Warum Wladimir Putin das Vertrauen der Russen hat
Was macht Wladimir Putin auf den Jahrespressekonferenzen für den Großteil der Russen glaubwürdig? Er versteht es, offen über Probleme zu reden und zeigt die intellektuelle Kapazität, immer wieder Lösungen für schwierige soziale Fragen aufzuzeigen, meint RT-Gastautor und Russlandkenner Ulrich Heyden.
Die Pressekonferenz von Wladimir Putin wurde in diesem Jahr mit Spannungen erwartet, denn im März 2018 gibt es in Russland Präsidentschaftswahlen. Es war die 13. Jahrespressekonferenz des russischen Präsidenten seit 2001, und es hatten sich 1.600 Journalisten akkreditiert, so viel wie nie zuvor. Die Veranstaltung – auf der vor allem Alltagsfragen der Bürger, aber auch Fragen der Wirtschafts- und Außenpolitik zur Sprache kamen – dauerte drei Stunden und 41 Minuten.
„Warum gibt es neben ihnen keine Nummer zwei?“
Spannend waren natürlich alle Fragen, die in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen im März 2018 standen. Ein Journalist des Internetportals Life News wollte wissen, warum „nach fast zwanzig Jahren ihrer Regierung kein normaler, einflussreicher Kandidat der Opposition, kein Politiker ´Nummer zwei´“ aufgetaucht ist, der es mit Putin aufnehmen könne.
Erst antwortete der Kreml-Chef auf diese Frage flappsig. Er könne doch nicht „die eigenen Konkurrenten ausbilden“. Dann wurde er ernst und erklärte, natürlich müsse man danach streben, dass es in Russland ein „ausbalanciertes politisches System gibt“. Und so ein System könne man sich „ohne Konkurrenz im politischen Bereich nicht vorstellen“. Die nicht-systemische Opposition – wie die Opposition außerhalb des Parlaments in Russland genannt wird – habe sich bisher nur durch „Marktschreiereien“ hervorgetan. Aber weder Schreiereien noch Gespräche in vertrauter Umgebung über das „volksfeindliche Regime“ würden die nicht-systemische Opposition weiterbringen, meinte der Kreml-Chef.
Ja, es gäbe „bis heute sehr viele Menschen, die zu Recht unzufrieden sind, „weil man bessere Ergebnisse erreichen kann“. Die nicht-systemische Opposition müsse aber konkrete Verbesserungsvorschläge machen und ein „reales Programm“ vorlegen, „an das die Menschen glauben“. Alles andere habe in Russland keinen Erfolg.
1990er Jahre – die vergebene Chance der russischen Liberalen
Die Schwäche der Opposition hänge aber auch mit einer „russischen Besonderheit“ zusammen. Die ältere Generation hätte die 1990er Jahre – also die Zeit vor Putin – noch in Erinnerung. Damals zerfiel die Wirtschaft, die sozialen Versorgungseinrichtungen und der Staat.
Das Land habe sich „in einem Bürgerkrieg“ befunden (Putin meinte den Tschetschenienkrieg). Seitdem habe Russland einen Riesensprung nach vorn gemacht. In den 1990er Jahren haben man schlecht ausgebildete junge Soldaten in militärische Auseinandersetzungen schicken müssen, „weil wir Niemanden anderes hatten“. Heute könne sich die russische Armee sehen lassen.
Um den Riesenunterschied zwischen den 1990er Jahren und der Zeit ab 2000 – dem ersten Jahr in dem Putin Präsident war – deutlich zu machen, brachte der Kreml-Chef ein paar Zahlen. Seit 2000 sei das Bruttoinlandsprodukt um 70 Prozent gewachsen. Die Einkommen der Bürger seien zwar in den letzten drei Krisenjahren gefallen, trotzdem sei das reale Einkommen seit 2000 um das Dreieinhalbfache und die Renten um das 3,6-fache gestiegen. Allerdings erwähnte Putin nicht, dass in den 1990er oftmals gar keine Renten und Löhne mehr gezahlt worden waren, weil Fabriken dicht gemacht hatten und der Staat kein Geld mehr hatte.
