17. December 2010

Väterchen gehört wieder dazu

Kurz vor der Präsidentenwahl in Weißrussland schaltet Moskau gegenüber Präsident Alexander Lukaschenko, dem aussichtsreichen Favoriten, von Konfrontation auf Konsens um

Länger als ein Jahr dauerte der Streit zwischen Moskau und Minsk und war so heftig, dass Präsident Medwedjew zum Schluss nicht mehr mit dem weißrussischen Staatschef Lukaschenko reden wollte. Der musste bisher auf jeden Beistand aus Moskau vor der Präsidentenwahl am 19. Dezember verzichten.

Man geriet wegen Zoll- und Transitgebühren für Gas und Öl aneinander, so dass die russische Regierung dazu überging, den Präsidenten in Minsk wie einen Paria zu behandeln. Der Moskauer Fernsehkanal NTW strahlte im Sommer eine vierteilige Dokumentation aus, die „Batka“ (Väterchen) Lukaschenko als Auftraggeber für das Kidnappen politischer Gegner stigmatisierte – Titel: Der Pate Batka. Lukaschenko rüste seinen Familienclan unverhohlen mit einflussreichen Positionen auf, hieß es. Im November resümierte Dmitri Medwedjew in seinem Blog: „Zu Lukaschenko ist alles gesagt“, der führe einen „antirussischen Wahlkampf“.

Viel Herzlichkeit


Je frostiger es zwischen Moskau und Minsk wurde, um so besser kamen indes Belarus und die EU miteinander aus. Im Mai 2009 wurde der Außenseiter in die „Östliche Partnerschaft“ aufgenommen, Emissäre aus Brüssel gaben sich in Minsk die Klinke in die Hand. Anfang November 2010 kam mit Guido Westerwelle erstmals seit 15 Jahren wieder ein deutscher Außenminister. Zusammen mit seinem polnischen Amtskollegen Sikorski versprach er Lukaschenko Finanzhilfen von drei Milliarden Euro, sollte die Wahl am 19. Dezember zu keinerlei Klagen Anlass geben. Als hingegen Russlands Außenminister Lawrow kurz darauf Minsk besuchte, hatte ihm Präsident Medwedjew aufgetragen, Lukaschenko aus dem Weg zu gehen. Es schien fast so, als strebe Minsk nach Europa, indem es sich von Moskau löse.

Dann kam der 10. Dezember, und im Großen Kreml-Saal tagten die Staatschefs der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (ODKB). Eine Militärallianz, die sich aus sieben früheren Sowjetrepubliken rekrutiert, darunter Weißrussland, dessen Präsident an diesem Tag turnusmäßig den Vorsitz des Bündnisses übernahm. Alexander Lukaschenko, von Gastgeber Medwedjew mit demonstrativer Herzlichkeit bedacht, tat vor Journalisten jeden Dissens als „Streit in der Küche ab“.

Der Grund für den neuen Frieden zwischen Moskau und Minsk ist wirtschaftlicher Natur – Russland wird dem Nachbarn wieder mehr Öl liefern und das zollfrei. Im Gegenzug überweist Belarus Zolleinnahmen an Moskau, die für in den Westen ausgeführtes russisches Öl einbehalten wurden. Um die Abgaben an Russland zu umgehen, hatte die Regierung in Minsk für 2011 zehn Millionen Tonnen Erdöl aus Venezuela geordert. Inzwischen gab Moskau zu verstehen, man werde die eigenen Lieferungen im nächsten Jahr von geplanten zwölf auf 22 Millionen Tonnen aufstocken, sollte Belarus den Öl-Transfer aus Südamerika absagen.

Zu sehr verflochten

Auch Lukaschenko wollte auf dem ODKB-Gipfel konziliant sein: Er stimmte einem Dokument zu, das künftig die Entsendung von ODKB-Streitkräften in Krisenzonen der Mitgliedsländer ermöglicht, um Eruptionen wie jüngst in Kirgistan, als das Land kurz vor einem Bürgerkrieg stand, frühzeitig einzudämmen. Dieser Konsens ist insofern beachtlich, als Lukaschenko im April den gestürzten kirgisischen Präsidenten Bakijew, der mutmaßlich die Unruhen in Südkirgistan geschürt hatte, als politischen Flüchtling aufnahm, offenbar um Moskau wegen des Konflikts um die Öleinfuhren zu strafen. Für den Kreml eine Provokation. Der hatte unmittelbar nach dem Machtwechsel in Bischkek erklärt, Bakijew und dessen Sohn Maksim seien für die Veruntreuung eines russischen Milliardenkredits und das Chaos in Kirgistan verantwortlich, und die provisorische Regierung unter Rosa Otunbajewa anerkannt.

Alexander Lukaschenko hat zuletzt gern dort einen Fuß in die Tür gestellt, wo der Kreml nichts weniger als Zugluft braucht. Vermutlich wollte er testen, ob sich für ein unabhängiges Weißrussland, das seine Außenpolitik nicht mehr mit Moskau koordiniert, im EU-dominierten Europa ein Platz finden lässt. Immerhin konnte Weißrusslands Präsident für sich verbuchen, 2009 Silvio Berlusconi in Minsk begrüßen zu dürfen. Kein Affront, aber ein Ärgernis für Russland. Belarus galt seit dem Zusammenbruch der UdSSR als „engster slawischer Bruderstaat“, mit dem es im Unterschied zur Ukraine keine strittigen Territorialfragen gab. Dass Lukaschenko, die meisten Staatsunternehmen nicht antastete und in Belarus die Sowjetunion en miniature konservierte, hinderte Präsident Jelzin 1999 nicht daran, den Vertrag über eine Staaten-Union zu schließen.

Von daher erscheint die Versöhnung auf dem ODKB-Gipfel nicht weiter überraschend – man ist zu sehr verflochten, um auf Dauer entzweit zu sein: Seit dem 1. Januar 2010 existiert zwischen Belarus, Russland und Kasachstan eine Zollunion, auch sind weißrussische Firmen auf den russischen Markt für landwirtschaftliche Maschinen, Chemie- und Agrar-Produkte angewiesen.

Präsident Lukaschenko wird am 19. Dezember die Wahl souverän gewinnen, denn die Opposition macht es ihm so leicht wie nie. Sie tritt – anders als beim Votum 2006 – mit keinem gemeinsamen Bewerber an. Batka Lukaschenko regiert mit harter Hand, aber wegen der sozialen Garantien, die der Staat bietet, hat er immer noch viele Weißrussen, zumal auf dem Lande, hinter sich. Einen aussichtsreichen, Russland freundlichen Oppositionskandidaten, der Lukaschenko gefährden könnte, gibt es nicht. Folglich schaltet Moskau von fruchtlosem Zwist auf kooperative Realpolitik um, auch wenn die „Staaten-Union“ von einst vorerst ausgedient haben dürfte.
Hintergrund

Ulrich Heyden schreibt im Freitag regelmäßig über Russland und Weißrussland

veröffentlicht in: der Freitag

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