6. March 2025

Zwei aktuelle russische Filme über den Krieg in der Ukraine zeigen das Geschehen aus ungewohnten Blickwinkeln. (Berlin 24/7)

Dokumentarist Maxim Fadejew bei der Premiere seines Filmes in Moskau, Foto Ulrich Heyden
Foto: Dokumentarist Maxim Fadejew bei der Premiere seines Filmes in Moskau, Foto Ulrich Heyden

Zwei aktuelle russische Filme über den Krieg in der Ukraine zeigen das Geschehen aus ungewohnten Blickwinkeln. 

Drei Jahre nach der Eskalation des Ukrainekrieges haben die russischen Fernseh-Korrespondenten Konkurrenz bekommen. Es gibt jetzt zwei Filme, die aus der Sicht von russischen Soldaten und Zivilisten über den Krieg in der Ukraine berichten, eine bisher stark vernachlässigte Seite der russischen Berichterstattung. 

Ein Bericht von Ulrich Heyden (Moskau)

Im Moskauer Kino „Oktjabrskij“ wurde Anfang Februar der Film „Die Unseren – eine Ballade vom Krieg“ vorgestellt. Der Film über den Kampfeinsatz russischer Soldaten 2022 in der Südukraine wurden von Soldaten selbst konzipiert und finanziert. 

Außerdem ist jetzt in Moskauer Kinos der Dokumentarfilm „Am Rande des Abgrunds“ von Maxim Fadejew über den Kampfeinsatz des Donezker Bataillons „Somali“ in Mariupol 2022 angelaufen. Regisseur Fadejew ist in Russland zurzeit einer der meistgelobten Filmemacher. 

Die russischen Fernsehzuschauer bekamen den Krieg in der Ukraine seit 2022 nur sehr vermittelt mit. Ein Vertreter des Generalstabs rattert die Zahlen von dem feindlichen Militärgerät und den feindlichen Soldaten runter, die man an einem Tag vernichtet habe. Russische Soldaten sprechen vor der Kamera – aus Sicherheitsgründen – fast nur mit einer Maske, die das Gesicht zur Hälfte verdeckt. Nur russische Militärkorrespondenten sprechen vor der Kamera ohne Gesichtsschutz. 

Im russischen Fernsehen dominieren Berichte über die russische Militärtechnik. Man sieht Piloten beim Kampfeinsatz mit verpixelten Gesichtern, Soldaten die Haubitzen nachladen und dann den Knall mit Rauch und Feuer, russische Lenkwaffen, die wie gefährliche Schatten über ukrainische Städte fliegen und immer wieder russische Drohnen, die auf ukrainische gepanzerte Fahrzeuge gesteuert werden und beim Aufprall in einer Wolke aus Staub und Explosionen verschwinden. 

Einseitig, aber menschlich

Ganz anders geht es zu im Dokumentartfilm „Am Rand des Abgrunds“ «У края бездны» — фрагмент 3-йсерии, von Maksim Fadejew. Der Dokumentarfilmer Fadejew, der das in Donezk gebildete Freiwilligen-Bataillon „Somali“ seit 2014 begleitet, war im März 2022 beim Sturm der Stadt Mariupol durch russische Einheiten und Einheiten der Volksrepublik Donezk dabei. Fadejew begleiteten die Kämpfer des „Somali“-Bataillons, die sich in Mariupol Straße um Straße, Haus um Haus, in das Stadtzentrum und weiter bis zum Asowschen Meer durchkämpften. 

Immer wieder hält der Dokumentarist die Kamera gefühlte Minuten auf das Gesicht eines Kämpfers, der keine Maske trägt. Die Anspannung, mit welcher der Kämpfer eine Etage in einem hochgeschossigen Wohnhaus beobachtet, wo sich ukrainische Soldaten verschanzt haben, überträgt sich auf den Zuschauer. 

Warum schossen russische Soldaten auf Wohnhäuser? Die oberen Etagen der Wohnhäuser waren schon leer. Die Bewohner hatten sich in die Keller geflüchtet. In den oberen Etagen hielten sich aber noch ukrainische Soldaten verschanzt. Dies berichtete mir im Sommer 2022 eine Frau aus Mariupol die nach Lugansk geflüchtet war. Die ukrainischen Truppen nutzten die Bewohner der hochgeschossigen Wohnhäuser als menschliches Schutzschild gegen die russischen Truppen.