Putin warnt vor „vielen Saakaschwilis“ auf Russlands Straßen
Die bekannte Fernsehjournalistin Ksenia Sobtschak, die zum liberalen Flügel der russischen Elite gehört und ihre Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen angekündigt hat, hatte sich als „Journalistin“ auf der Pressekonferenz registriert. Sie trug ein Schild mit der Aufschrift „Gegen alle“. Als sie das Wort erhielt, klagte Sobtschak, es würden „keine oppositionellen Kandidaten zu den Präsidentschaftswahlen zugelassen“, oder man „mache ihnen Probleme“.
Gegen den Blogger Aleksei Nawalny, der zu den Präsidentschaftswahlen kandidieren will, seien „fiktive Strafverfahren“ eingeleitet worden, was sogar vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt worden sei. „Haben Sie, Wladimir Wladimirowitsch, solche Anweisungen gegeben, weil Sie Angst vor Navalny haben?“, wollte Sobtschak von Putin wissen. Der russische Präsident antwortete mit einer Gegenfrage: „Wollen Sie einen neuen Maidan?“ Wenn die Opposition ohne klares Programm an die Macht käme, dann werde es in Russland “viele Maidans geben“, und auf den Straßen würden „viele Saakaschwilis laufen“. Die große Mehrheit der Russen wolle das nicht.
Ein Journalist vom Fernsehsender Erster Kanal wollte vom russischen Präsidenten wissen, wie er selbst die Durchführung der sogenannten Mai-Erlasse beurteile. Diese elf Erlasse – vorwiegend zur Sozialpolitik und zur Erhöhung der Löhne von Staatsangestellten – hatte Putin am 7. Mai 2012, dem Tag an dem er, nach einer Pause von vier Jahren, das dritte Mal das Präsidentenamt antrat, unterzeichnet. Putin wies auf der Pressekonferenz am Donnerstag daraufhin, dass es an den Mai-Erlassen „berechtigte“ Einwände gab, wonach diese Erlasse eine „zu große Belastung für den Staatshaushalt“ seien. Das war eine Anspielung auf den liberalen Teil der russischen Elite um den ehemaligen Finanzminister Aleksei Kudrin, der gegen jede Erhöhung der Staatsausgaben ist. Höhere Löhne für die Staatsbeamten müssten unausweichlich höhere Löhne im industriellen Bereich nach sich ziehen, so Putin, aber die Produktivität in der russischen Wirtschaft wachse nicht dementsprechend schnell.
Putin-Erlasse zum Sozialbereich wurden zum größten Teil umgesetzt
Der Kreml-Chef sieht aber trotz der gesunkenen Einkommen in den letzten drei Krisenjahren eine positive Tendenz. So stütze sich die russische Wirtschaft „immer mehr auf die Inlandsnachfrage“. Trotz gesunkener Einkommen sei das Handelsvolumen im Land dieses Jahr um drei Prozent gestiegen. Wenn es die Mai-Erlasse nicht „als Orientierung“ gegeben hätte, dann sähe es mit den Gehältern für die Staatsangestellten heute „viel, viel schlechter aus“, so der Kreml-Chef. 93 Prozent der Mai-Erlasse seien umgesetzt worden. Putin nannte ein Beispiel: Die Zahl der Kinder, die auf einen Platz in einem Kindergarten warten, habe sich von einer halben Million auf 63.000 verringert.
Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, sieht die soziale Lage in Russland nicht so rosig. Nach Meinung des KP-Chefs wurden die Mai-Erlasse zu großen Teilen nicht umgesetzt. Nach der Pressekonferenz erklärte Sjuganow gegenüber dem Fernsehkanal Rossija 1, dass es insbesondere in den Bereichen Soziales, Wissenschaft, Bildung und Medizin große Defizite gäbe.
