13. May 2023

Wie der Sieg über den Hitler-Faschismus in Moskau gefeiert wurde (Overton-Magazin)

In Russland war auf den Straßen am 9. Mai, der jedes Jahr als Siegestag über den Hitler-Faschismus gefeiert wird, nicht so viel los, wie in den letzten Jahren.

Die Märsche des „Unsterblichen Regiments“, bei denen Angehörige mit Porträts ihrer Vorväter, die im Großen Vaterländischen Krieg gegen die Hitler-Wehrmacht kämpften, durch die Straßen ziehen, war in diesem Jahr in Moskau und einigen anderen Städten abgesagt worden. Dafür gab es vermutlich zwei Gründe: Die Gefahr von Terroranschlägen, wie sie es in den letzten Monaten gegen bekannte russische Politiker und Patrioten gegeben hatte. Von ukrainischer Seite war gemunkelt worden, der 9. Mai werde in Moskau nicht ruhig verlaufen. Ein zweiter Grund war wohl, dass nicht allen Menschen, jetzt, wo in der Ukraine russische und ukrainische Soldaten sterben, nach Feiern zumute ist. Das muss nicht unbedingt heißen, dass man in Opposition zur russischen „Spezialoperation“ steht.

Putins Rede – „Ein neuer Aufmarsch gegen Russland“

Quelle: Ulrich Heyden

Der 9. Mai in Moskau begann mit einer Rede von Wladimir Putin – gehalten auf einer Tribüne am Roten Platz – und einer Militärparade an der sich 8.000 Soldaten – darunter 530 Teilnehmer der russischen „Spezialoperation“ – in der Ukraine beteiligten.

Nicht weit von Putin saßen auf der Tribüne die Präsidenten von Armenien – Nikol Paschinjan –, Weißrussland – Aleksandr Lukaschenko –, Kasachstan – Kasym-Schomart Tokajew –, Kirgistan – Sadyr Schaparow –, Tadschikistan – Emomali Rachmon –, Turkmenistan – Serdar Berdymuchamedow – und Usbekistan – Schawkat Mirsijojew.

Schwerpunkt der Rede von Putin war die derzeitige internationale Lage und der Krieg in der Ukraine. „Die Zivilisation“ stehe heute erneut «vor einem entscheidenden Wendepunkt». Gegen Russland werde “erneut ein richtiger Krieg entfesselt”. Aber Russland leiste „gegen den internationalen Terrorismus Widerstand“. Russland schütze „die Bürger des Donbass“ und sorge dafür, dass „Russland sicher ist“.

Putin erklärte in Anspielung auf die Propagierung westlicher Werte, jede Ideologie der Überlegenheit sei von ihrer Natur aus „abstoßend, verbrecherisch und tödlich“.

Soldaten-Denkmäler des Zweiten Weltkrieges würden „unbarmherzig und kaltblütig gestürzt“. Das seien Verbrechen derer, „die einen neuen Aufmarsch gegen Russland vorbereiten“.

Die „westliche globalistische Elite“ behaupte ihre „Einzigartigkeit“. Sie provoziere „Konflikte und Staatsstreiche“. Damit spielte der russische Präsident auf die Ereignisse in Kiew im Februar 2014 an.  Das „ukrainische Volk“ sei „eine Geisel des Staatsstreichs“. Die „westlichen Herrscher“ hätten in Folge dieses Staatsstreiches in der Ukraine ein „verbrecherisches Regime“ errichtet.

Der sowjetische Sieg – wie ein Zahnstocher im Hals

Dass es in Russland am 9. Mai wie gewohnt eine Militärparade auf dem Roten Platz gab, gefiel den Kommentatoren von ZDF und ARD nicht. Sie berichteten in einem durchgehend gehässigen Ton und meinten Belege dafür präsentieren zu können, dass das „Regime Putin“ im Grunde schwach und die militärische Kraft Russland schon am Ende sei. Man hatte den Eindruck der sowjetische Sieg von 1945 stecke den Kommentatoren der großen deutschen Fernsehanstalten wie ein Zahnstocher im Hals.

