3. December 2011

Das Kreml-Tandem wirbt um Stimmen

In Russland mehren sich die Stimmen, die dem Kreml Beeinflussung der Duma-Wahlen vorwerfen.

von Ulrich Heyden, Mz

Moskau. Da saßen sie, fröhlich gelaunt in weißen Sesseln. Wladimir Putin und Dmitri Medwedew hatten am Donnerstag im Moskauer Technologie-Zentrum Oktjabr 230 ausgewählte Anhänger versammelt, „Vertreter aus allen Bevölkerungsschichten“, wie ein Fernsehsprecher erklärte.

Es ging darum, nochmal zu erklären, warum man am Sonntag „Einiges Russland“ wählen soll. Und es ging wohl auch darum, den Fernsehzuschauern klarzumachen, dass, wer auf dem Wahlzettel sein Kreuz für „Einiges Russland“ macht, Putin stärkt.

Es gibt einen einfachen Grund, dies noch einmal optisch zu bestätigen: Auf dem Wahlzettel für die Duma steht nämlich neben dem Symbol der Kreml-Partei „Einiges Russland“ der Name von Medwedew und nicht Putin. Dass sie ein Gespann sind, demonstrierten die beiden auch rein äußerlich. Sie trugen die gleichen Anzüge und die gleichen Hemden mit offenem Kragen. Sie saßen wie Zwillingsbrüder breitbeinig in ihren weißen Sesseln, so leger wie die Männer in den beliebten Hollywood-Filmen.

Medwedew und Putin versuchten die Stimmung mit Späßen aufzulockern. Sie wissen, dass es im Volk Unzufriedenheit gibt. Es sind nicht nur die Umfragen, die den Kreml besorgen. Sogar der mit 61 Prozent Zustimmung noch populäre Putin erlebte bei einer Sportveranstaltung in der Moskauer Olimpiski-Sport-Arena eine erste öffentliche Abreibung. Als Putin dem russischen Boxer Fjodor Jemeljanenko zu seinem Sieg über den Amerikaner Jeff Monson gratulierte, gellten Pfiffe durch die Halle.

Um von der Stagnation abzulenken, in der viele Russen das Land wähnen, erinnern Putin und Medwedew immer wieder an die chaotischen 1990er Jahre, so auch bei dem Treffen mit den „Unterstützern“ am Donnerstag. Er habe 1990 als Assistent an der Universität St. Petersburg umgerechnet sieben Dollar (!) im Monat verdient, erinnerte sich Medwedew. Wegen der schweren Wirtschaftskrise hatte der russische Staat damals kein Geld, seine Beamten zu bezahlen.

„Teuerste Wahlen der Geschichte“

Es sind diese Vergleiche, mit denen das Kreml-Tandem die Wähler zur Stimmabgabe für „Einiges Russland“ animieren will. Bessere medizinische Versorgung, ein Wirtschaftswachstum von vier Prozent und politische und wirtschaftliche Stabilität, das sind Schlagwörter, mit dem „Einiges Russland“ die Wähler lockt. Doch die Opposition, die sich vor allem im Internet in zahlreichen Blogs und Plattformen formiert, verbreitet den im Volk gängigen Slogan, von der „Partei der Diebe und Betrüger“. Manche kleben sich auch frech ein entsprechendes Symbol aufs Auto, einen Bären – das Symbol von „Einiges Russland“ – der einen prall gefüllten Sack wegschleppt, eine Anspielung auf die Gelder, die russische Beamte für sich abzweigen.

Der Kreml weiß, dass es in Russland nur Stabilität gibt, wenn die Menschen auch Hoffnung haben. Deshalb war man in den letzten drei Monaten nicht knauserig mit den Wahlversprechen. Die seien von ihrem finanziellen Volumen her „unglaublich“, kommentierte das Massenblatt Moskowski Komsomolez. 1,1 Billionen Euro will der Kreml in den nächsten neun Jahren im Land investieren. Die größten Posten sollen in die medizinische Versorgung gehen, in die Armee und in den Aufbau neuer Ski-Kurorte im Kaukasus. Wegen dieser Versprechen seien die kommenden Duma-Wahlen und Präsidentschaftswahlen „die teuersten in der neueren Geschichte Russlands“, schreibt das Blatt. Auf Kritiken, der Kreml versuche auf die Auszählung der Stimmen Einfluss zu nehmen, reagiert Putin äußerst gereizt. Am vergangenen Sonntag auf dem Parteitag von „Einiges Russland“ warf der Premier dem Ausland vor, in den Wahlkampf einzugreifen. Das sei „rausgeschmissenes Geld“. Denn „Judas als biblische Gestalt“ werde in Russland nicht verehrt.

Am Freitag wurde es dann ernst: Wegen angeblicher Verstöße gegen das Wahlrecht hat das Moskauer Meschanski-Gericht die einzigen unabhängigen russischen Wahlbeobachter zu einer Geldstrafe verurteilt. Die auch von der Europäischen Union finanzierte Organisation Golos („Stimme“) müsse 30000 Rubel (rund 725 Euro) zahlen, entschieden die Richter am Freitag. Mit ihrer interaktiven Karte, welche über Verstöße im Wahlkampf berichtet, habe die Organisation gegen Bestimmungen verstoßen, hieß es. Auch habe „Golos“ besonders negativ „über eine Organisation“ berichtet. Gemeint war zweifellos „Einiges Russland“. Tatsächlich hat Golos über all das berichtet, was auch im Internet zur Sprache kommt, Ausfüllen des Briefwahlbogens auf der Arbeit unter den Augen des Chefs, die Beschlagnahmung von Kreml-kritischem Wahlkampfmaterial und die Weigerung von Druckereien, Kreml-kritisches Wahlkampfbroschüren zu drucken.

„Das sollen Wahlen sein?“

Eine der wenigen Stimmen in der Duma, die die Kreml-Partei Einiges Russland öffentlich auffordert, ihr Macht-Monopol nicht zu missbrauchen, ist der Abgeordnete Gennadi Gudkow. Er ist Mitglied der Fraktion von „Gerechtes Russland“ und stellvertretender Vorsitzender des Duma-Sicherheitsausschusses. Früher diente er dem Inlandsgeheimdienst. „Das sollen Wahlen seien?“ fragte Gudkow in einer Plenardebatte. Ja, „Einiges Russland“ habe ein Wählerpotenzial von 30 Prozent, „aber nicht von 65 oder 70 Prozent“, wie die ER-Führer behaupteten. Das „richtige“ Wahl-Ergebnis wolle die Kreml-nahe Partei mit der bekannten „Karussel“-Methode erreichen, wobei Leute mit sogenannten „Wahlberechtigungsscheinen“ in Autobussen von Wahllokal zu Wahllokal gefahren werden und immer wieder von neuem ihre Stimme für „Einiges Russland“ abgeben. Wenn es die Kreml-Partei zu weit treibe, sei Protest von der Straße zu erwarten, so Gudkow. Und in Anspielung auf die politisch apathischen Russen meinte er, dass „selbst ein Hase, den man in die Ecke drängt, zum wilden Tier wird.“

veröffentlicht in: Mittelbayrische Zeitung

Teilen in sozialen Netzwerken
Bücher
Foto