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Die rechtspopulistischen Parteien in Europa hätten nicht bei null angefangen, wie viele Russen glaubten. "Diese Parteien wurzeln oft in denjenigen nationalen Strukturen, die mit dem Dritten Reich liiert waren: dem Vichy-Regime und der SS-Division "Charlemagne" im Falle des Front National oder dem österreichischen Teil der NSDAP im Falle der FPÖ. In Deutschland und Italien erfolgte die Entnazifizierung nur teilweise, denn die Faschisten in Europa waren für Washington im Kampf gegen die Linke und Gewerkschaften, sogar für die Terroranschläge unter fremder Flagge (siehe Operation "Gladio") mehr als nur einmal nützlich."
Die russischen Medien hätten bisher nicht darüber aufgeklärt, dass die Wurzeln der Rechtspopulisten in der EU, anti-russisch sind und sogar bis in die Zeit von Adolf Hitlers Gewaltherrschaft über Europa zurückreichen. Als der AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland Anfang September 2017 beim Kyffhäuser-Treffen seiner Partei in Thüringen erklärte, die Deutschen hätten "das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen", herrschte in den russischen Medien bis auf wenige Ausnahmen betretenes Schweigen.
Deutscher "Schuldkomplex"
Wer verstehen will, warum es in Russland keinen Abwehrreflex gegen die Rechtspopulisten gibt, muss in die Geschichte zurückgehen. Die Russen erwarten von Deutschland nichts Böses. Das hat viele Gründe. Es gab die DDR. Sie war politischer und militärischer Bündnispartner. Hunderttausende Russen und Russinnen dienten in der DDR als Soldaten oder wurden in Ostdeutschland geboren. Viele Sowjetbürger haben in der Schule deutsche Dichter wie Goethe und Romane von Erich Maria Remarque gelesen.
Nach 1989 wurde Deutschland in der russischen Presse geradezu als Vorbild bezeichnet, nicht nur für eine gut funktionierende Wirtschaft und Staatswesen, sondern auch für eine erfolgreiche Entnazifizierung. Helmut Kohl und Angela Merkel hatten bis zur Ukraine-Krise sehr gute Presse in Russland. Es gab keinerlei Beleidigungen oder Sensationsgeschichten gegen sie.
Ich erinnere mich an die 1990er-Jahre. Damals erzählten mir nicht wenige Russen und Russinnen herzzerreißende Geschichten über deutsche Soldaten, die russischen Kindern im Zweiten Weltkrieg Süßigkeiten gegeben hätten, bevor sie weiter gen Osten zogen.
Ich weiß nicht, warum die Russen mir diese Geschichten erzählten. Wollten sie sich von der sowjetischen Propaganda distanzieren, in der die deutschen Soldaten nicht gut wegkamen?
Und ich hörte auch von vielen Russen, sie könnten nicht verstehen, warum die Deutschen einen "Schuldkomplex" haben. Der "Schuldkomplex" hindere Deutschland, sich aus der US-Hegemonie zu befreien.
Ich versuchte zu erklären, dass ich als Deutscher keine Schuld, wohl aber Verantwortung verspüre, dass sich Faschismus und Angriffskrieg gegen Russland nicht wiederholen. Ich erzählte ihnen, dass das deutsche Großkapital Hitler finanziert hat, dass das deutsche Volk mit Hetze gegen die "jüdisch-bolschewistische Bedrohung" und die "slawischen Untermenschen" auf den Krieg vorbereitet wurden. Ich hatte das Gefühl, dass man mich nicht verstand. Ein Angriff von Deutschland auf Russland schien den Russen abseits jeder Vorstellung. Die USA ja, aber Deutschland?
Ein Ruf verhallt im Gebirgstal
Und nun kommt die russische Politikern Veronika Krascheninnikowa und erzählt den Russen etwas vom braunen Kern der deutschen und europäischen Rechtspopulisten. Das wirkt erst mal wie ein Ruf in einem Gebirgstal, der verhallt. Es scheint, als müssten jene, die den Ruf gehört haben, sich erst mal besinnen und ihre Gedanken sortieren.
Doch Krascheninnikowa ist eine aktive Frau, die ständig auf Konferenzen und in Talkshows unterwegs ist. Sie ist auch Mitglied der russischen Gesellschaftskammer. Am 1. November trat die streitbare Politikerin im Moskauer Museum für neuere russische Geschichte auf. Zusammen mit dem Europa-Experten Konstantin Kosatschow sprach sie zum Thema "Die Beziehungen zwischen Russland und Europa".
Debatte in Moskau über Rechtspopulisten: Mit wem soll Russland in der EU zusammenarbeiten? © Moskauer Museum für neuere russische Geschichte
Teilnehmer der Veranstaltung im Moskauer Museum für Neuere Geschichte Foto Moskauer Museum für neuere russische Geschichte
Vor dem vorwiegend studentischen Publikum begründete Krascheninnikowa, warum Russland mit den Rechtspopulisten nicht zusammenarbeiten könne. Die Politikerin zeigte das bekannte 2017 aufgetauchte Bild des Pegida-Gründers Lutz Bachmann, der sich für ein Foto Bart und Frisur wie Hitler zurechtgemacht hatte.
