Das große Schweigen, 05.11.07
Über die Oktoberrevolution möchte der Kreml am liebsten nicht mehr reden, ihre Folgen beurteilt man negativ. Nur in kleinen Ausstellungen erinnert man sich an das Ereignis.
Eine Exkursion durch Moskau.Es hilft alles nichts. Für eine Führung müsste ich einen schriftliche Antrag bei der Museumsdirektorin stellen, meint die Leiterin des Exkursionsbüros im Moskauer „Museum für Zeitgeschichte“, dem früheren Revolutionsmuseum. „Warum?“ „Weil sie Vertreter einer Zeitung sind.“ Für Journalisten gelten Sonderregeln. So kaufe ich mir für 100 Rubel (2,80 Euro) eine Eintrittskarte und gehe ohne Begleitung zu den Ausstellungssälen.Früher war das ganze Museum der Oktoberrevolution gewidmet, heute geht es darum nur in einem einzigen Saal. Doch dort ist es immer noch sehr feierlich. In der Mitte des Raumes steht ein mit rotem Stoff bespanntes Stahlgerüst in Form eines fünfzackigen Sterns, darunter ein Maschinengewehr. Plakate verkünden die nahende Weltrevolution. In Glasvitrinen sieht man die Hinterlassenschaft der Revolutionäre: einen Matrosenkittel, der Schreibtisch von Organisator Jakow Swerdlow, darauf ein Marx-Porträt, Pistolen und Maschinengewehre unterschiedlicher Größe und Ausführung.„In unser Museum kommen vor allem Ausländer“, meint Vera Naumowna, die den Saal betreut. Ängstlich verdeckt die kleine, schmächtige Frau mit dem weißem Haar ihr Namensschild, doch dann redet sie munter drauf los. Die Jugend interessiere sich nur für „Babki“ (Geld). Dabei sei doch „nicht alles schlecht gewesen, damals“. Die Revolutionäre liebt sie wie Filmstars. Als Erstes zeigt sie das Bild des Matrosen Pawel Dybenko. „Sieht er nicht gut aus?“ Der kräftige Mann mit dem Kinnbart leitete im Oktober 1917 die Verlegung der Kriegsschiffe in die Hauptstadt Petrograd (heute St. Petersburg). Der einfache Matrose war mit Aleksandra Kolontai verheiratet, einer Revolutionärin aus Adelsfamilie, die zum engeren Kreis um Lenin gehörte. Die Revolution machte es möglich. Der Soldat und die Adelige.
Affären: Das Gewürz der Revolution
Während des Bürgerkriegs war Dybenko im Süden Russlands stationiert. Dort habe er es mit den Frauen „wild getrieben“. Vera weiß mehr, als das, was man in den Vitrinen sieht. Die alte Dame zeigt weitere Porträts: von Lenins Geliebter, der hübschen Inessa Armand, und von Lenins Frau, der etwas herben Nadjeschda Krupskaja. Affären sind, so scheint es, das Gewürz der Revolution.Nicht weit vom ehemaligen Revolutionsmuseum liegt in einer unterirdischen Einkaufspassage direkt gegenüber der Metrostation Puschkinskaja der Parfümerieladen „Arbat-Prestige“. Zehntausende strömen hier täglich vorbei. Im riesigen Schaufenster der Parfümerie werben revolutionäre Matrosen auf roten Transparenten für eine „Oktober-Preis-Revolution“. Doch das interessiert die Vorbeieilenden nicht die Bohne. Symbole der Revolution haben einen festen Platz in der russischen Werbung.Nicht nur das: Bewusst oder unbewusst gelten die Hauptfiguren der Oktoberrevolution trotz aller Veränderungen, die das Land durchlaufen hat, immer noch als Helden. Andere Helden aus der Zeit gibt es nicht, oder sie sind nicht bekannt. Der Zar eignet sich schlecht. Er dankte nach der Februarrevolution kraftlos ab. Dem Kreml scheint das Thema Oktoberrevolution unangenehm zu sein. „Am besten nicht drüber reden“, scheint die Devise. Das verstärkte sich noch, nachdem in Kiew und Tiflis bunte Revolutionen einen Machtwechsel einleiteten.Nicht nur die Oktoberrevolution auch die Februarrevolution beurteilt man im Kreml heute negativ. „Der Oktober begann schon im Februar, weil sich die reale Macht schon vor den Oktoberereignissen in den Händen der radikalsten Gruppen in Russland befand“, meint Putin-Berater Wladislaw Surkow. Träumt man im Kreml vielleicht von einer Wiedererrichtung der Monarchie?
