„Das ist eine Schande“
Der Prozess zum Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja findet nun doch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Am Montag hatte der Prozess zum Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja begonnen, die Öffentlichkeit war zugelassen. Am Mittwoch kam dann die kalte Dusche: Das Gericht ordnete den Ausschluss der Presse an. Einige Geschworene hatten erklärt, sie könnten bei Anwesenheit von Journalisten ihre Aufgabe nicht erfüllen. Konkrete Drohungen gegen einzelne Geschworene gab es zwar nicht, aber die Möglichkeit von Drohungen reichte dem Moskauer Militärgericht dann doch, die Öffentlichkeit auszuschließen.
Dass sich einige der zwölf Geschworenen plötzlich Sorgen um ihre Sicherheit machen, kam überraschend. Am Dienstag, als die Geschworenen ihren Eid leisteten, hatten sie noch keine derartigen Befürchtungen wegen der Anwesenheit von Presse-Vertretern geäußert.
Die Anwälte der Politkowskaja-Familie wie die Anwälte der Angeklagten protestierten gegen den Ausschluss der Öffentlichkeit. „Photoapparate und Videokameras sind keine Waffen“, meinte Murat Musajew, der Anwalt eines Angeklagten.
Nachdem die Pressevertreter den Gerichtssaal verlassen hatten, wurde im Beisein der vier Angeklagten, die in einem Gitterkäfig saßen, die Anklageschrift verlesen. Die vier jungen Männer bestritten ihre Schuld. Angeklagt waren: Der ehemalige Geheimdienst-Mitarbeiter Pawel Rjagusow, der ehemalige Polizist Sergej Chadschikurbanow und die tschetschenischen Brüder Dschabrail und Ibragim Machmudow. Ein Bruder der beiden Tschetschenen, Rustam Machmudow, soll auf Politkowskaja geschossen haben. Doch der angebliche Todesschütze saß nicht im Gitterkäfig. Er ist auf der Flucht und zur internationalen Fahndung ausgeschrieben. Der Chefredakteur der Nowaja Gaseta, Dmitri Muratow, nannte den Ausschluss der Öffentlichkeit vom Prozess „eine Schande“. Gegenüber der Internetzeitung gazeta.ru wurde Muratow noch deutlicher: „Man darf vor uns, vor der Gesellschaft, nicht verbergen, wie der Mord an Anna Pawlowna (Politkowskaja) vorbereitet wurde und wie die Agenten geheimer Dienste sich verhielten, damit er (der Mord, Anm. der Red.) durchgeführt wurde.“
Die Freunde der ermordeten Journalistin, die für die Nowaja Gaseta aus dem Tschetschenien-Krieg berichtete, vermuten, dass der tschetschenischen Präsident Ramsan Kadyrow – ein Schützling von Wladimir Putin - hinter dem Mord steckt. Es wird gemunkelt, ein paar Übereifrige aus dem Umkreis von Ramsan Kadyrow hätten dem damaligen Kreml-Chef ein Geburtstagsgeschenk machen wollen, denn der Mord ereignete sich am 7. Oktober 2006, dem Geburtstag von Putin.
Aufgrund der Erfahrungen in anderen Fällen muss man wohl davon ausgehen, dass der Killer und der Auftraggeber für den Mord an Politkowskaja nicht gefunden werden. Wer heute in Russland Journalisten einschüchtert oder sogar ermordet, braucht nicht mit strenger Verfolgung rechnen.
Erst letzte Woche kam es wieder zu einem brutalen Überfall. Eine Anwohnerin fand den Umweltschützer und Chefredakteur der „Chimkinskaja Prawda“, Michail Beketow, bewusstlos und mit schweren Verletzungen vor seinem Haus im Moskauer Vorort Chimki. Seit einer Woche kämpfen die Ärzte nun schon um das Leben von Beketow. Ein Bein musste dem Schwerverletzten, der nach dem Überfall einen Tag in der Kälte gelegen hatte, bereits amputiert werden. Freunde des Journalisten meinten, Beketow sei nur deshalb noch am Leben, weil er früher Soldat bei den Luftlandetruppen war und deshalb körperlich fit ist. Der Journalist hatte sich mit seinen Artikeln zu der geplanten Abholzung von 1000 Hektar Waldfläche bei der Verwaltung des Moskauer Umlandes unbeliebt gemacht. Eine Bürgerinitiative, welche verhindern will, dass für eine geplante neue Autobahn von Moskau nach St. Petersburg ein ganzer Wald abgeholzt wird, hat mit einer Spendensammlung für den schwer verletzten Journalisten begonnen.
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