Wahl mit vielen Fragezeichen
Moskau – Überschattet von Schikanen gegen Kremlkritiker und Wahlbeobachter hat Russland am Sonntag ein neues Parlament gewählt. In dem flächenmäßig größten Land der Erde mit neun Zeitzonen waren 110 Millionen Menschen zur Wahl der 450 Abgeordneten für die Staatsduma aufgerufen.
Zu der Abstimmung waren alle sieben in Russland registrierten Parteien zugelassen. Laut ersten Nachwahlbefragungen gewann die Partei „Einiges Russland“ die Wahl mit 48,5 Prozent – ein herber Verlust. Bislang verfügte die Partei über eine Zweidrittelmehrheit.
Schon am Vormittag hatten Wladimir Putin, Dmitri Medwedew – beide Vertreter der Partei „Einiges Russland“ – und dessen Frau Swetlana Medwedewa gewählt. Das Fernsehen sendete Berichte, wie der Ministerpräsident, der Präsident und dessen Frau ihre Wahlzettel in den Scanner schoben, worauf ein eine blecherne Frauenstimme meldete, dass die Stimme gezählt wurde.
Dass es mit der modernen Technik in Russland nicht immer so klappt wie bei der Stimmabgabe des Kreml-Tandems, hatte sich bereits am Morgen des Wahltages gezeigt. Mehrere Internetzeitungen, Blogs und die Website der Wahlbeobachterorganisation Golos (Stimme) wurden durch Hacker-Angriffe lahmgelegt. 50 000 Hits in der Sekunde meldete die Wahlbeobachterorganisation Golos, die auf einer interaktiven Karte über Wahl-Verstöße berichtete.
Von Hacker-Angriffen betroffen waren auch die Webseiten des populären Radiosenders Echo Moskau, der Tageszeitung Kommersant, der Wochenzeitung The New Times und das Internetportal gazeta.ru. Der Chefredakteur von Radio Echo Moskau, Aleksej Weneditkow, erklärte, offenbar solle die Berichterstattung über Verstöße bei der Duma-Wahl verhindert werden.
Sergej Osatschuk, ein Moskauer Wahlbeobachter der Oppositionspartei Jabloko (Apfel), berichtete, Wahlbeobachter dürften sich den Wahlurnen nicht näher als zehn Meter nähern. „So können wir nicht überprüfen, ob ganze Stapel von Wahlzetteln eingeworfen wurden.“ Außerdem hätten ein Teil der Gehbehinderten im Wahlbezirk zuhause, unter Anwesenheit des Sozialarbeiters und eines Vertreter der Wahlkommission abgestimmt.
Wie sie gewählt habe, frage ich eine Frau mittleren Alters. „Für Gerechtes Russland“, sagt sie und fügt hinzu: „Die da oben haben sowieso schon alles entschieden.“ Experten glauben, dass die Kommunisten diesmal gut abschneiden. Bis zu zwanzig Prozent der Stimmen könnten sie gewinnen. Die Stimmung in Moskau war am Wahlabend gespannt, denn mehrere Oppositionsgruppen, Linke, Liberale und Rechtsradikale hatten Proteste angekündigt. Die Menschen riefen „Schande!“ und „Gebt uns die Wahlen zurück!“. Die Plätze der Stadt wurden von der Polizei streng bewacht. Mehr als 130 Menschen wurden festgenommen.
Die Parlamentswahl ist ein erster Schritt zur geplanten neuen Machtverteilung. Putin räumte den Posten des Staatschefs für seinen Zögling Medwedew, weil er nach zwei Mandaten in Folge gemäß der Verfassung zunächst nicht noch einmal kandidieren durfte. Wenn Putin wie erwartet am 4. März erneut zum Präsidenten gewählt wird, könnte er wieder zwei Amtszeiten absolvieren – für jeweils sechs Jahre.
veröffentlicht in: Südkurier