14. February 2018

Zweierlei Maß

Im Unterschied zur Gefängnishaft von Julia Timoschenko schweigt die Bundesregierung jetzt zur Abschiebung von Saakaschwili nach Warschau.
Was kann man von einem Präsidenten erwarten, der seit vier Jahren sein eigenes Volk in der Ost-Ukraine bombardieren lässt? Europäische Werte? Menschenrechte? Wohl eher nicht. So war es für mich kein Wunder, dass Michail Saakaschwili auf Geheiß von Petro Poroschenko am 12. Februar mit brutalen Methoden (1) von einer Spezialeinheit des ukrainischen Grenzschutzes im Kiewer Restaurant „Suluguni“ zu Boden geworfen und dann nach Warschau ausgeflogen wurde.

 

Von Polen aus hatte der ehemalige Gouverneur von Odessa am 10. September 2017 gegen den Willen der ukrainischen Führung die Grenze zur Ukraine überschritten. Gegen seine schon länger geplante Ausweisung aus der Ukraine hatte Saakaschwili bei einem Kiewer Gericht Widerspruch eingelegt.

Warum geht Poroschenko so brutal vor?

 

Er will vor den Präsidentschaftswahlen 2019 das Feld von Gegenkandidaten frei machen. Saakaschwili ist zwar noch kein ernsthafter Gegenkandidat, er könnte sein Potential aber bis zu den Wahlen noch ausbauen. Außerdem ist sich Poroschenko sicher, dass er für den Westen als ukrainischer Präsident unersetzlich ist und deshalb frei agieren kann.

Wie wurde Saakaschwili zum Erzfeind?

Saakaschwili ist für den ukrainischen Präsidenten zu einem Erzfeind geworden, nachdem der ehemalige georgische Präsident 2016 von seinem neuen Posten als Gouverneur von Odessa aus begann, die politische Elite in Kiew der Korruption zu bezichtigen. Am 29. Mai 2015 hatte der ukrainische Präsident Saakaschwili die ukrainische Staatsbürgerschaft übertragen und ihn danach zum Gouverneur von Odessa ernannt. Am 26. Juli 2017 wurde Saakaschwili die ukrainische Staatsbürgerschaft wieder entzogen, weil er angeblich falsche Angaben zur Person gemacht hatte.

Was werfen die georgischen Behörden Saakaschwili vor?

In Georgien laufen gegen Saakaschwili mehrere Strafverfahren, wegen Verwendung staatlicher Gelder für persönliche Zwecke und wegen der Überschreitung von Amtsvollmachten. Der ehemalige georgische Präsident hatte am 7. November 2007 eine Anti-Saakaschwili-Demonstration auflösen lassen. Anfang Januar wurde Saakaschwili von einem Gericht in Tbilissi wegen Mißbrauch der Amtsvollmachten zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt (2). Die Richter warfen dem ehemaligen georgischen Präsidenten vor, dass er einen hohen Beamten aus dem georgischen Innenministerium begnadigt hatte. Dieser Beamte soll in den Mord an dem georgischen Bankier Aleksander Girgwliani verwickelt gewesen sein. Die ukrainischen Behörden haben von Kiew mehrmals die Auslieferung des ehemaligen georgischen Präsidenten gefordert.

Warum wurde Saakaschwili nicht nach Georgien ausgeflogen?

Poroschenko nimmt auf Washington Rücksicht. Die georgischen Behörden würden Saakaschwili sofort hinter Schloss und Riegel bringen. Doch eine Haft Saakaschwilis in Georgien würde die USA in eine peinliche Lage bringen, meint der georgische Politologe Aleksandr Tschatschia (3). Georgien ist das Land, wo es 2003 die erste von den USA unterstützte bunte Revolution gab. Seitdem ist Georgien auf dem Weg in den Westen.

Warum ist Saakaschwili in die radikale Opposition zu Poroschenko gegangen?