Auch ein aus Mariupol stammender Videoblogger berichtete, dass die ukrainischen Soldaten sich in oberen Etagen der mehrgeschossigen Wohnhäuser verschanzt hatten.  https://www.youtube.com/watch?v=5yVviM_g3eU

Nach seinem Bericht war Mariupol ab dem 1. März 2022 von russischen Truppen umzingelt. Der Bürgermeister der Stadt, Wadim Boitschenko, habe nur Teile der Stadtverwaltung nicht aber die Bevölkerung evakuiert. 

Am 2. März habe sich die Stadt „in eine Hölle verwandelt“, so der Videoblogger. „Es gab keine Elektrizität und kein Wasser.“ Die Stadtverwaltung erklärte alles sei „unter Kontrolle“. Anstatt mit Bussen Menschen zu evakuieren, wurden die Busse benutzt, um Straßen gegen Panzer zu blockieren. Das ukrainische Militär habe alle Wege aus der Stadt geschlossen. Selbst mit dem eigenen Auto habe man die Stadt nicht verlassen können. Eine Evakuierung der Zivilbevölkerung begann erst ab dem 17. März, nachdem die russischen Truppen die Stadt erobert hatten.  

Die Flüchtlinge aus Mariupol gerieten beim russischen Angriff auf Mariupol zwischen die Fronten, denn die ukrainischen Truppen verunmöglichten den Abzug der Flüchtlinge in sichere Gebiete. Im Film „Am Rand des Abgrunds“ wird gezeigt, wie die Somali-Einheit einer Gruppe von Zivilisten, die in einem Auto die Stadt verlassen wollten, den Befehl gab das Auto zu stoppen und sich in Deckung zu begeben. 

„Am Rande des Abgrunds“, Filmplakat

Die Brutalität des Krieges wird schonungslos gezeigt 

Man sieht wie die Somali-Kämpfer schwerverletzte Kameraden aus dem Schussfeld holen und man sieht junge Soldaten – Russen und Ukrainer -, die mit halboffenen Augen in Trümmern und Staub liegen. Sie sind tot. 

Der Film zeigt, wie sich die Somali-Soldaten vor den Kellern der hochgeschossigen Wohnhäuser mit Anwohnern unterhalten. Die Gespräche verlaufen ohne Spannung, ohne Vorwürfe, ohne Wut. Die Anwohner scheinen die Soldaten als ganz normale Menschen – nicht als „imperialistische Ungeheuer“ – zu sehen. 

Als die Somali-Kämpfer sich nahe am Asowschen Meer durch eine Datschen-Siedlung kämpfen, hört man, wie ein Mann aus einer Datscha den Somali-Kämpfern aufmunternd zuruft, „tötet sie“. Dem Zuschauer fällt es schwer so einen Ausruf als Anbiederung an die Eroberer zu interpretieren.

Offenbar haben in Mariupol viele Einwohner auf die russischen Truppen gewartet. Der Bürgerkrieg in Mariupol hatte schon im Mai 2014 begonnen, als ukrainische Sicherheitskräfte die Polizeizentrale von Mariupol angriffen Vor zehn Jahren: Ukrainische Soldaten beschießen Demonstration zum 9. Mai und Polizei-Zentrale in Mariupol. Der Grund: Die Polizisten hatten sich geweigert mit Gewalt gegen Demonstranten vorzugehen, die am 9. Mai den Tag des Sieges über Hitler-Deutschland feierten. 

Im Film „Am Rande des Abgrunds“ sieht man auch, dass die Somali-Soldaten sich nicht nur um die „Säuberung“ von Wohnblöcken kümmern, sondern auch Zivilisten helfen. Man sieht, wie einer der Somali-Kämpfer eine alte Frau, die orientierungslos umherirrt, in sicheres Gebiet führt. 

