Wie Handwerker in Zarskoje Selo das "neunte Weltwunder" wiederherstellten (Sächsische Zeitung)

Ulrich Heyden
Foto: Ulrich Heyden

 

 

Vor 20 Jahren - am 31. Mai 2003 - wurde das wiederhergestellte Bernsteinzimmer im Katharinen-Palast in Zarskoje Selo bei St. Petersburg der Öffentlichkeit vorgestellt. Zu der feierlichen Eröffnung gekommen waren Präsident Wladimir Putin und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder. Hier mein damaliger Bericht und meine Reportage für die "Sächsische Zeitung" aus der Werkstatt in Zarskoje Selo in der das Bernsteinzimmer wiederhergestellt wurde. Finanziert wurde die Wiederherstellung des "neunten Weltwunders" zu einem Drittel der Kosten (3,5 Millionen Dollar) von der deutschen Ruhrgas AG. Das 1755 im Katharinen-Palast eingebaute Bernsteinzimmer wurde 1941 von deutschen Truppen geraubt, nach Königsberg gebracht und gilt seitdem als verschollenen. 

 

Sächsische Zeitung (Kultur/ Kunst ), 14.05.2003

Barockes Wunder

Die Kultur der Welt erhält ein Schmuckstück zurück: Das Bernsteinzimmer ist fertig

Ulrich Heyden und Gerd Korinthenberg, Zarskoje Selo

So prachtvoll hat es seit Ewigkeiten kein Mensch mehr gesehen: Die genaue Rekonstruktion des legendären Bernsteinzimmers des Zarenschlosses bei St. Petersburg ist vollendet. Rund 50 Bernsteinschnitzer und Spezialisten haben in mehr als 20 Jahren mit Geschick und Geduld wieder hergestellt, was in den Feuerstürmen des Zweiten Weltkrieges wohl für immer verschollen ist. Mit seinen Unterschriften hat ein deutsch-russischer Experten-Beirat gestern die glanzvolle „Wiedergeburt“ des barocken Kunstwerkes aus schimmernden Bernstein-Täfelungen, vergoldeten Kandelabern und kostbaren Mosaiken offiziell dokumentiert. Achim Middelschulte als Vorstandsvorsitzender der Ruhrgas AG, Iwan Sautow, Direktor des Katharinen-Palastes, und der russische Kulturminister Michail Schwidkoj unterzeichnen das Protokoll mit einem Füller aus Bernstein. Russlands Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Gerhard Schröder wollen am 31. Mai – pünktlich zum 300. Gründungsjubiläum St. Petersburgs – das Kabinett wieder der Öffentlichkeit übergeben.

Die Wiederherstellung des 1941 von deutschen Truppen gen Königsberg verschleppten Bernsteinzimmers ging in den 90er Jahren nur noch sehr mühsam voran. Die Ruhrgas AG machte dann 1999 mit einer 3,5 Millionen-Dollar-Spende – etwa einem Drittel der Gesamtkosten – möglich, wovon in den schwierigen russischen Wende-Zeiten schon keiner mehr geträumt hatte. Mit dem Geld aus dem Westen kam die Arbeit zurück in die Bernsteinwerkstatt: In den bescheidenen Gesindehäusern des Katharinenpalastes haben die Steinschnitzer mit Mini-Fräsen und Zahnarzt-Bohrern zuletzt die von Figürchen und Blumenranken gezierten Schmuck-Rahmen für die allegorischen Halbedelstein-Mosaike „Schmecken“ und „Hören“ in der Ostwand vollendet. Rund sechs Tonnen des vorsintflutlichen Baumharzes aus einem ostpreußischen Tagebau sind hier vor allem zu Bernstein-Abfall und hellgelbem Fräs-Staub geworden: Jedes Kilo des „Goldes der Ostsee“ ergab nämlich höchstens 200 Gramm Bernsteinzimmer-Täfelung. Viel Erfahrung und gehöriges Glück waren nötig, um aus mehr als 500 000 Bernsteinplättchen – meist kaum größer als eine Handfläche – die Täfelung nachzubauen. Als Geschenk des Schicksals hatten sich nämlich alte Farb-Fotografien des originalen Bernsteinzimmers erhalten, die den findigen Handwerkern zur wichtigsten Vorlage wurden.

Nach der Unterzeichnung des Protokolls besichtigen Politiker, Mäzene, Kunstexperten und Journalisten mit den für den Palast obligatorischen Bodenschonern über den Schuhen das von zwei elektrischen Kerzenkränzen beleuchtete Zimmer, welches mit seinen zehn mal zehn Metern Grundfläche eigentlich ein Saal ist. In der aufgeregten Stimmung wirkt das warme Farbenspektrum des Bernsteins – von zitronengelb bis rostrot – wie ein Beruhigungsmittel. Ruhrgas-Vorstandsmitglied Middelschulte spricht von einem „grandiosen Gefühl“. Russlands Kulturminister Schwydkoi meint, das Bernsteinzimmer sei ein Symbol der deutsch-russischen Beziehungen – „der tragischen und der wunderbaren“. Die Wiederherstellung des Zimmers sei ein „Schritt in die Zukunft“ und gleichzeitig ein „Schritt zur Überwindung der Vergangenheit“. Wolfgang Eichwede, Professor aus Bremen und Mitglied des Bernsteinzimmer-Beirates, erklärte, das Bernsteinzimmer mache Hoffnung. In Zukunft gehe es um „kleine Projekte“ wie den Wiederaufbau einer Kirche oder die Einrichtung eines Literatur-Cafés mit Hilfe deutscher Freiwilliger oder Sachspenden deutscher Firmen. Solche Initiativen würde auch die Bereitschaft zur Rückgabe von Beutekunst auf russischer Seite erhöhen.

Während die ersten Besucher euphorisch sind, treibt die beteiligten Restauratoren neben Stolz auch Wehmut um. Die Verwaltung des Katharinen-Palastes erklärte zwar, es gäbe noch viel zu restaurieren – als Nächstes soll das Achat-Zimmer in Angriff genommen werden –, aber die Bernstein-Spezialisten, die sich in mühevoller Arbeit die Techniken der alten Meister aus dem 17. und 18. Jahrhundert angeeignet hatten, werden auf andere Gebiete wie Holz und Stein umsatteln müssen. Im Katharinen-Palast, der im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurde, sind von 50 Sälen erst knapp über die Hälfte wiederhergestellt. Ein größerer Auftrag, in dem sie ihre Kenntnisse bei der Verarbeitung von Bernstein anbringen können, ist bisher nicht in Sicht.

 

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