Ulrich Heyden
Scharfmacherei gegen Putin: In der deutschen Hauptstadt wird gegen Russland und seinen Präsidenten Stimmung gemacht
Schon 2014 war mir klar: Wenn die großen deutschen Medien den Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa verschweigen oder nur am Rande abhandeln und über Angriffe von ukrainischen Neonazis auf ukrainische Kriegsveteranen, die das St.-Georgs-Band tragen, gar nicht berichten, dann ist absehbar, dass die Faschisten und ihre Verharmloser auch in Deutschland leichtes Spiel haben werden. Jetzt rächt sich, dass sich viele Linke und Demokraten in den letzten Jahren nicht gründlich mit der Ukraine beschäftigt haben.
Als ich später meinen Freunden in Moskau von dem Erlebten im Treptower Park erzählte, war die Reaktion betretenes Schweigen. Ich bemerke auch, dass viele Russen es satt haben, sich gegenüber dem Westen zu rechtfertigen. Immer öfter wird auf russischen Seiten im Internet die Frage gestellt, ob es denn richtig sei, in der Ukraine »so zurückhaltend« zu kämpfen, Charkow und Kiew nicht zu erobern.
Auch die Behandlung der über 1.000 Asow-Faschisten, die jetzt in Gefangenschaft sind und die zum Teil in den Krankenhäusern der »Volksrepublik Donezk« gesund gepflegt werden, sorgt für gehässige Bemerkungen. Man solle ihnen nur einen Napf Essen geben und sie zum Wiederaufbau zerstörter Städte einsetzen, meinen viele.
Im Szeneviertel Berlin-Friedrichshain, dort, wo es in den 1990er Jahren ganze Straßenzüge mit besetzten Häusern gab, findet man heute an Häuserwänden selbst gezeichnete antirussische Hetzplakate, auf denen Putin als Schlächter dargestellt wird. In der russischen Bar »Datscha« kam ich mit der Barchefin Katarina, einer in Kasachstan geborenen blonden Deutsch-Russin, ins Gespräch. Sie erzählte, dass es Drohungen gab. Das seien meist »Telefonanrufe, weniger Besucher und schlechte Bewertungen«, obwohl in der Bar Menschen aus verschiedenen Nationen arbeiten und man sich vom Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine distanziert hat. Nachdem man sich an die Presse gewandt habe, sei es besser geworden. Viele Besucher kämen jetzt aus Solidarität.
Bei meinen Gesprächen in Deutschland fiel mir auf, dass es zwei Gruppen gibt. Eine Gruppe sagt, es ist eine Unverschämtheit, dass Russland ein unabhängiges Land überfällt. Wenn man dann fragt, ob sie auch die Vorgeschichte mit dem Donbass-Krieg kennen, geben die Leute kleinlaut zu, dass sie davon nichts wissen.
Die andere Gruppe tritt aggressiv auf. Jede Erwähnung des Donbass-Krieges, der seit acht Jahren läuft, die Unterdrückung der Opposition in der Ukraine und die Einkreisung Russlands mit US-Militärbasen wird als »Ablenkung von den Verbrechen Russlands« vom Tisch gefegt. Ein Freund erzählte mir ganz betrübt, dass er gar nicht mehr diskutiere, weil sofort eine aggressive Stimmung aufkomme.
veröffentlich in: Junge Welt