Man bekommt aber auch einen Einblick in das Verhältnis der Soldaten untereinander. In einem halbzerstörten, hochgeschossigen Haus, sieht man einen Somali-Kämpfer mit fülliger Statur auf den Treppenstufen sitzen. Er starrt mit offenen Augen vor sich hin und sagt keinen Ton. „Er hat wohl einen Infarkt erlitten“, sagt ein Kamerad. 

Vor dem Zusammengesackten hielt der Kommandeur der Einheit den Soldaten eine Standpauke. Der Kommandeur schimpft, „wer nicht stürmen kann, wird hier nicht gebraucht. Das kostet uns zu viel Kräfte.“ Danach sieht man, wie zwei Somali-Kämpfer den vor sich hinstarrenden Kameraden unterhaken und wegschleppen. 

Am Ende des ersten Film-Teils werden – untermalt mit einem Lied über die Härte des Krieges – werden die Namen und Porträtfotos der Gefallenen eingeblendet. Sie sind alle zwischen 21 und 40 Jahren alt. Ein großer Teil der Somali-Kämpfer ist bei den Kämpfen 2022/23 gefallen.

„Am Rande des Abgrunds“ in Moskauer Kinos

Der Film „Am Rande des Abgrunds“ läuft seit dem 6. Februar in Moskauer Kinos https://afisha.yandex.ru/moscow/cinema/u-kraya-bezdny?schedule-preset=today

Der Film ist einseitig. Er zeigt den Krieg von der russischen Seite. Aber er ist ehrlich, ungeschönt und sehr menschlich. Immer wieder schwenkt die Kamera zu flüchtenden und verletzten Zivilisten, Großmüttern, die aus brennenden Häusern humpeln, Kindern, die im Kriegslärm Ball spielen oder zu einem Anwohner, der beginnt, den Hauseingang zu fegen, offenbar, um sich abzulenken. 

Vor 2014 verdiente der Dokumentarfilmer Fadejew, der aus Slawjansk stammt, als Designer gutes Geld. Niemand zwang ihn in den Krieg zu ziehen. Er habe sich berufen gefühlt, die Soldaten mit der Kamera zu begleiten, erzählt er in einem Interview mit dem Portal „Regnum“.  „Die Gesellschaft braucht die Wahrheit über den Krieg. Der Krieg kam zu uns, als wir ihn vergessen haben. Wir sprechen viel darüber, dass wir den Großen Sieg (im „Großen Vaterländischen Krieg“, dem Zweiten Weltkrieg) erinnern. Aber im Grund haben wir vergessen, was Krieg ist.“  https://dzen.ru/a/Z4UcCgYSLyYMU56x

Eine deutsche oder englische Fassung des Filmes gibt es nicht. Der Film besteht aus vier „Serien“. Die Online zugängliche Gesamt-Fassung ist sieben Stunden lang.

Erinnerungsfoto mit Gewehr

„Die Unseren – Eine Ballade vom Krieg“  https://rutube.ru/video/803418dd0acb6f28b71b1c80f253c2cc/?ysclid=m7cbazpgln83976068 ist ein Spielfilm. Er wurde Anfang Februar im Moskauer Kino Oktjabrski auf einer geschlossenen Veranstaltung vor 1.500 Zuschauern gezeigt. Der Film hat noch keine Zulassung für den Verleih bekommen.

Obwohl es technische Fehler gab, der Ton war an manchen Stellen zu laut, erhoben sich die Zuschauer am Schluss spontan zum Applaus. Viele hatte Tränen in den Augen. 

Zu der Vorführung waren zahlreiche Männer gekommen, die in der Ukraine gekämpft haben. Sie hatten auch ihre Familien mitgebracht. Im Foyer des Filmtheaters gab es eine Wand mit dem Filmplakat, Munitionskisten und Schusswaffen. Viele Zuschauer wollte sich hier mit ihren Liebsten – oder zusammen mit dem Regisseur – fotografieren lassen. 

Der Regisseur des Filmes „Die Unseren“, Artjom Artjomow bei der Premiere in Moskau, Foto Ulrich Heyden

Der Kriegsalltag wurde ausgeblendet

Der Regisseur des Filmes, Artjom Artjomow, ein russischer Major und Kriegsteilnehmer, hat es geschafft, parallel zu seinem Militärdienst noch einen Spielfilm zu drehen. Er wollte darstellen, wie das Verhältnis der Soldaten untereinander und das Verhältnis der Soldaten zur Zivilbevölkerung im Krieg aussieht, erklärte Artjomow in einem Interview.