Die ständige Kritik an den Militärparaden in Moskau ist beschämend. Denn sie lenkt ab von eigenem Unvermögen. 1. Deutschland hat sich nicht selbst vom Faschismus befreit. 2. Die Tatsache, dass 27 Millionen Sowjetbürger in dem von Deutschland entfesselten Krieg starben, ist nur in Teilen der deutschen Bevölkerung bekannt. 3. Während der Jahrestag des Kriegsendes in den Niederlanden, Frankreich, Tschechien und der Slowakei ein gesetzlicher Feiertag ist, windet sich die politische Elite in Deutschland gegen den Versuch den 8. Mai in Deutschland zum gesetzlichen Feiertag zu machen.

Die ARD-Korrespondentin Ina Ruck lästerte am 9. Mai sieben Minuten lang in einer Live-Schaltung über die Militärparade auf dem Roten Platz, dort habe es nichts außer Show, Zwang und die „übliche Melodie“ gegeben. Die sieben Präsidenten aus den GUS-Staaten, die mit Putin auf der Tribüne saßen, seien noch schnell „eingeflogen“ worden, behauptete Ruck. Manche – wie Lukaschenko – „mussten“ kommen, „weil sie gar nicht anders können, weil sie doch Putin brauchen.“

Ruck verlor kein Wort darüber, dass Kasachen, Armenier, Ukrainer, Weißrussen, Russen und viele andere Nationalitäten gemeinsam in der Roten Armee gegen den Hitler-Faschismus kämpften.

Angst vor Bildern gefallener Soldaten?

Quelle: Ulrich Heyden

Dass der „Marsch des Unsterblichen Regiments“ in Moskau und einigen anderen Städten abgesagt worden war, habe – so die ARD-Korrespondentin – damit zu tun, dass der Kreml fürchte, auf dem Marsch würden die Menschen auch Porträts von Angehörigen zeigen, die im Krieg in der Ukraine, der gerade stattfindet, gefallen sind.

Im ZDF kam der „Russland-Experte“ Nico Lange zu Wort. Lange, der als neutrale Person vorgestellt wurde, hatte von 2012 bis 2017 Leitungspositionen in der Konrad-Adenauer-Stiftung und war bis 2022 Leiter des Leitungsstabes im Verteidigungsministerium. Dieser „Experte“ behauptete, auf der Parade in Moskau habe „moderne Technik“ gefehlt, woraus er schloss, „dass man nicht genug Technik hat oder die Technik anderswo braucht. Auch dass viele Paraden in ganz Russland abgesagt wurden, ist ein Zeichen, dass es nicht gut läuft in diesem Krieg.“ Dass 2009 in Dienst gestellte Jars-Atomraketen über den Roten Platz fuhren, verschwieg Lange.

Russland ist eigentlich schwach und hält seine Verbündeten nur mit Zwang und Druck zusammen, das war die eigentliche Botschaft der Kommentatoren von ARD- und ZDF. Dass Russland enge Kontakte nach China, Brasilien und verschiedene afrikanische Länder hat, wurde ausgeblendet.

Feierliche Stimmung im Gorki-Park

Wie üblich wurde in den großen deutschen Medien nicht von den feierlichen Veranstaltungen in Moskauer Parks berichtet, wo es Konzerte, thematische Aufführungen und Ausstellungen gab. Ich selbst war wieder im Gorki-Park im Stadtzentrum, wo Tausende mit ihren Kindern zwischen den Tulpen-Beeten spazieren gingen. An den Wasser-Fontänen klang aus Lautsprechern Walzer-Musik aus den 1940er Jahren. Auf einer Aussichtsplattform spielte unter Applaus ein Armee-Blasorchester.

Nur noch wenige Kriegs-Veteranen waren im Park zu sehen. Jahrzehnte war der Gorki-Park der Treffpunkt der Veteranen und ihrer Familien. Die meisten Veteranen sind gestorben. Für die wenigen noch lebenden Veteranen hatte die Verwaltung des Parkes mit weißem Tuch bedeckte Stühle und Tische aufgestellt. Auf den Tischen lagen Berge roter Nelken lagen. Es ist Sitte, dass man den Veteranen am 9. Mai eine rote Nelke zu überreicht.

