24. July 2010

„Wir kommen, um zu töten und aufzuräumen“

Vermummte Schläger überfallen vor den Toren Moskaus ein Zeltlager von Umweltschützern, die gegen den Bau einer Autobahn protestieren – Verletzte und Festnahmen

Von SZ-Mitarbeiter Ulrich Heyden

Moskau. Gespenstische Szenen im Chimki-Wald nordwestlich von Moskau. Es war am Freitag gerade hell geworden, da wurde ein Zeltlager von Öko-Aktivisten von 100 Schlägern eingekesselt. Die Männer hatten sich ähnlich wie die Leute vom Ku-Klux-Klan mit weißen Tüchern vermummt, erinnerten an rechte Fußball-Rowdys. „Wir kommen, um zu töten und aufzuräumen“, grölten sie lautstark, berichten Augenzeugen.

Die Umweltschützer, die zuvor zwei Tage lang erfolgreich die Rodungsarbeiten für eine neue Autobahn nach St. Petersburg behindert hatten, informierten sofort die Polizei. Doch es kam die Omon-Spezialeinheit, die nicht das maskierte Überfallkommando festnahm, sondern 15 Umweltaktivisten und zwei russische Journalisten. Bei den Festnahmen wurden zwei Personen leicht verletzt. Die Festgenommenen hätten den Verkehr aufgehalten, erklärten die Omon-Leute. Der Leiter des russischen Straßenbauunternehmens Dorogi Rossii, Andrej Schurawljow, warf den Umweltschützern vor, den Konflikt zu suchen. Durch die Behinderung der Rodungsarbeiten sei für den Staat bereits großer Schaden entstanden, da nun Termine nicht eingehalten werden können.

Bereits am Donnerstag war es zu sechs Festnahmen gekommen. Vertreter der Chimki-Waldschützer und der „Linken Front“ hatten vor dem Amtssitz von Ministerpräsident Wladimir Putin (Foto: afp) zersägte Holzstämme abgelegt. Der Kampf um den Wald wird mit harten Bandagen geführt. Im Mai 2008 wurde das Auto von Michail Beketow, dem Sprecher der Naturschützer, in die Luft gesprengt. Der ehemalige Kriegsreporter ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Er machte weiter, bis er ein halbes Jahr später von Unbekannten vor seinem Haus zusammengeschlagen wurde. Stundenlang lag Beketow in der Kälte, bis er von einer Nachbarin gefunden wurde. Beketow mussten ein Bein und drei Finger amputiert werden. Heute sitzt er im Rollstuhl. Seine Sprache hat er durch die Kopfverletzung, die ihm bei dem Überfall zugefügt wurde, verloren. Die Täter seien von Geschäftsleuten beauftragt worden, die an den Ansiedlungen beiderseits der neuen Autobahn beteiligt sind, vermuten Beobachter.

Es gibt viele Rätsel um die Autobahn durch den Chimki-Wald. Im Januar 2009 wurde der Anwalt von Beketow, Stanislaw Markelow, in Moskau von Unbekannten auf offener Straße erschossen. Weder der Überfall auf Beketow noch der Tod seines Anwalts wurden bislang aufgeklärt.

Moskaus „grüne Lunge“

Seit Jahren kämpfen die Umweltschützer dafür, dass die Autobahn einen Bogen um den Chimki-Wald macht, denn der Wald mit seiner noch ziemlich intakten Flora und Fauna sei eine „grüne Lunge“ für die Großstadt Moskau. In dem Gebiet wachsen Fichten und Tannen. Außerdem gibt es einen 100 Jahre alten Eichenwald. Das Gebiet ist auch die Heimat von Elchen, Grünspechten und Wildschweinen. Doch Wladimir Putin widmete das 144 Hektar große Gebiet im letzten Jahr um. Nun darf der Chimki-Wald für den Bau von Straßen und Industrieanlagen genutzt werden. Die neue Autobahn ist ein staatliches Projekt mit privater Beteiligung. So ist auch der französische Baukonzern Vinci beteiligt. Nach Anordnung von Putin darf durch den Wald eine 250 Meter breite Schneise geschlagen werden. Umweltschützer fragen, warum die Schneise so breit sein muss. Sie verweisen unter anderem darauf, dass Autobahnen in Deutschland deutlich schmaler gebaut werden.

"Saarbrücker Zeitung"

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