Das Szenarium schrieb er selbst. Nichts ist ausgedacht. Alles gab es in der Realität, sagt Artjomow. Viele Helden des Films, die von Schauspielern dargestellt werden, leben schon nicht mehr. Sie fielen im Krieg. 

Für seinen Debüt-Film hatte sich der Regisseur, der im Krieg als Kommandeur kämpft, Urlaub genommen. Nach der Präsentation des Filmes in Moskau, fuhr er zurück an die Front im Gebiet Saporoschje.

Er wollte diesen Film unbedingt machen, denn er habe festgestellt, dass Szenarien über den Krieg meist von Leuten geschrieben werden, die in Moskau leben und den Krieg nur vom Hörensagen kennen, erzählte der Regisseur in einem Interview. Die Moskauer Szenaristen wollten einen Film über den Krieg mit Liebesszenen überfrachten. So erging es Artjomow, als er sein Film-Szenarium einem Moskauer Experten vorlegte und dieser alles ändern wollte. 

Dem Major gefiel das nicht. Er zog sein Filmprojekt alleine durch. Mit Hilfe einer Bekannten in Moskau fand er geeignete Schauspieler. Unter Freunden und Mitkämpfern sammelte er Geld, umgerechnet 400.000 Euro. Damit drehte Artjomow in vier Wochen seinen Film.

Den Film jetzt unter die Leute zu bringen, sei nicht einfach. Denn er sei an der Front und könne keine Verhandlungen mit Verleihfirmen führen. 

Nun zu der Handlung des Filmes. „Die Unseren“ handelt von einer russischen Aufklärungs-Einheit, die im Sommer 2022 als Voraus-Trupp im südukrainischen Gebiet Saparoschje ankommt und ein Quartier sucht. In der wunderschönen, hügeligen Gegend stehen nur ein paar Bauernhäuser. 

Die „Okkupanten“ als Helfer

Als der Kommandeur der Voraus-Truppe, ein bärtiger, schlanker Mann mit dem Kampfnamen „Moskwa“, mit einem Jeep durch einen kurvenreichen Waldweg fährt, passiert ein Unglück. Man sieht, dass vor dem Jeep eine junge blonde Frau – Olga – auf einem Fahrrad kräftig in die Pedale tritt und sich ab und zu angstvoll umdreht. Plötzlich verliert sie die Kontrolle über das Fahrrad, stürzt und verstaucht sich ein Bein.

Der Kommandeur stoppt den Jeep. Er will der Gestürzten helfen, aber die lehnt jede Hilfe ab. Doch „Moskwa“ lässt sich nicht stoppen. Er trägt die Frau in den Jeep und bringt sie zu ihren Eltern, wo die Kameraden des Kommandeurs bereits Quartier bezogen haben. 

Filmplakat „Die Unseren“

Die Familie, bei der die Soldaten untergekommen sind, hat ein kühles Verhältnis zu den russischen Soldaten. Der Vater von Olga, ein grauhaariger Mann macht ein missmutiges Gesicht. Er ist enttäuscht von Russland und sagt trotzig, „das ist meine Erde“. Seine Tochter erzählt, ihr Vater habe die russischen Soldaten bereits 2014 erwartet. Dass die nicht kamen, habe ihn enttäuscht. 

Um das Eis zu brechen, ordnete Kommandeur „Moskwa“ an, der Familie Lebensmittel zu geben. Doch das ist noch nicht alles. Die russischen Soldaten beginnen im Bauernhaus die Fenster auszubessern. Schließlich klettern sie aufs Dach um dort ein Loch zu flicken. 

Mit anerkennenden Blicken beobachtet die Mutter von Olga, wie die Soldaten das Haus in Ordnung bringen. Schließlich werden sie von der Familie zum gemeinsamen Essen eingeladen. 

