Wie Russland die Macht künftig ordnet
Der neue Präsident Dmitri Medwedjew und sein Vorgänger Wladimir Putin bilden eine Doppelspitze.
In Russland herrscht in diesen Tagen rege Nachfrage nach Porträts. Gefragt waren nicht nur Bilder des neuen Präsidenten Dmitri Medwedjew, der gestern in einer feierlichen Zeremonie im Kreml mit 2500 Gästen sein Amt übernahm, sondern auch Doppelporträts mit Medwedjew und Putin, der am heutigen Donnerstag den Posten als Premier antreten wird.
Verschiedene Tonlagen
So ganz traut das Volk dem neuen Chef im Kreml offenbar noch nicht. Medwedjew hat weder das Zackig-Militärische, das bei Putin immer wieder durchschlug. Der neue Präsident wirkt nicht volkstümlich wie Boris Jelzin, sondern fast ein bisschen langweilig. Russlands jüngster Kreml-Chef – Medwedjew ist erst 42 Jahre alt – könnte das Symbol einer aufstrebenden Mittelschicht sein, bei der berufliche Qualifikation mehr zählt als Machtdemonstrationen. Aber Medwedjew muss für alle Schichten sprechen, auch für Arbeiter, Bauern und Rentner, von denen viele immer noch der kommunistischen Ära nachtrauern.
Putin und Medwedjew sprechen oft in unterschiedlichen Tonlagen. Putin beschwört gern den russischen Patriotismus. Medwedjew stimmte bei seiner Amtseinführung gestern im Kreml dagegen das Hohelied auf die Grundwerte einer liberalen Gesellschaft an. Er versprach, „bürgerliche und wirtschaftliche Freiheiten“ und die „Selbstverwirklichung der Bürger“ zu schützen. Die unterschiedlichen Tonlagen führten zu Spekulationen, dass es im Zuge des Machtwechsels zu Machtkämpfen zwischen Liberalen und Geheimdienstlern kommen könnte. Aber bisher blieb es in Moskau ruhig.
Gemäß der Verfassung könnte der neue Kreml-Chef die Macht allein ausüben. Er hat den Oberbefehl über die Streitkräfte und den Atomkoffer. Er ist aber mit Putin durch viele Fäden miteinander verbunden. Nichts deutet darauf hin, dass Medwedjew seinem Förderer jetzt die kalte Schulter zeigt. Anfang der 90er Jahre lernten sich beide bei der Arbeit in der Stadtverwaltung von St. Petersburg kennen. Nachdem Putin 1999 Ministerpräsident wurde, holte er Medwedjew nach Moskau und machte ihn zum stellvertretenden Leiter des Regierungsapparates. Und so ging es Schritt für Schritt weiter nach oben. Im Jahre 2000, als Putin zum Präsidenten gewählt wurde, wurde Medwedjew Vizechef der Präsidialverwaltung. Später übernahm Medwedjew den Vorsitz des Aufsichtsrats im Gazprom-Konzern.
Spekulation um Vollmachten
Seit Monaten spekulieren die Beobachter in Moskau, welche Vollmachten Putin aus dem Kreml in die Regierung mitnimmt. Er werde versuchen, die Kontrolle der Sicherheitsorgane und der Regionen zur Regierungsaufgabe zu machen, vermutet das Kreml-kritische Magazin „Kommersant Wlast“. Ein wichtiges Machtmittel ist der Vorsitz der Partei „Einiges Russland“, den Putin vor Kurzem übernommen hatte. Ihr gehört fast die gesamte Elite des Landes an.
Außerdem lässt Putin einige seiner Vertrauten in der Präsidialverwaltung. Dort können sie dann jeden Schritt von Dmitri Medwedjew kontrollieren. Geführt wird die Präsidialverwaltung in Zukunft von Putins Chefideologen Wladislaw Surkow. Er hatte die Partei „Einiges Russland“ und die Jugendorganisation „Naschi“ aus der Taufe gehoben. Der bisherige stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung, Igor Setschin, soll in Zukunft den Apparat der Regierung leiten. Angeblich will Putin seinen Kreml-Sprecher Alexej Gromow zum Vizepremier machen – zuständig für den Bereich Medien. Der Rest der Ministerliste ist noch geheim.
"Sächsische Zeitung"