Am Eingang des Gorki-Parkes gab es lange Schlangen. Alle mitgeführten Gegenstände wurde von Metalldetektoren geprüft. Sicherheits-Beauftragten patrouillierten gelegentlich durch die Menge. Aus der Ukraine hatte es Andeutungen gegeben, Russland werde am 9. Mai nicht in Ruhe feiern können. Doch zum Glück blieb alles ruhig.

Im Park gab es mehrere Feldküchen, in denen die Menschen kostenlos einen Plastikteller mit Buchweizengrütze und Rindfleisch sowie einen Tee bekamen. Vor diesen Küchen bildeten sich hundert Meter lange Schlangen. Die Leute warteten geduldig. Andere Möglichkeiten sich zu verköstigen, gab es nicht.

Warum die Leute hier so geduldig warten, fragte ich einen jungen Mann. Der meinte, das Warten sei nicht schlimm. Auch damals im Krieg hätten Viele lange auf Nahrungsmittel gewartet und so erlebe man das noch einmal.

Manche Besucher des Parkes trugen Plakate mit den Bildern ihrer Groß- und Urgroßväter, die im Großen Vaterländischen Krieg gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft hatten. Eine Familie mit zwei heranwachsenden Söhnen war extra aus Podolsk, einer Stadt südlich von Moskau, angereist. Der Familienvater, Jewgeni, trug ein Plakat. Darauf befanden sich zwei große Fotos von den Urgroßvätern von Jewgeni und seiner Frau Irina. Der Urgroßvater von Jewgeni, Alexander Michailow, war in Soldatenjacke, ohne Hemd und mit kahlgeschorenem Kopf zu sehen. „Gestorben am 29. August 1942“ stand auf dem Plakat.

Zum Beweis zückt Jewgeni sein Handy und zeigt mir ein Foto von der deutschen Registrierungskarte für Kriegsgefangene, in der alle Daten seines Urgroßvaters eingetragen worden waren. Die Karten sind seit einigen Jahren im Internet zugänglich und für viele russische Familien nach Jahrzehnten der Ungewissheit der einzige Hinweis, was mit ihren im Zweiten Weltkrieg verschollenen Großvätern passiert ist.

Aus der Karte von Urgroßvater Alexander Michailow ging hervor, dass er im Kriegsgefangenen-Stammlager (Stalag) 4b im sächsischen Mühlberg starb. Außerdem stand auf der Karte, „beerdigt auf dem Russenfriedhof Jacobsthal“. Wie man inzwischen weiß, gab es im Stalag 4b 1941/42 eine Fleckfieberepidemie, bei der 12.000 Gefangene starben, die in Massengräbern beerdigt wurden.

„Wenn die Heimat ruft …“

Ich fragte Jefgeni, ob er bereit sei, in der Ukraine zu kämpfen. „Wenn die Heimat mich ruft, bin ich bereit“, antwortete der 39jährige. Als ich seine Frau Irina fragend angucke, sagt sie, „wenn er geht, bin ich stolz auf ihn. Wir müssen uns an den Mut unserer Großväter erinnern.“

Irina erzählt, dass man den russischen Soldaten an der Front schon jetzt helfe, mit selbstgemachten Kerzen, Tarnnetzen und Medikamenten. Die Kinder würden Briefe schreiben, was für die Soldaten sehr wichtig sei. Es gäbe sehr viele Freiwilligen-Organisationen, die Hilfe für die Soldaten organisieren, wie zum Beispiel eine Organisation mit dem Namen „Wir lassen unsere nicht allein“.

Ob man mit den Menschen in der Ukraine irgendwann wieder Freundschaft schließen kann, will ich von Jewgeni und Irina wissen. Jefgeni sagt, „wir halten über das Internet Kontakt zu unseren Verwandten in Kiew.“ Die Verwandten könnten aber nicht ihre Meinung sagen. „Wer Verständnis für Russland äußert, muss mit harten Strafen rechnen.“

veröffentlicht in: Overton Magazin

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