6. November 2008

Zuckerbrot auf russisch

Russland habe kein Problem mit dem Anti-Amerikanismus, beteuert der russische Präsident. Doch Kurzstreckenraketen in Kaliningrad seien schon nötig, als Antwort auf den US-Raketenschirm. 

MOSKAU. Historisch sei das russisch-amerikanische Verhältnis, nämlich "ein weltweit wichtiger Stabilitätsfaktor", heißt es in einem Glückwunschtelegramm Medwedews an Obama. In der Jahresbotschaft, die Medwedew gestern vor den beiden Kammern des russischen Parlaments hielt, beteuert der russische Präsident zudem, man habe "kein Problem mit dem amerikanischen Volk, wir haben keinen angeborenen Anti-Amerikanismus". Er hoffe, die neue US-Administration entscheide sich zugunsten "vollwertiger Beziehungen" mit Russland.

Doch dann kam schon die kalte Dusche. Der Kreml-Chef kündigte an, man werde im westlichsten Gebiet Russlands, Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, auf Schiffen moderne Iskander-Kurzstreckenraketen stationieren. Die Raketen seien die Antwort auf den von den USA geplanten Raketenabwehrschirm in Polen und Tschechien und die Einkreisung Russland durch Militärstützpunkte und neue Nato-Mitglieder, erklärte der Kreml-Chef. Medwedew kündigte auch an, man werde in Kaliningrad eine elektronische Radar-Störung aufbauen. Russland habe den USA wiederholt vergeblich die Zusammenarbeit bei der Raketenverteidigung angeboten, kritisierte er. Allerdings lasse sich Moskau trotz einer "zügellosen NATO-Erweiterung nicht in ein neues Wettrüsten locken. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin kritisierte das Vorhaben. "Ich halte diese Ankündigung gerade am heutigen Tag für ein falsches Signal zum falschen Zeitpunkt", erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Jens Plötner.

Medwedew ging in seiner Jahresbotschaft, in welcher er die Aufgabe der nächsten Zeit umriss, hart mit der US-Administration ins Gericht. Mit der Unterstützung für die "abenteuerliche" Führung Georgiens und die in den USA geborene Finanzkrise habe Washington den Anspruch der Führerschaft in der Welt verwirkt, erklärte der russische Präsident. "Die Tragödie von Zchinwali", der Hauptstadt von Südossetien, sei die Folge des "selbstgefälligen Kurses" der amerikanischen Regierung. Medwedew gab den USA eine klare Mitverantwortung für den Krieg gegen Georgien. Moskau werde aber im Kaukasus nicht nachgeben.

Medwedew forderte eine "radikale Reform des politischen und wirtschaftlichen Systems" in der Welt. Es müsse mehrere Finanzzentren in der Welt geben, erklärte Medwedew. Der Rubel müsse zu einer regionalen Währung werden. Russland sei bereit, bei der Reform der internationalen Finanz- und Sicherheits-Systeme mit den USA, der Europäischen Union und allen Interessierten zusammenzuarbeiten. Dabei hob er die aufstrebenden Staaten Indien und China ganz besonders hervor.

Im zweiten Teil seiner Jahresbotschaft kündigte der russische Präsident kleine demokratische Reformen im eigenen Land an. Hier waren von Medwedew plötzlich erstaunlich kritische Töne zu hören. "Der Staatsapparat bei uns, das ist der größte Arbeitgeber, der aktivste Verleger, der beste Producer, er ist sein eigenes Gericht, seine eigene Partei und schließlich sein eigenes Volk." So ein System sei nicht effektiv, erklärte Medwedew. Solch ein System führe unweigerlich zur Korruption. Wichtig sei, das jeder Bürger und jeder Unternehmer sich frei entwickeln könne. Überraschend war auch die Ankündigung, den kleinen Parteien wieder mehr Rechte zu geben. Sofort klatschte Putin, vom Staatsfernsehen groß in Szene gesetzt. Putin hatte den kleinen Parteien durch scharfe Gesetze die Luft abgeschnürt.

Medwedew kündigte die Aufweichung der Sieben-Prozent-Hürde an. Jede Partei, die zwischen fünf und sieben Prozent erringt, müsse im Parlament vertreten sein, erklärte der Kreml-Chef. Medwedew forderte außerdem das Rotationsprinzip in den Parteiführungen sowie eine jährliche Rechenschaftspflicht der Regierung vor dem Parlament. Doch dann kam wieder ein kalter Schauer. Man werde die Verfassung "korrigieren" und die Amtszeit von Präsident und Duma von jeweils vier auf sechs bzw. fünf Jahre verlängern.

"Thüringer Allgemeine"

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