23. November 2024

Verdi und der Ukraine-Krieg (2. Offener Brief)

Screenshot Tagesschau
Foto: Screenshot Tagesschau

An die

ver.di Bundesverwaltung, Ressort 1

10179 Berlin

z.Hd. Daniela Kornek

 

Betr.: Verdi und die Ukraine 2

Sehr geehrte Kollegin Kornek,

ich hatte am 14. November einen Brief an die Verdi-Bezirksleitung Hamburg mit Fragen Verdi und der Ukraine-Krieg | Overton Magazin zum Thema „Verdi und der Ukraine-Krieg“ geschickt. Sie haben mir am 19. November im Auftrag des Verdi-Vorsitzenden Frank Werneke geantwortet.

Leider sind Sie in Ihrer Antwort nicht inhaltlich auf meine Fragen zur Ukraine-Berichterstattung in der Verdi-Mitgliederzeitung „Publik“ eingegangen. Stattdessen verweisen sie auf den friedenspolitischen Leitantrag des ver.di-Bundeskongresses vom September 2023.

In diesem Leitantrag stehen gute Sachen, wie etwa die Aussage, dass „der öffentliche Diskurs zum weiteren Umgang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine (…) übermäßig fixiert (ist) auf Waffenlieferungen und militärische Lösungen in Kategorien wie ´Sieg´ oder ´Niederlage´.“

Doch sie, Frau Kornek, heben in Ihrer Antwort an mich eine Stelle im Leitantrag des Bundeskongresses hervor, die meiner Meinung nach nicht zum Frieden führt. Sie schreiben, der Leitantrag stelle fest, „dass eine Unterstützung der angegriffenen Ukraine mit militärischem Material völkerrechtlich zulässig ist und eine Unterstützung der Angegriffenen darstellt, um sich weiter zu verteidigen.“

Kiew militärisch erfolglos

Ich frage Sie, ist es nicht Zeit an der Zeit, dass Verdi einen neuen, eindeutigen Beschluss fasst? Denn nach zweieinhalb Jahren Krieg, ist die Ukraine trotz massiver westlicher Waffenhilfe, Hilfe bei der Satelliten-Aufklärung und der Ausbildung von Soldaten militärisch keinen Schritt weitergekommen. Im Gegenteil, es vergeht kein Tag an dem die russische Armee nicht mindestens eine Ortschaft in der Ukraine erobert.

Immer deutlicher wird, dass die politische Führung der Ukraine das Land in´s Verderben führt und nicht selbstständig handelt, sondern von westlichen Geldgebern in Richtung Eskalation gelenkt wird, um Russland zu schwächen.

Man lockte die Ukraine 2013 mit visafreiem Reiseverkehr. Dass sie nur Verschiebemasse im geopolitischen Ringen mit Russland sein würden, war vielen Ukrainern nicht bewusst. Nun werden ukrainische Soldaten verheizt, als Kanonenfutter gegen Russland.

Für die Unterstützung der Ukraine – nur anders

Auch ich bin für Unterstützung der Ukraine, allerdings nicht in Form von Waffen, sondern in Form einer politischen Forderung an die Regierungen in Kiew, Berlin, Washington und London, den Krieg zu beenden, einen Waffenstillstand zu vereinbaren und mit Verhandlungen zu beginnen, die eine Ende des Massensterbens möglich machen.

Ich wundere mich über die oberflächliche Darstellung des Ukraine-Krieges in den Verdi-Medien. Warum schweigt Verdi zu der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges, zur Ost-Erweiterung der Nato, zur Diskriminierung der russischen Sprache durch die Post-Maidan-Regierung und zu den 14.000 Toten des Krieges im Donbass in den Jahren 2014 bis 2022? Diese Toten starben vorwiegend in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk, nachdem die ukrainische Führung im April 2014 eine „Anti-Terror-Operation“ gegen die nach Autonomie strebenden Gebiete Donezk und Lugansk gestartet hatte und rechtsradikale ukrainische Freiwilligenbataillone und die ukrainische Armee Wohnhäuser in den Volksrepubliken beschossen.