Aber als Exportschlager geeignet
Der Revolutionsfeiertag am 7.November wurde von Boris Jelzin in „Tag der Eintracht und Versöhnung“ umbenannt. Im Jahre 2004 kippte Putin den Feiertag am 7.November ganz und führte stattdessen am 4.November den Tag der „nationalen Einheit“ ein. Angeblich wurde Moskau an diesem Tag im Jahre 1612 von polnischer Besatzung befreit. Aber genau weiß das keiner.
„Das war am 7.November“, argumentierte KP-Chef Gennadij Sjuganow, in der Hoffnung, seinen geliebten 7.November zu retten. Trotz der Verdrängung: Als Exportschlager ist die Oktoberrevolution aber immer noch gut geeignet. Eduard Danilowitsch, Archiv-Leiter des ehemaligen Lenin-Museums, das direkt am Roten Platz liegt, bedauert, dass es in Moskau keine große Ausstellung zum 90.Jubiläum gibt. Voller Stolz berichtet er, man sei ständig mit Exponaten im Ausland unterwegs sei, zuletzt bei der großen Ausstellung „Traumfabrik Kommunismus“ in Frankfurt am Main. Eduard Danilowitsch hängt mit seinem ganzen Herzblut an seinen Exponaten, Lenins Mantel, seinem Rolls Royce und dem Holzmodell des ersten Lenin-Mausoleums.
Das Einzige, was der Öffentlichkeit in diesen Tagen geboten wird, ist eine kleine Sonderausstellung unter dem Titel „Mythen der Revolution“ im Moskauer Museum der Föderalen Archive. Einige Sowjet-Mythen wurden schon in den 60er-Jahren in Zweifel gezogen. Der Schuss vom Panzerkreuzer Aurora war nicht scharf, sondern wahrscheinlich ein Leerschuss. Den Sturm auf den Winterpalast, den Sergei Eisenstein in seinem Film Oktober zeigte, hat es gar nicht gegeben. Die Kerenski-Regierung ergab sich kampflos. Doch heute gibt es neue Mythen.
„Das Werk von Juden und Freimaurern“
Die Revolution sei etwas „Fremdes“ von außen Eingeschlepptes, so eine weitverbreitete Meinung, Russland wurde dadurch vom „natürlichen Weg“ abgebracht. Die Zeit vor der Revolution wird idealisiert. „Angeblich war die Revolution das Werk von Juden und Freimaurern“, erklärt Ausstellungsleiter Alexej Litwin. Dabei war die Revolution „das Resultat einer bestimmten Periode“.
Der Weltkrieg habe die Situation zugespitzt, Reformen wurden versäumt. Für die These, der deutsche Generalstab habe die Oktoberrevolution finanziert, gäbe es keinen Beleg. Die Ausstellung dokumentiert allerdings, dass der wohlhabende Schweizer Sozialist Carl Moor den Bolschewiken einen Kredit von 35.000 Dollar gewährte, von dem er nach der Revolution in mühevollen Verhandlungen nur einen Teil zurückbekam.
Eine Woche nach meinem Besuch im ehemaligen Revolutionsmuseum bekomme ich einen Anruf. Die Museumsdirektorin habe die Genehmigung für eine Führung erteilt. Das koste jedoch Geld, 3500 Rubel (100Euro) inklusive Fotogenehmigung. Ich bedaure, das sei doch etwas teuer.
"Die Presse"