Auf der Veranstaltung in dem Moskauer Museum, die von etwa 100 Personen besucht wurde, führte Krascheninnikowa ein 1992 von französischen Journalisten geführtes Video-Interview mit dem belgischen Nazi-Anhänger Léon Degrelle vor.
In dem Video sieht man Degrelle, der 1944 Kommandeur des SS-Bataillons "Wallonien" an der Ostfront war, in seiner mit Nazi-Andenken geschmückten Wohnung. Stolz zeigt er ein von Hitler persönlich verliehenes Ritterkreuz mit Eichenlaub. Und stolz erzählt er, Hitler habe ihn als hervorragenden Soldaten gelobt und gesagt: "Wenn ich einen Sohn hätte, dann wünschte ich, er wäre wie Sie." Degrelle hatte bis zu seinem Tod 1994 feste Kontakte zu spanischen und französischen Rechtsextremen. Er nahm an einer "Sonnenwendfeier" des Front National teil.
Ja, Marine Le Pen habe versucht, den Front National von den Anhängern des Faschismus zu säubern, sagt Krascheninnikowa in ihrem Vortrag. Doch viele, die wie Parteigründer Jean-Marie Le Pen in der Universität rechtsradikalen Organisationen angehörten, seien immer noch aktiv im Front National. Etwa 15 Prozent der Mitglieder rechtspopulistischer Parteien in Europa seien Rechtsradikale und Neonazis, schätzt die Politikerin.
Ihren Vortrag über die europäischen Rechtspopulisten beendet die Politikerin mit den Worten, die Fakten sprächen eine "deutliche Sprache": "In Europa sind sie vielen Menschen, die sich für Politik interessieren, bekannt." Doch in Russland seien diese Fakten "aus verschiedenen Gründen weniger bekannt".
"Kein taktisches Manöver"
Nachdem Krascheninnikowa auch in Berlin auf einer Podiumsdiskussion aufgetreten war, wurde im Internet von Russland-Kritikern behauptet, die Politikerin trete mit ihren Thesen nur auf, um das Image Russlands zu verbessern.
Dass ihre Thesen nur taktischen Charakter hätten, wies die Politikerin im Gespräch mit dem Autor entschieden zurück. Immerhin muss man Krascheninnikowa zugute halten, dass sie ihre Abrechnung mit den Rechtspopulisten in Europa nicht zuerst auf Deutsch oder Englisch in der EU veröffentlicht hat, sondern auf Russisch in einem bekannten Moskauer Wirtschaftsmagazin. Die Politikerin will offenbar eine Debatte in der russischen Elite und unter den Gutausgebildeten initiieren.
Man sollte diese Initiative nicht unterschätzten. Krascheninnikowa war es, die 2012 das Gesetz über "ausländische Agenten" initiiert hatte. Das Gesetz, das vom Ausland finanzierte NGOs in Russland verpflichtet, sich neu registrieren zu lassen und die NGO-Broschüren mit dem Aufdruck "Ausländischer Agent" zu kennzeichnen, trat 2014 in Kraft.
Das kam nicht zufällig. Krascheninnikowa hatte von 2006 bis 2010 als Präsidentin des "Rates für wirtschaftliche Zusammenarbeit" zwischen den USA und der "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten", einer Nachfolgeorganisation der Sowjetunion, in New York gearbeitet. Sie sammelte Erfahrungen mit den Gesetzen der USA. Auch die von ihr vertretene Organisation musste sich in den USA als "ausländischer Agent" registrieren lassen.
Mit wem soll Russland in der EU zusammenarbeiten?
Krascheninnikowa kritisiert vehement die Zusammenarbeit Russlands mit den Rechtspopulisten in Europa. Doch was schlägt sie selbst vor? Mit wem kann Russland in Europa konstruktiv zusammenarbeiten? Die Politikerin meint, neben "Liberalen" und "Konservativen" gebe es in Europa noch "genügend andere politische Strömungen". Gemeint sind offenbar linke und linkspatriotische Parteien. Doch Krascheninnikowa nennt ihre Namen nicht.
Wichtig bleiben ihrer Meinung nach für Russland weiterhin die "Mainstream-Parteien". Diese würden nicht von der Bildfläche verschwinden. "Mit ihnen zu arbeiten, ist kompliziert, dennoch kann Russland diese Arbeit nicht vermeiden." Und wieder warnte die Politikerin vor den 1930er-Jahren. Es stimme, dass "Deutschland in Form der Weimarer Republik nicht freundlich gegenüber Sowjetrussland war, aber das Dritte Reich wies schon ein ganz anderes Niveau der Feindseligkeit auf".
Ulrich Heyden
veröffentlicht in RT deutsch