Ich habe die Gebiete Donezk und Lugansk in den Jahren 2014 bis 2022 häufig besucht und über das, was ich dort gesehen und gehört habe, ein Buch geschrieben, „Der längste Krieg in Europa seit 1945“[1]. Ich würde mich sehr freuen, wenn in „Publik“ eine Rezension dieses Buches erscheint.

Stimmen aus Russland „nicht angemessen“?

Sie schreiben, dass die russischen Gewerkschaften „bedauerlicherweise den Überfall Russlands auf die Ukraine unterstützen“, weshalb die russischen Gewerkschaften „aus den internationalen gewerkschaftlichen Dachverbänden suspendiert“ wurden. „Vor diesem Hintergrund halten wir es nicht für angemessen, ihnen innerhalb von ver.di eine publizistische Plattform zu bieten.“

Ich frage Sie, wird Verdi wenigstens alternative Dialog-Foren mit Russen und Russinnen organisieren, oder wollen Sie ganz Russland abschreiben? Ist Russland, das größte Land der Erde, für Verdi nur „der Krieg“ und „Putin“ oder leben da außer Bären auch noch Menschen, gibt es da noch eine Kultur? Wollen Sie in Ihren Publikationen nicht wenigstens deutsche Journalisten aus Russland berichten lassen?

Und nun kommt auch noch John McCain zu Ehren …

Ich wunderte mich. In der Verdi-Mitgliederzeitung „Publik“ (Auflage 1,6 Millionen) konnte in der Ausgabe 6/2024 der Journalist Moritz Gross die zweiseitige Reportage "Wir sind auf der Hut" über ukrainische Gewerkschaften veröffentlichen. Ausgerechnet Gross, der auch für die „Jungle World“ schreibt jungle.world - Moritz Groß hielt man für geeignet, über die ukrainischen Gewerkschaften zu berichten. Man muss wissen: In „Jungle World“, einer Publikation der „Antideutschen“, sitzen Scharfmacher. Das Blatt kritisiert die Bundesregierung für eine „zu lasche“ Politik gegenüber Russland und dem Iran.

In der Reportage des Journalisten Gross wird lang und breit ausgeführt, für wie schlimm ukrainische Gewerkschaftsfunktionäre die „sogenannten russischen Gewerkschaften“ halten. Die „sogenannten Gewerkschaften in Russland rufen auf ihren Kongressen dazu auf, ihre Armee zu unterstützen und Ukrainer zu töten. Das ist ein Alptraum“, sagt einer der von Gross interviewten Funktionäre.

Der Journalist Gross hätte den interviewten Gewerkschafter auch fragen können, was denn die Losungen der ukrainischen Gewerkschaften in der jetzigen Kriegszeit sind? Aber das unterließ der Journalist, denn die Antwort hätte gezeigt, dass auch der Interviewte kein Friedensengel ist.

Weiter schildert Gross, wie sehr ukrainische Gewerkschafter den inzwischen verstorbenen US-Republikaner John McCain verehren. McCain trat 2013 als Redner auf dem Kiewer Maidan mit anti-russischen Tiraden auf.

Für den Journalisten Gross ist McCain offenbar eine verehrungswürdige Person, denn er zitiert den Hardliner zustimmend. „Der Konservative erkannte bereits kurz nach der russischen Annexion der Krim und Teilen der Ostukraine, dass man Putin genau deshalb ´provozierte, weil man ihm gegenüber Schwäche zeigte.´“ Konterkarrieren solche Sätze nicht alle Verdi-Leitanträge in denen von Friedenspolitik die Rede ist?

Fairer, sorgfältiger Journalismus?

Sie, Frau Kornek, haben geschrieben, „unsere Mitgliederzeitung Publik arbeitet nach den Grundsätzen journalistischer Sorgfalt, die zum Beispiel im Kodex des Deutschen Presserats definiert ist.“ Es widerspricht aber der journalistischen Sorgfalt, wenn man abwertende Äußerungen einer interviewten Person nicht mit einer Stellungnahme der angegriffenen Person oder Institution konfrontiert.