„Wir haben zuhause die gleichen Bilder“

Nach dem Essen sieht man, wie die Soldaten alte Schwarz-Weiß-Fotos betrachten, die an der Wand hängen. Es sind Fotos von Männern, Verwandten der Familie, die im Zweiten Weltkrieg gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft haben. Ein Soldat sagt, „wir haben zuhause die gleichen Bilder.“

Spätabends kommt es vor dem Haus zu einem Gespräch zwischen Kommandeur „Moskwa“ und Olga. „Moskwa“ fragt, „was hast du über uns gedacht, dass wir Okkupanten sind?“ Olga schweigt einen Augenblick und sagt dann, „ja. Am Anfang habe ich das gedacht. Jetzt nicht mehr.“ Moskwa fragt weiter, „warum?“ Olga: „Okkupanten verhalten sich anders.“ Moskwa: „Wie verhalten wir uns?“ Olga, „ihr – es folgt eine lange Pause – seid unsere.“

Die fast idyllische Stimmung rund um das Bauernhaus wird plötzlich aufgerissen, als an einem Morgen in unmittelbarere Nähe des Hauses ukrainische Granaten einschlagen. Die ukrainische Armee nähert sich. Kommandeur „Moskwa“ eilt zur russischen Kommandozentrale ein paar Häuser weiter. Dort herrscht Aufregung und Chaos. Funktelefone quaken unaufhörlich durcheinander. Es gibt hohe Verluste auf russischer Seite. Man hört Flüche über schlechte Organisation. Ein Soldat sagt, „wie kann man beim Auswechseln der Kräfte Lastwagen einsetzen?“ Die würden doch sofort auffallen. 

„Wir sind alt, fahr du weg!“

Vor dem Quartier der russischen Voraus-Einheit spielt sich derweil eine dramatische Szene ab. Die Eltern von Olga fordern die Tochter auf, sich mit dem Fahrrad unverzüglich in Sicherheit zu bringen. „Wir sind alt, fahr du weg!“

Kaum ist Olga weg, tauchen drei ukrainische Soldaten auf. Man erkennt sie an ihren blauen Armbinden. Einer der Soldaten findet in dem Haus ein Buch aus der Sowjetzeit und schleudert es verächtlich weg. Er fragt, „sind hier noch mehr?“ Die Eltern von Olga schütteln den Kopf. Sekunden später werden sie von den ukrainischen Soldaten niedergeschossen. Auch die Hühner, die aufgeregt gackern, werden mit einer Garbe aus der automatischen Waffe niedergestreckt.

Unterdessen sieht man den Kommandeur „Moskwa“, wie er an der Stelle wo die ukrainischen Soldaten, die russische Frontlinie durchbrochen haben, einen verwundeten Russen verbindet. „Moskwa“ fragt den Verwundeten, „warum bist du hier?“ Der Verwundete antwortet, „um meine Schuld abzutragen. Ich saß 20 Jahre im Gefängnis. Meine Tochter ist schon erwachsen.“ Der Verwundete wird mit einem Lada-Zivilauto evakuiert. „Moskwa“ verlässt seine Stellung und schießt mit einer Panzerfaust auf einen ukrainischen Tank, der stehenbleibt. Die Situation wendet sich. Russische Granate schlagen ein und vertreiben die Ukrainer. 

Ein Kommandeur, der keinen Orden will

Der Film endet mit Szenen aus einem Krankenhaus, wo ein Vertreter des russischen Generalstabs an verwundete Soldaten Orden verleiht. Man sieht „Moskwa“, der auch verwundet ist, sich aber abseits hält. Orden scheinen ihn absolut nicht zu interessieren. Er denkt an Olga. Eine Krankenschwester überredet den Kommandeur. Und schließlich bekommt auch er seinen Orden. 

Olga, die inzwischen in Sicherheit ist, sieht die Ordens-Verleihung im Fernsehen. Sie schaut gedankenverloren in die Ferne und scheint sich an die Nacht zu erinnern, wo sie und der Kommandeur vor dem Bauernhaus über den Krieg gesprochen haben. 

Soweit die Handlung des Films. 

