8. May 2012

Wie ein Zar

Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau

Russlands neuer, alter Präsident Wladimir Putin begann seine dritte Amtszeit. Er hat viel vor.

Als Wladimir Putin gestern seinem Dienst-Mercedes entstieg und dem Leiter der Kreml-Wache die Hand schüttelte, wirkte das wie eine beiläufige Begrüßung – fast so, als ob man sich jeden Tag die Hand gibt.

Und tatsächlich war die feierliche Amtseinführung im Kreml – mit dem Singen der Nationalhymne, den Salut-Schüssen im Kreml-Garten und dem Gebet in der Kreml-Kirche – für Wladimir Wladimirowitsch beinahe wie ein vertrauter Vorgang. Schon in den Jahren 2000 und 2004 hatte Putin im großen Kreml-Palast seinen Amtseid abgelegt. 2008 konnte Putin nicht kandidieren, weil die russische Verfassung drei Amtszeiten in Folge nicht zulässt. Dmitri Medwedjew „vertrat“ ihn für eine Amtszeit. Nun soll er auf den Posten des Regierungschefs wechseln.

Das staatliche Fernsehen inszenierte die Amtseinführung wie die Krönung eines Zaren – eine fantastische Geschichte aus der Luft. Für die Aufnahmen wurden Kräne und ein Hubschrauber eingesetzt. In der Live-Reportage sah man in das dunkle Innere des Uhrwerks im Kreml-Hauptturm. Als dann um 12 Uhr die Kreml-Glocke schlug, wurde sofort zu Putin umgeschaltet, der im schnellen Schritt auf einem roten Teppich zum Andrejew-Saal schritt – vorbei an 2000 Gästen.

Rückkopplung mit dem Volk


In seiner Abschiedsrede vor den Gästen hatte Dmitri Medwedjew erklärt, ein Präsident müsse eine „Rückkopplung mit dem Volk“ haben. Was wollte Medwedjew mit diesen Worten sagen? Am Sonntag waren über 400 Demonstranten auf einer Anti-Putin-Demonstration festgenommen worden. Putins Sprecher Dmitri Peskow hatte erklärt, die Polizei hätte eigentlich „härter“ vorgehen müssen, um die Sicherheit der Moskauer zu schützen.

Die Bilder des russischen Staatsfernsehens waren fast makellos, sieht man einmal von den menschenleeren Straßen in der Moskauer Innenstadt ab, durch die Putins Autokonvoi zur Amtseinführung im Kreml brauste. Sicherheitskräfte hielten die Innenstadt unter strenger Kontrolle. Trotzdem kam es auf dem Gartenring zu einer Demonstration von 300 Putin-Gegnern. 120 Demonstranten wurden festgenommen, dann aber wieder freigelassen.

Das schöne Bild wurde auch durch die Bilder von Gorbatschow gestört, der im Kreml-Saal unter den Gästen stand und während Putins Antrittsrede, ausgerechnet als die Kamera des Staatsfernsehens auf den ehemaligen Präsidenten der Sowjetunion schwenkte, etwas Unfreundliches sagte. Gorbatschow hatte Putin im Dezember nach den umstrittenen Duma-Wahlen zum Rücktritt aufgefordert. Unter den Gästen im Andrejew-Saal sah man auch den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und den ehemaligen Ministerpräsidenten Italiens, Silvio Berlusconi.

„25 Millionen neue Arbeitsplätze“

So gut inszeniert wie die Amtseinführung im Kreml waren auch die ersten Anordnungen, die Putin erließ. In seinem ersten Ukas ordnete der neue Präsident Sonderzahlungen für Veteranen des Zweiten Weltkrieges und Überlebende der Nazi-Konzentrationslager an.

Zudem verpflichtete er die Regierung, 25 Millionen „hoch qualifizierte Arbeitsplätze“ bis zum Jahr 2020 zu schaffen. Die russische Wirtschaft ist nach wie vor einseitig auf den Rohstoff-Export ausgerichtet. Die Modernisierung der Wirtschaft steckt immer noch in den Anfängen. Ein Absturz des Ölpreises auf unter 80 Dollar wäre für Russland „ein Schock“, meinte Ex-Finanzminister Alexej Kudrin.

Die größte Bremse für die Modernisierung der Wirtschaft bleibt aber die Korruption. Nach einem Bericht der russischen Generalstaatsanwaltschaft wurden zwar 2011 gegenüber dem Vorjahr mit 37831 Korruptionsfällen sieben Prozent weniger Rechtsverletzungen registriert. Die Ursache ist jedoch nicht der Rückgang der Korruption, sondern „ungenügende“ Arbeit der Justizorgane, wie es in dem Bericht heißt.

Nach Putins Vorstellungen sollen die Reallöhne bis 2018 um das Eineinhalbfache steigen. Es müsse alles für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Erhöhung der Reallöhne getan werden, heißt es in einer der Anordnungen. Nach Angaben des russischen Statistikamtes ist die Zahl der Russen, die unter dem Existenzminimum leben, von Januar bis September 2011 um 6,3 Prozent angestiegen. Heute müssen 20,2 Millionen von insgesamt 143 Millionen Russen mit umgerechnet 162 Euro im Monat auskommen.

veröffentlicht in: Sächsische Zeitung

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