Erstens sieht sich der ehemalige georgische Präsident als Träger westlicher Werte und Interessen. Der Westen will in der Ukraine eine von Korruption gesäuberte Wirtschaft, um dort effektiv und zu Gunsten eigener Interessen wirtschaften zu können. Zweitens weiß Saakaschwili, dass man ihn im Westen zumindest als Druckmittel gegen den selbstherrlichen Poroschenko schätzt.

Wie wird Saakaschwili weiter vorgehen?

Saakaschwili kann sich in der Ukraine auf die weit verbreitete Kritik an Poroschenko stützen, meint Ruslan Bortnik, Direktor des ukrainischen Instituts für Politik und Management (4). Saakaschwili sei „in der Lage, je nach Situation Menschen zu sammeln, insbesondere Radikale, die mit Gewalt vorgehen können. Darum glaube ich, dass er versuchen wird in die Ukraine zurückzukehren.“ Vermutlich werde er von Polen aus über die grüne Grenze in die Ukraine kommen.

Wird Merkel Saakaschwili unterstützen?

Angela Merkel wird Saakaschwili nicht gegen Poroschenko unterstützen, denn dieser ist für sie noch unersetzlich. Saakaschwili konnte in der Ukraine keine massenhafte Oppositionsbewegung gegen Poroschenko aufbauen. Er ist realpolitisch für den Westen bisher nur ein nützlicher Stachel im Fleisch von Poroschenko.

Nach welchen Standards misst die Bundesregierung?

Die brutale Ausschaffung von Saakaschwili – ungeachtet eines laufenden Widerspruchsverfahrens vor einem ukrainischen Gericht – verstärkt den Eindruck, dass die Bundeskanzlerin es mit europäischen Werten nicht wirklich ernst meint. Die deutschen Mainstream-Medien springen in dieser für die Kanzlerin peinlichen Situation in die Bresche und berichten immerhin über das brutale Vorgehen der Kiewer Spezialeinheit gegen Saakaschwili. Sie kritisieren aber nicht , dassDeutschland so ein diktatorisch regiertes Land wie die Ukraine politisch und finanziell unterstützt.

Was ist der Unterschied zwischen Saakaschwili und Timoschenko?

Die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko (2007 bis 2010) und Michail Saakaschwili stilisierten sich im Westen beide erfolgreich als Kämpfer gegen ein „autoritäres Regime“. Es ist erst fünf Jahre her, da hatte die Bundesregierung die Freilassung der ukrainischen Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko aus dem Gefängnis gefordert (5). Die Freiheit der ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidentin wurde auch zur Herzensangelegenheit des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der aus Protest gegen die Haft von Timoschenko eine Reise in die Ukraine absagte. Timoschenko war wie Saakaschwili in Korruption verstrickt, doch sie wurde von den deutschen Medien als Opfer eines Moskau-freundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch hochstilisiert.

Saakaschwili ist dagegen "nur" Opfer eines Präsidenten in Kiew, der mit westlicher Hilfe auf den Thron gehoben wurde. Deshalb wird sich in Berlin jetzt keine Hand für ihn rühren. Da Saakaschwili jedoch auf jeden Fall in die Ukraine zurückkehren will und dort über genug Anhänger verfügt, die ihm dabei helfen werden, wird es für die Bundesregierung immer schwieriger, ihre blinde Unterstützung für das Regime in Kiew zu begründen.

Quellen und Anmerkungen:

(1) Video-Aufnahmen von Überwachungskameras https://www.youtube.com/watch?v=EG6Nv1lTyA4)
(2) https://ria.ru/world/20180105/1512165058.html
(3) https://ria.ru/radio_brief/20180213/1514507014.html
(4) https://ria.ru/world/20180213/1514526489.html
(5) https://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article107791253/Bundesregierung-fordert-Freilassung-Timoschenkos.html

veröffentlicht in: Rubikon

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