In einem Interview mit dem russischen Internet-Portal Ukraina.ru sagte der Regisseur Artjomow, dass es zu Beginn der sogenannten „Spezialoperation“ ziemliche Unklarheiten gab. „Zu Beginn hat Niemand genau verstanden, was los ist. Wir sind in das Territorium vorgestoßen, haben Dörfer befreit. Aber dort hing weiter die ukrainische Flagge. Niemand wusste, was man mit diesem Dorf machen soll. Ein Kommando von oben gab es nicht. Eine Kommandantur wurde erst nach einem Monat eingerichtet. Jeder agierte nach seinem Verständnis und nach seiner Motivation. Warum sind wir gekommen? Sind wir gekommen, um Kiew zu befreien? Oder sind wir gekommen, um eine neue Ordnung zu errichten und gehen dann sofort zurück? Jeder hat diese Fragen für sich selbst entschieden.“

„Das ukrainische Volk ist nicht schuldig“

Nach der Film-Vorführung im Moskauer Oktjabrski-Kino kam ich mit Aleksandr Karljuk, einem 60 Jahre alten Soldaten ins Gespräch, der im Gebiet Saporoschje stationiert ist. Er hatte einen Kampfanzug an und die ganze Brust voller Orden. Er sei Experte für Minen und habe bei den Film-Aufnahmen den Einsatz von scharfen Minen überwacht, erzählte er mir. 

Ob der Film „Die Unseren“ die junge Generation nicht vom Krieg abschreckt, weil alle Probleme so offen angesprochen werden, fragte ich. Karljuk antwortete, „man muss die Realität zeigen, damit die Menschen wissen, was wirklich los ist. Der Film ängstigt die Russen nicht. Man muss die Russen kennen. Wir haben keine Angst. Wir wollen mit dem Film zeigen, wer die Wahrheit sagt. Die Wahrheit ist auf unserer Seite.“ 

In dem Film „Die Unseren“ habe man zeigen wollen, dass Russen und Ukrainer ein Volk sind. „Wir wollten mit dem Film zeigen, dass wir in der Ukraine gegen den Faschismus kämpfen. Das ukrainische Volk ist nicht schuldig. So wie auch das russische Volk nicht schuldig ist. Wir waren einmal ein Volk, Russen und Ukrainer.“  

Ich fragte Karljuk, warum in dem Film „Die Unseren“ ukrainische Soldaten „Deutsche“ genannt werden. Er lächelte und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir meinen damit nicht das deutsche Volk.“ Der Begriff hänge mit dem Kampf gegen die deutschen Faschisten im Zweiten Weltkrieg zusammen. Der Begriff „Deutsche“ gehöre zur Soldaten-Sprache im Krieg. Im Übrigen würden die ukrainischen Soldaten auch „Blaue“ genannt, wegen ihrer blauen Armbinden.

Mich haben beide Filme sehr bewegt. Das hängt wohl damit zusammen, dass ich seit 2014 oft im Donbass war und die Menschen dort kenne. Auch mit den Freiwilligen, die ab 2014 auf Seiten der Volksrepubliken kämpften hatte ich Kontakt und ich habe ihre Stellungen besucht. Leider gibt es die beiden Filme weder auf Englisch noch auf Deutsch. Eine Simultan-Übersetzung wäre sehr wichtig. Sie würde Menschen außerhalb von Russland einen realen Einblick in das Kriegsgeschehen geben. 

Ulrich Heyden wurde 1954 in Hamburg geboren. Er ist gelernter Metallflugzeugbauer und hat sechs Jahre in Hamburger Metallbetrieben gearbeitet. Er studierte auf dem Zweiten Bildungsweg Volkswirtschaft und danach Neuere und Mittlere Geschichte. Seit 1992 lebt und arbeitet er in Moskau. Er ist mit einer Russin verheiratet. Ab 1992 arbeitete er als freier Journalist für den „Deutschlandfunk“, „die tageszeitung“, „der Freitag“, „Sächsische Zeitung“, „Die Wochenzeitung“ (Zürich) und „Die Presse“ (Wien). Nachdem Mainstream- und auch linke Medien ab 2014 die Zusammenarbeit mit ihm beendeten, ist er nun tätig für „Nachdenkseiten“, „Globalbridge.ch“, „Overton-Magazin“, „Junge Welt“ und „RT DE“. Er macht auch Filme, die man auf seiner Website findet (ulrich-heyden.de).

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

veröffentlicht in: Berlin 247 

 

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