10. October 2010

Wenn Wowa im Nebel laut nach seinem Bärchen ruft

Von Ulrich Heyden, Moskau

Über Regierungschef Putin und Präsident Medwedjew kursieren inzwischen viele Witze. Sie zeigen auch eine neue Kreml-Verdrossenheit.

Als es vor Moskau brannte und die Stadt im Smog versank, erzählte man sich in Russland folgende Anekdote: Wladimir Putin geht im Nebel über den Roten Platz. Auf der Schulter trägt er einen Stock. An dem baumelt ein verschnürtes Proviantsäckchen. Die Sicht ist gering. „Wowa“ – die Kurzform von Wladimir – ist unheimlich zumute.
Ängstlich ruft er: „Medweschoooonok!“ Medwjed heißt auf Russisch „Bär“, Medwjedschonok „Bärchen“. So wird im Volksmund auch der russische Präsident Dmitri Medwedjew gelegentlich genannt.
Zwei gute Freunde
Das Bild vom ängstlichen Wesen, das da im Nebel ruft, stammt aus dem sowjetischen Zeichentrickfilm „Der Igel im Nebel“ (1975) von Juri Norschtejn. Dort geht ein kleiner Igel allein durch den Wald. In seinem Proviantsäckchen trägt er ein Marmeladenglas. Der Igel will zu seinem Freund, dem Bärchen. Plötzlich kommt dichter Nebel auf. Ängstlich murmelt der kleine Igel vor sich hin: „Ich kann noch nicht mal meine Pfote sehen.“ Von Weitem ruft sein Freund: „Jooooschik!“ (Igel). Doch der Kleine hört nicht, denn es ist völlig im Bann von unheimlichen Schatten, die durch den Nebel huschen. Schließlich findet der Igel seinen pummeligen Freund doch noch. Der sagt: „Gut, dass du da bist. Denn wer, außer dir, kann die Sterne zählen.“
Auch Russlands starker Mann braucht eben gelegentlich einen guten Freund, soll der Witz suggerieren. In Dmitri Medwedjew hat er sich einen geschaffen. Dass der manchmal auch „Medweschonok“ genannt wird, hat damit zu tun, dass der Präsident nicht besonders groß ist. Seine kraftvoll konstruierten Reden wirken ziemlich einstudiert. Als Medwedjew vor Journalisten neulich die Entlassung des Moskauer Bürgermeisters Juri Luschkow begründen musste und von „Vertrauensverlust“ sprach, wirkte er so ängstlich, als wäre er über die eigenen Worte erschrocken. So etwas provoziert natürlich weitere Witze – im russischen „Anekdoty“ genannt. So kursieren im Internet viele Fotos von Putin und Medwedjew mit ironisch-kommentierenden Untertiteln. Darunter eines von Medwedjew, als er auf einer Pressekonferenz leicht verunsichert nach links guckt: „Wowa, hab ich alles richtig gesagt?“
Als ich die Nebel-Anekdote l neulich einem Taxifahrer erzählte, war der wenig beeindruckt. Ob ich mal einen richtigen Witz hören wolle? Kommt ein ausländischer Journalist zur Mutter von Dmitri Medwedjew und fragt scheinheilig: „Wo arbeitet eigentlich ihr Sohn?“ Die Mutter antwortet stolz: „Bei Putin; als Präsident.“ Über so viel Kreml-Verdrossenheit war ich dann doch verblüfft. Doch der Taxifahrer lachte lauthals und meinte, ich solle nur diesen Witz weitererzählen, alles andere sei eh nur Quatsch.
"Sächsische Zeitung"
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