29. January 2023

Weitere »rote Linien« (Junge Welt) Teil 2

Everett Collection/imago, Zerstörter »Abrams«-Panzer im Dritten Golfkrieg (6.4.2003)
Foto: Everett Collection/imago, Zerstörter »Abrams«-Panzer im Dritten Golfkrieg (6.4.2003)

Aus: Ausgabe vom 30.01.2023, Seite 6 / Ausland

REPORTAGE AUS RUSSLAND

Stimmen aus Russland: Die USA wollen aufs Ganze gehen, aber das ist unmöglich. Teil 2

Von Ulrich Heyden, Moskau

Auch Russlands Präsident Wladimir Putin hat seinen Ton gegenüber Deutschland noch mal verschärft. Als er am Mittwoch der Moskauer Universität MGU einen Besuch abstattete, führte er ein längeres Gespräch mit Studenten. Eine Studentin mit dem Familiennamen Semjonowa berichtete, dass sie in Wien studiert habe und nach Beginn der russischen »Spezialoperation« in Wien ein Schreiben unterzeichnen sollte, dass sie den »Terrorstaat Russland« verurteile und die Ukraine unterstützen wolle. Sie habe das verweigert und sei statt dessen nach Russland zurückgekehrt.

Putin erklärte darauf, »gute Beziehungen zu vielen einfachen und nicht einfachen Österreichern« zu haben. »Ich weiß, dass sie sich zu unserem Land positiv verhalten. Ihre Meinung zu unserem Land hat sich nicht verändert, im Gegensatz zu den politischen Eliten einiger Länder, darunter auch europäischer Staaten.« Diese Eliten bedienten oft »nicht die nationalen Interessen, sondern die Interessen anderer Länder«.

Die Sowjetunion sei mit ihren Truppen aus Deutschland abgezogen, »die USA nicht. Streng juristisch gesehen befinden sich in Deutschland heute US-amerikanische Besatzungstruppen. Und zwar sehr viele.« Selbst deutsche Politiker redeten davon, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg »niemals vollständig souverän war«. Es sei »an der Zeit, dass Europa wieder souverän wird«.

Das russische Außenministerium erklärte unmittelbar nach der Entscheidung über die Lieferung deutscher Panzer, »die USA haben eindeutig erklärt, dass sie Russland eine strategische Niederlage zufügen wollen. Sie verstehen nicht, dass das unmöglich ist.« Der stellvertretende Vorsitzende der russischen Vertretung in der UNO, Dmitri Poljanski, erklärte, der Westen habe schon oft »rote Linien« überschritten, aber es »sei denkbar, dass weitere ›rote Linien‹ überschritten werden«. Russland wolle keinen direkten Zusammenstoß mit der NATO. Die gebe entsprechende Erklärungen ab, fahre allerdings fort, die Ukraine aufzurüsten.

In der Polittalkshow »60 Minuten« argumentierten Duma-Abgeordnete und Militärexperten am vergangenen Donnerstag, selbst wenn der Westen 300 Panzer in die Ukraine schicke, könne das den langsamen russischen Vormarsch in der Ukraine nicht stoppen. Auch werde es nicht möglich sein, einen Keil zwischen die Gebiete Cherson und Saporischschja und die »Volksrepubliken« Donezk und Lugansk zu treiben.

Die Diskussionsteilnehmer begründeten, warum man die Lieferung der westlichen Panzer nicht überbewerten sollte. Andrej Kartapolow, Vorsitzender des Duma-Verteidigungsausschusses, erklärte, Panzerschlachten wie zur Zeit des Zweiten Weltkrieges seien heute nicht mehr möglich, da die Panzer zu viele Feinde hätten, Satellitenaufklärung, Drohnen und Lenkwaffen. Heute gebe es eher Panzerduelle. Auch andere westliche Waffen wie die hochgelobten »Bayraktar«-Drohnen oder die »Javelin«-Panzerabwehrraketen hätten die russischen Truppen nicht empfindlich treffen können.

Jan Gagin, ein Militärberater des Leiters der »Volksrepublik Donezk«, erklärte, in der Ukraine gebe es nur eine begrenzte Zahl von Eisenbahnbrücken, über die man einen Panzer wie den »Leopard 2«, der ein Eigengewicht von 80 Tonnen hat, fahren lassen kann. Zudem könne er in feuchter Schwarzerde einsinken und steckenbleiben. Während die russischen Panzer direkt auf dem Schlachtfeld repariert und sogar die Motorblöcke ausgetauscht werden könnten, sei das beim »Leopard« und beim US-amerikanischen »Abrams M1« nicht möglich. Es fehlten sowohl Ingenieure und Reparaturteams als auch Abschleppfahrzeuge.

In der Talkshow wurden auch Videos aus dem Jemen-Krieg gezeigt. Man sah Soldaten aus brennenden »Abrams«-Panzern kletterten. Die US-Armee habe im Irak-Krieg 2005 große Verluste an »Abrams« gehabt, hieß es. 531 Panzer sollen zur Reparatur geschickt worden sein. Alles in allem, so resümierten die Diskutanten, dienten die Panzerlieferungen aus dem Westen mehr der »moralischen Unterstützung« der Ukraine. Kein Zweifel aber bestand daran, dass die USA »aufs Ganze gehen« wollen.

veröffentlicht in: Junge Welt

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