Putin bemühte sich, auf der Pressekonferenz immer wieder Lösungen für schwierige soziale Fragen anzudeuten. Eine Journalistin aus der nordrussischen Stadt Pskow berichtete, dass aufgrund der gestiegenen Bodenpreise die Grundsteuer um das Zehnfache angestiegen sei. Das empfänden insbesondere Datschenbesitzer als große Belastung, weshalb es schon Protestkundgebungen gegeben habe. Die Journalistin bat Putin dieses Problem zu lösen, worauf der russische Präsident erklärte, die Grundsteuer müsse mit „den realen Einkommen der Bevölkerung“ im Einklang stehen. Eine Schocktherapie wie in den 1990er Jahren sei „nicht zulässig“.
Putin: „Nationalen Minderheiten nichts aufzwingen“
Eine Journalistin aus der Republik Tatarstan brachte die Sorge vor, die Gebiete, etwa an der Wolga, wo nationale Minderheiten in eigenen Republiken leben, könnten im Zuge von Gebietsreformen mit anderen Gebieten zusammengelegt werden. Der Kreml-Chef versuchte, die Journalistin zu beruhigen. Es gäbe zwar wirtschaftliche Überlegungen, die für Zusammenlegungen von Gebieten sprächen, aber Tatarstan und den anderen „nationalen Republiken“ werde man „nichts aufzwingen“. In dieser Frage etwas aufzuzwingen, sei „sehr schädlich und sehr gefährlich für die Einheit der Russischen Föderation“.
Putin wirkt glaubwürdig
Was macht Wladimir Putin auf den Jahrespressekonferenzen für den Großteil der Russen glaubwürdig? Er versteht, offen über Probleme zu reden. Wenn es mit Behebung von Problemen nicht klappt, verspricht er, sich darum zu kümmern. Und da er jedes von den Journalisten vorgetragene Problem sofort intellektuell erfasst und über Lösungsmöglichkeiten sprechen kann, merkt man, dass er Bescheid weiß, und man weiß aus Erfahrung, dass er auch hart durchgreifen kann, etwa wenn es um die Entlassung von korrupten Spitzenbeamten geht.
Doch manchmal weiß auch Putin nicht mehr weiter. Völlig ohne Scheu berichtete der russische Präsident von dem Problem der Korruption bei der Polizei. Leider gäbe es da bisher keine Besserung. Putin erzählte von einem Fall, den ihm der Leiter des Geheimdienstes FSB, Aleksandr Bortnikow, vorgetragen habe. Man habe in einer bestimmten Struktur der Polizei Ermittlungen eingeleitet und die Mitarbeiter einer ganzen Abteilung hinter Schloss und Riegel gebracht. Dann habe man die freien Stellen neu besetzt und „alles fing von Neuem an“, so Putin. Und er gestand ein, „ehrlich gesagt, weiß ich manchmal selbst nicht, was man da machen kann.“ Als mögliche Lösung deutete der russische Präsident an, Polizisten – wie beim Militär – alle fünf Jahre an andere Orte zu versetzen, aber mit Wohnraum und besserer Bezahlung für den Ortswechsel zu entschädigen.
Ringen ums Mikrofon
Die Spannung im Saal stieg zum Schluss immer mehr. Viele Journalisten kämpften mit selbstgebastelten Schildern um die Aufmerksamkeit des Präsidenten. Wer ein Schild mit einer starken, einfachen Aussage hatte, etwa „Rettet die Kinder“ oder „Kasachstan“, hatte gute Chancen von Putin oder seinem Pressesprecher Dmitri Peskow ausgewählt zu werden. Zum Schluss wurden die Rufe der Journalisten im Saal, die noch drankommen wollten, immer lauter. Viele versuchten, das Mikrofon noch zu erhaschen. Doch kurz vor 16 Uhr musste Putin zu einem weiteren Termin. Zuvor wünschte er noch allen ein gutes, neues Jahr.
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