13. November 2010

„Unverantwortlich und zynisch“

Müllexport. Deutschland will 18 Container mit radioaktiven Abfällen aus dem Forschungsreaktor Rossendorf bei Dresden nach Russland transportieren.

Die abgebrannten Brennstäbe aus Rossendorf lagern seit 2005 im nordrhein-westfälischen Ahaus. Bis Ende des Jahres sollen die atomaren Abfälle mit drei Schiffsladungen über die Ostsee nach Murmansk und von dort weiter per Eisenbahn zur Wiederaufbereitungsanlage Majak im Südural gebracht werden. So will es die Bundesregierung.

Es geht um 18 Container mit 951 abgebrannten Kernbrennstäben. Das Vorhaben basiert auf einer Vereinbarung zwischen den USA und Russland, das die Rückführung aller in der Sowjetunion produzierten Kernbrennstoffe nach Russland vorsieht. Das soll die Weiterverbreitung atomarer Stoffen verhindern.

Doch russische Ökologen kritisieren das Vorhaben als „unverantwortlich und zynisch“. In einer Erklärung der Umweltorganisation Ekosaschita heißt es, „jedes Land, welches atomare Abfälle hergestellt hat, soll diese selbstständig unschädlich machen und die Verantwortung nicht auf andere Länder abwälzen.“
Nach Meinung der russischen Ökologen ist das Chemiekombinat Majak, wo es eine Wiederaufbereitungsanlage und zwei Atomreaktoren gibt, nicht geeignet für eine sichere Wiederaufbereitung und Lagerung der Abfälle. Das 1945 bis 1948 errichtete Chemiekombinat hat bereits riesige Umweltschäden angerichtet, weil insbesondere in den 1950er-Jahren große Mengen radioaktiver Abwässer in den Tetscha-Fluss und den Karatschai-See geleitet wurden.Nach Meinung von Wladimir Slivjak, dem Sprecher der Umweltorganisation Ekosaschita, werden bis heute radioaktive Abwässer in den Fluss abgeleitet. Internationale Experten und Umweltschützer hätten keinen Zugang zu der Anlage, erklärt Slivjak, da das Chemiekombinat als militärische Anlage streng abgeschirmt werde.
Nach Angaben von russischen Ökologen leben heute immer noch Tausende von Menschen in der Region auf radioaktiv verseuchten Flächen. Viele der Anwohner leiden an den Folgekrankheiten der Radioaktivität, wie Leukämie. Weder die russische Regierung noch die russische Atombehörde Rosatom kümmerten sich um diese Menschen, so der Vorwurf der Umweltschützer.
Die 2005 begonnene Umsiedlung des radioaktiv verseuchten Dorfs Musljumow wurde abgebrochen. In dem Dorf leben immer noch etwa 300 Menschen. Die anderen Dörfer, die am verseuchten Fluss Tetscha lägen, interessierten Rosatom nicht, schreibt Ekosaschita in seiner Erklärung. In diesem Jahr zogen 23 Dorfbewohner zusammen mit der Umweltorganisation vor Gericht. Bis heute läuft die Klage gegen die russischen Behörden, die nicht in der Lage sind, für die Sicherheit der Bewohner zu sorgen. Die Kläger fordern von den Behörden, über dem Fluss Tetscha auf einer Länge von 243 Kilometern einen Betonsarkophag zu bauen.
Das Chemiekombinat Majak im Ural war die erste industrielle Anlage zur Herstellung von spaltbarem Material der Sowjetunion. Zwischen 1948 und 1987 wurden in dem Kombinat zehn Atomreaktoren in Betrieb genommen. Davon wurden 1991 acht stillgelegt. Auf dem Gelände der Anlage befindet sich noch eine Wiederaufbereitungsanlage und ein Lager für radioaktive Abfälle. 2003 arbeiteten in dem Chemiekombinat 14.000 Menschen.
Der Karatschai-See gilt heute als einer der am stärksten radioaktiv belasteten Orte der Erde. Zwischen 2001 und 2004 sollen laut Angaben der russischen Staatsanwaltschaft erneut flüssige radioaktive Abfälle in den Fluss Tetscha eingeleitet worden sein.
1957 kam es in dem Chemiekombinat zu einem folgenschweren Unfall, als ein Behälter explodierte. Dabei wurden große Mengen Radioaktivität frei. Nach Einschätzung von Experten ist der Unfall vergleichbar mit der Tschernobyl-Katastrophe. Die sowjetische Regierung gestand die Katastrophe erst 1989 ein. Im Oktober 2007 kam es erneut zu einem Zwischenfall.
Ein erster Transport von 300 Kilogramm Uran aus Rossendorf nach Russland wurde im Dezember 2006 per Flugzeug abgewickelt. Damals wurde Uran in 18 Spezialbehältern von Dresden nach Russland geflogen. Der Transport damals kostete eine Million Euro. Wladimir Slivjak erklärte im Gespräch mit den „Salzburger Nachrichten“, in Murmansk und Tscheljabinsk seien Proteste gegen die Einfuhr von Atommüll geplant.

veröffentlicht in: Salzburger Nachrichten

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