis ins liberale Kiewer Spektrum. Das berichtete der Kiew-Korrespondent der „taz“:
„Auf Ablehnung trifft das Urteil auch von einer Seite, von der man es nicht erwartet hätte. Olena Hanich, Programmdirektorin der Gay Alliance, hat in ihrer Arbeit mit Mitgliedern der LGTB-Community viel Gewalt von Rechtsradikalen gegen Angehörige sexueller Minderheiten erfahren. Und diese Gewalt habe unter den Bedingungen von Corona noch zugenommen, sagte sie der taz. Sternenko habe die LGBT-Community immer abgelehnt, so Hanich, die selbst aus Odessa stammt. ´Trotzdem sehe ich in dem Urteil gegen Sternenko eine Bedrohung von Aktivisten. Heute trifft es einen Aktivisten, morgen können andere an der Reihe sein´ so Hanich. ´Mir macht dieses Urteil Angst´.“
Wie man einen Rechtsradikalen als „Aktivisten“ bezeichnen kann, ist merkwürdig. Offenbar zeichnet einen „Aktivisten“ in der Ukraine aus, dass er gegen „russischen Einfluss“ kämpft. Mit welchen Mitteln er das macht, spielt da nur eine untergeordnete Rolle.
Mordfall bis heute nicht bestraft
Gegen Sternenko läuft noch ein Strafverfahren wegen dem am 24. Mai 2018 verübten Mord an Iwan Kusnezow, den Sternenko mit einem Messerstich in den Rücken tötete. Sternenko behauptet, Kusnezow habe ihn auf der Straße überfallen und er habe sich wehren müssen.
Wegen des Mordes saß Sternenko bis Januar 2021 im Hausarrest. Doch Ende Januar 2021 wurde Sternenko aus dem Hausarrest entlassen, weil ein Abgeordneter der Partei Golos (Stimme) die Bürgschaft für Sternenko übernommen hatte.
Die Partei Golos wurde 2019 von dem aus der Westukraine stammenden sehr populären Rocksänger Swjatoslaw Wakartschuk gegründet und vertritt – ähnlich wie die Parteien von Präsident Selenski und Ex-Präsident Poroschenko – nationalistische Standpunkte.
Was machte Sergej Sternenko seit 2014?
Die Liste von Gewalttaten, an denen sich Sternenko beteiligte, ist lang. Nach ukrainischen Berichten im Internet war Sternenko beteiligt am Brand-Überfall auf das Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014. Außerdem beteiligte sich der Extremist an Aktionen gegen Musiker und Schauspieler aus Russland, denen man vorwarf, sie seien schon mal auf der Krim aufgetreten. 2014 und 2017 wurden in Odessa Auftritte der russischen Sängerin Anna Lorak und des russischen Regisseurs Konstantin Raikin „gesprengt“.
Im Mai 2021 verkündete Sternenko, wer ihm den Aufenthaltsort des russischen Rappers „Basta“ mitteile, der auf Tournee in Kiew weilte, bekomme 1.000 Dollar.
Im Februar 2021 veröffentlichte Sternenko eine Liste von 177 Journalisten, die für drei russland-freundliche Fernsehkanäle – Newsone, 112 und Zik – arbeiteten. Präsident Selenski hatte die Kanäle wegen russland-freundlicher Berichterstattung im Februar 2021 schließen lassen. Mit der Veröffentlichung der Mitarbeiterliste der geschlossenen Fernsehsender wollte Sternenko erreichen, dass die arbeitslos gewordenen Journalisten nicht in anderen Medien unterkommen.
Rechtsradikale in den Machtorganen
In Deutschland wurde von großen Medien und Politikern in den letzten sieben Jahren immer wieder erklärt, dass es wohl Rechtsradikale in der Ukraine gäbe, aber Einfluss auf das Parlament und die Regierung hätten sie nicht.
Tatsache ist, dass Rechtsradikale bis heute in der Ukraine höchste Ämter haben. Der ehemalige stellvertretende Leiter des rechtsradikalen Bataillons Asow, Wadim Trojan, ist heute stellvertretender Innenminister.
Der Kommandeur eines Zuges des „Freiwilligen ukrainischen Korpus – Rechter Sektor“, Andrej Scharaskin, wurde 2019 als Kandidat der Partei Golos (Stimme) in die Rada gewählt. Der Fall Sternenko zeigt, wie eng die Machtorgane und die Rechtsradikalen in der Ukraine verschmolzen sind. Der ukrainische Geheimdienst SBU und die ukrainischen Medien decken den rechten Straßen-Mob.
Dass in den deutschen Medien über Sergej Sternenko, einen der bekanntesten ukrainischen Rechtsradikalen, bis auf die „taz“ nicht berichtet wird, spricht Bände über die immer wieder vorgetragene Absicht deutscher Politiker, die Ukraine nach Europa zu führen. Offenbar ist das, was sich deutsche Politiker für die Ukraine wünschen, weniger eine Demokratisierung, sondern der Aufbau eines aggressiven Vorpostens gegen Russland.
veröffentlicht in: Nachdenkseiten