16. February 2009

Zerschrammte Seelen

Vor 20 Jahren zog die Sowjetunion ihre Truppen aus Afghanistan ab und hatte fast 15.000 Gefallene zu beklagen. Die Kriegsveteranen fühlen sich als verlorene Generation

Vom grauen Himmel fallen nasse Schneeflocken, doch unter den Veteranen, die sich am Rande des Moskauer Gedenk-Komplexes Poklonaja Gora gesammelt haben, herrscht eine fast aufgeheizte Stimmung. Manche der Afghanistan-Veteranen haben sich seit Jahren nicht gesehen. Nun bietet das runde Datum – vor 20 Jahren, am 15. Februar 1989 zogen die sowjetischen Truppen aus Afghanistan ab – einen Anlass zum Wiedersehen.

Alexander Orlow und Juri Schurin sind aus der fünf Autostunden südwestlich von Moskau gelegenen Kleinstadt Brjansk angereist, um am Bronze-Denkmal des Afghanistan-Kämpfers rote Nelken niederzulegen. Orlow ist schon Großvater, aber die Kameraden, die damals im Kampf fielen, werden nicht alt. „Sie sind immer noch die 18-jährigen Burschen von damals.“ Der ehemalige Soldat starrt vor sich hin.

Am 15. Februar 1989 fuhr der letzte sowjetische Schützenpanzer mit General Boris Gromow über die Termez-Brücke am afghanisch-sowjetischen Grenzfluss Amu Darja. Die Fahrt symbolisierte das Ende eines zehnjährigen Krieges gegen einen islamischen Widerstand, der von den USA und Pakistan politisch gestützt und militärisch aufgerüstet wurde. Man sei dem afghanischen Volk „zu Hilfe gekommen“, so damals die offizielle Begründung, als Generalsekretär Leonid Breschnew und das KPdSU-Politbüro Ende 1979 die Entscheidung zur Intervention trafen, die auch heute noch von den Veteranen vertreten wird. „Wir haben nicht nur gegen die Muschahedin gekämpft, sondern auch Elektrizitätswerke, Chemiefabriken und Kultur-Häuser gebaut“, meint Juri Schurin, der heute als Schweißer arbeitet. „Viele afghanische Piloten und Polizisten konnten sehr gut Russisch. Die afghanischen Polizisten sind mit uns an die Front gegangen.“

Wie er 1982 nach Afghanistan verlegt wurde, daran erinnert sich Alexander Orlow, als ob es gestern gewesen wäre. „Wir waren in Bagram stationiert, nicht weit von Kabul. Von dort ging es an die Front. Zu Fuß oder mit dem Hubschrauber.“ Man sieht den Veteranen an, dass sie noch heute mit den Kriegsereignissen leben. „Auf der Seele bleibt eine Schramme“, meint er . „Es ist die Erinnerung an die gefallen Kameraden. Die vergisst man nie.“

Vier Gefallene täglich

Aus dem Gebiet Brjansk fielen 360 Soldaten. Viele der Gefallenen sind in der Kleinstadt beerdigt. Insgesamt starben in den zehn Jahren Militärpräsenz 14.453 Angehörige der sowjetischen Armee, im Schnitt vier Soldaten täglich. Heute leben in Russland noch 6.000 Kriegs-Invaliden. 141 Soldaten aus Russland werden immer noch vermisst. Manche kehrten erst nach Jahren in die Heimat zurück.

Ob die Kriegs-Erfahrung zu irgendetwas nützlich ist? „Wer nicht in der Armee war, versteht nicht die Hölle, durch die wir gegangen sind“, meint Alexander, „der hat nicht die Härtung eines echten Mannes.“ Manchmal zeige er seinen Kindern sein Afghanistan-Album. „Wir waren ja damals selbst noch Kinder. Wir haben einfach geschossen. Erst als wir geheiratet haben, verstanden wir, was das Leben wirklich ist.“ Juri Schurin wirft ein. „Wir haben damals nicht verstanden, was der Tod ist.“ Wie es mit Afghanistan weiter geht? „Afghanistan wurde noch nie erobert“, sagt er.

Auch Oleg, der in Istra, einer kleinen Stadt westlich von Moskau, ein eigenes Geschäft hat, war froh, als 1989 der Befehl zum Abzug kam. Der heute 39-jährige diente von 1987 bis 1989 in Kundus bei den Raketenwerfern. An Afghanistan erinnert er sich, „als ob es gestern war“. Oleg hat zwei Kinder. Doch er habe Schwierigkeiten, ihnen zu erklären, was das für ein Krieg war. „In der Schule von heute wird wenig erklärt.“ Wie es mit Afghanistan weiter gehen soll? Oleg meint, auch jetzt werde dort ein sinnloser Krieg geführt. „Gegen wenn soll man kämpfen? Gegen die Berge? Die Afghanen leben doch noch im 13. Jahrhundert. Wir haben immerhin Fabriken gebaut, aber die Amerikaner bauen nichts.“

Tränen in den Augen

Der Zug ist am Denkmal des „Internationalisten-Kämpfer“, wie der Afghanistan-Soldat in Bronze heißt, angekommen. Die Bronze-Figur hält lässig eine Kalaschnikow am Knie und schaut in die Ferne. Aus dem Lautsprecher ertönt die Stimme von Ruslan Auschew. Der ehemalige Präsident der russischen Teilrepublik Inguschetien leitet heute die Organisation der Afghanistan-Veteranen in den GUS-Staaten. Der Ex-General versucht die Versammelten aufzuheitern: „Wenn unsere Kommandeure damals wirklich die Kommandeurs-Schule besucht hätten, hätten sie befohlen, später abzuziehen. So feiern wir das Jubiläum heute bei schlechtem Wetter.“ Doch dann wird der ehemalige Kommandeur ernst: „Manche versuchen den Krieg in Afghanistan heute als antiterroristische Operation umzudeuten“, meint Auschew in Anspielung auf Boris Gromow, den Gouverneur des Moskauer Umlandes, der vor 20 Jahren den Truppenabzug leitete und heute versucht, den Krieg von damals zeitgemäß umzudeuten. Auschew hält dagegen: „Das afghanische Volk hat uns damals um Hilfe gebeten und wir haben diese Hilfe geleistet. Als der Befehl zum Abzug kam, sind wir abgezogen.“ So wie Auschew denken heute fast alle Veteranen.

Aus den Lautsprechern ertönt Trauermusik. Die Männer legen rote Rosen und Nelken vor das Bronze-Denkmal. Sergej begrüßt Kameraden von früher. Es sind gestandene Männer doch manchem stehen Tränen in den Augen.
Hintergrund

Ulrich Heyden arbeitet seit fast 20 Jahren als freier Autor und Korrespondent in Moskau, für den Freitag schreibt er seit Mitte der neunziger Jahre

"Der Freitag"

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