Zaren-Adler und deutsche Bühnentechnik
Mit supermoderner Theater-Technik, viel Gold und einer originalen Akustik „wie im 19. Jahrhundert“ will das renovierte Bolschoi-Theater seine Besucher ab Oktober wieder verführen. Ein Besuch auf der Baustelle
„Dort oben war die Loge von Stalin.“ Michail Sidorow, unser Führer zeigt auf eine Loge im ersten Rang, ganz nah am linken Rand der Bühne. Wir befinden uns im Bolschoi-Theater, das im Oktober, nach sechsjähriger Renovierungszeit, wiedereröffnet werden soll.
Bei den Renovierungsarbeiten hatte man entdeckt, dass Stalins Loge besonders starke Betonwände hatte. Stalin hatte Angst vor Anschlägen, meint der Soziologe Sidorow, der jetzt für die Baufirma „Summa Capital“ die Werbung für das Bolschoi-Theater leitet. Der studierte Soziologe hat sich tief in die historischen Akten von Russland berühmtester Bühne eingearbeitet. Stalin habe seine Loge fast zu einem Bunker ausgebaut, so Sidorow.
Der Diktator soll Opern geliebt haben. „Manchmal kam er nur aus dem Kreml, um eine Arie zu hören und verschwand dann wieder.“ Während sich Stalin in einer Loge am Bühnenrand versteckte, hatte der letzte russische Zar, Nikolaus II., seine direkt in der Mitte des ersten Rangs, mit dem besten Blick auf die Bühne und der besten Akustik. Die Loge ziert jetzt wieder der goldene Doppeladler der russischen Monarchie.
Werbe-Chef Sidorow hat die Journalisten im noch unbestuhlten Parkett der weltberühmten Bühne um sich versammelt. In dem historischen Saal mit dem riesigen, noch verhüllten Kronleuchter dröhnt die Musik einer Baustelle. Es wird gehämmert, gesägt und geschliffen. Ein Mann mit einem großen Staubsauger ist unermüdlich im Einsatz, denn der Staub behindert die Arbeit der Restauratoren. Geschützt unter Plastikplanen tragen die Restauratoren hauchdünne Plättchen aus Gold auf die Wand-Verzierungen aus Gips und Pappmaché auf. Dann wird die Goldauflage mit einem Spezialstift poliert, bis sie funkelt. Gearbeitet wird in drei Schichten, rund um die Uhr. Nach Angaben unseres Führers sind im Bolschoi-Theater heute 3200 Personen mit Restaurierungs-und Neubau-Arbeiten beschäftigt. Allein 156 Vergolder sind im Einsatz.
Mit der Generalüberholung wagt das Bolschoi den Spagat zwischen Tradition und Gegenwart, Zaren-Zeit und High-Tech. Für die Bereiche Akustik und Bühnentechnik sind deutsche Firmen zuständig. Moskau bekommt das Feinste vom Feinsten. Sieben Bühnenflächen werden sich absenken, heben und kippen lassen. Damit es eine Akustik gibt, „wie im 19. Jahrhundert“, laufen ständig Klang-Experimente.
2005 war das Bolschoi-Theater wegen der Renovierungsphase geschlossen worden. Der gesamte Theater-Betrieb mit den Ballett-Tänzern, Opernsängern und dem Orchester wurde in ein neugebautes Nebengebäude verlegt. Doch die Renovierungsarbeiten kamen nicht voran. Zeitpläne wurden nicht eingehalten, Geld verschwand in dunklen Kanälen, die Kosten stiegen ins Unermessliche. 2009, Dmitri Medwedew hatte gerade sein Amt angetreten, schaltete sich der Kreml ein und beaufsichtigt die Bauarbeiten seitdem direkt. Nach Angaben des russischen Rechnungshofes sind die Kosten seit Baubeginn um das 16-Fache gestiegen. Nach Angaben des Kulturministeriums rechnet man mit Gesamtkosten von umgerechnet 500 Millionen Euro.
Die Spuren der kommunistischen Zeit sind in dem weltberühmten Haus heute kaum noch zu sehen. Zwei Gedenktafeln an der Frontseite des Theater erinnern daran, dass in dem Gebäude Parteitage der KP und Kongresse der Kommunistischen Internationale stattgefunden haben. Ein Büfett aus der Stalin-Zeit hat man erhalten. Das ist aber auch alles. Die Restauratoren haben sich zum Ziel gesetzt, das Gebäude in dem Stil zu renovieren, wie es vor der Oktober-Revolution ausgesehen hat. Das Hammer-und-Sichel-Symbol auf dem Theater-Giebel an der Frontseite ist verschwunden. Stattdessen sieht man jetzt den zaristischen Doppel-Adler. Und auch der alte weinrote Bühnen-Vorhang mit dem goldgestickten Hammer-und-Sichel-Symbol wird ausgewechselt.
Eigentlich handelt es sich bei den Arbeiten am Bolschoi-Theater nicht nur um eine Renovierung, sondern auch um einen Neubau. Denn parallel zum alten Konzertsaal ist ein neuer unterirdischer Konzertsaal mit 330 Plätzen entstanden. Ob das nötig war? Gruben ausheben, das hat in Russland Tradition, meint eine russische Journalistin. „In solchen Gruben versickert immer viel Geld“. Ausgerechnet in Sichtweite des Kreml eine Grube auszuheben, sei eigentlich auch ziemlich riskant, denn hier im Innenstadtbereich ist alles voller Schächte für die Telekommunikation und die Kanalisation. Die nächste Metro-Station befindet sich in 30 Meter Entfernung.
Aber Moskau liebt nun mal die Superlative. Dass der neue Konzertsaal unter der Erde die Stabilität des Bolschoi-Theaters gefährden könnte, verneint, Sidorow. Um das altehrwürdige Theater von seinem verrotteten Fundament zu befreien, hatten sich die Bauherren eine List ausgedacht. Zunächst wurde das riesige Gebäude auf 7000 Stahlträgern provisorisch fixiert. Dann wurde das alte Fundament beseitigt und anschließend ein neues Fundament eingezogen. Schon Ende des 19. Jahrhunderts war es zu großen Problemen gekommen. Weil das Bolschoi-Theater auf morastigem Grund gebaut war, begann sich das Gebäude zu neigen.
An Skandalen hat das Bolschoi-Theater eigentlich schon alles erlebt, was man sich nur vorstellen kann. Nach Skandalen um Künstler, Aufführungen und Veruntreuung von Geldern gab es im Frühjahr auch noch einen Porno-Skandal. Im Internet waren anrüchige Bilder aufgetaucht von einem Mann, der dem Leiter der Ballett-Truppe und Star-Tänzer Gennadi Janin ähnlich sein soll. Janin musste seinen Posten räumen. Neuer Leiter der Truppe wurde der Tänzer Ruslan Pronin.
Den Restauratoren, die jetzt unter Zeitdruck Goldplättchen auflegen, kann man jetzt nur wünschen, dass sie den Termin im Oktober schaffen. Und den Moskauern und Touristen kann man wünschen, dass die Theater-Preise nach der Wiedereröffnung nicht ins Unermessliche steigen.
veröffentlicht in: Südkurier