Zeigt man in einem Konflikt nur die eine Seite, nennt man das gemeinhin Propaganda. Stellt man die Positionen beider Seiten dar, entspricht das journalistischer Sorgfalt und Fairness.

Zur Friedenspolitik zu der sich Verdi in ihren Beschlüssen bekennt, gehört eine Berichterstattung, die nicht Propaganda betreibt, sondern beide Seiten in einem Konflikt darstellt, die erklärt, wie es zu dem Konflikt gekommen ist und wie der Konflikt gelöst werden kann. Von solch einem Herangehen sind Journalisten wie Gross meilenweit entfernt.

Zwangsmobilisierung – Zeichen einer Demokratie?

An den Zuständen in Deutschland findet man in Verdi-Publikationen durchaus Kritik. Doch nach kritischen Äußerungen über das politische System in der Ukraine sucht man in Verdi-Publikationen vergeblich. Ist die Ukraine etwa eine Vorzeige-Demokratie?

Doch passt es zu einer Demokratie, wenn die Nachrichten aller ukrainischen Fernsehkanäle von einer Zentral-Redaktion stammen und alle Oppositionsparteien verboten sind?

Präsident Wolodymyr Selenski ist immer noch im Amt ist, obwohl seine reguläre Amtszeit am 20. Mai 2024 endete.[2] Neuwahlen wurden bisher nicht angesetzt.

Aus der Ukraine fliehen täglich Männer, aus Angst zwangsmobilisiert zu werden. Im Westen wurde diese Tatsache lange ignoriert, doch inzwischen ist das Problem so offensichtlich, dass selbst der Korrespondent von „Die Welt“, Christoph Wanner, eingestand[3], er habe diese Methoden, als er noch aus Moskau berichtete, als „russische Propaganda“ abgetan. Seit er in Kiew arbeite, habe er Informationen aus erster Hand und nun sei er der Meinung, dass es diese rüden Methoden der Zwangsrekrutierung tatsächlich gibt.

Gegen die Methoden der gewaltsamen Zuführung von Männern zur ukrainischen Armee demonstrierten vor einigen Tagen junge Männer, die ihre Wurzeln in Staaten der ehemaligen Sowjetunion haben, in Berlin vor dem Brandenburger Tor Ukrainische Aktivist:innen demonstrieren gegen Menschenrechtsverletzungen der Selensky-Regierung – Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin. Wäre es nicht Aufgabe von Verdi, sich an solchen Protestkundgebungen zu beteiligen?

Zum Schluss frage ich Sie, Frau Kornek: Können in der Ukraine demokratische Zustände herrschen, wenn diejenigen, welche am 2. Mai 2014 das Gewerkschaftshaus in Odessa in Brand gesteckt und damit den Tod von mindestens 42 Menschen verschuldet haben, bis heute nicht vor Gericht gestellt wurden?

Ich habe mich mit den Vorfällen in Odessa intensiv beschäftigt und mit Angehörigen der im Gewerkschaftshaus Umgekommen gesprochen. Zusammen mit Marco Benson von Leftvision war ich Co-Regisseur des im Februar 2015 veröffentlichten Dokumentarfilms „Lauffeuer“[4]. Es war der erste deutschsprachige Film über die Exzesse eines nationalistischen ukrainischen Mobs in Odessa. Ich würde mich sehr freuen, wenn dieser Film in „Publik“ rezensiert wird.

Mit gewerkschaftlichen Grüßen!

Ulrich Heyden, Moskau, 21.11.24

www.ulrich-heyden.de

 

P.S.: Ich werde diesen Brief an Medien weiterleiten.

 

[3] Welt-Nachrichtensender - PUTINS KRIEG: Wehrpflichtige "werden regelrecht gejagt" – Brutale Rekrutierungen schocken Ukrainer https://www.youtube.com/watch?v=_OSoKFF-Ims 

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