1. March 2008

Die Wahl als Bürgerpflicht

Putin hat die Russen in einer Fernsehansprache noch mal an ihre Bürgerpflicht erinnert, wählen zugehen. Der Wahlsieg von Kronprinz Medwedjew ist sicher.

Wladimir Putin hat gestern in einer Fernsehansprache die Russen aufgerufen, zur Wahl zur gehen. „Russlands Entwicklung nach vorn darf nicht unterbrochen werden, der Wandel zum Besseren muss fortgesetzt werden.“ In fünf Regionen herrschten schwierige Wetterbedingungen, besonders im Fernen Osten, teilte Wladimir Tschurow, Chef der Zentralen Wahlkommission, mit. Aber man tue alles für einen ordnungsgemäßen Wahlverlauf.

Vier Kandidaten stehen zur Wahl. Neben Putins Kronprinz, Vizeministerpräsident und Gasprom-Aufsichtsratschef Dmitri Medwedjew, sind das der KP-Chef Gennadi Sjuganow, der Ultranationalist Wladimir Schirinowski und der Vorsitzende der kaum bekannten „Demokratischen Partei“, Andrej Bogdanow. Diese vom Kreml kontrollierte Partei bekam bei den Duma-Wahlen im Dezember nur 90 000 Stimmen.

Liberale Kreml-Kritiker wie Ex-Premier Michail Kasjanow wurden wegen angeblich gefälschter Unterstützer-Unterschrift nicht zur Wahl zugelassen. Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow gab wegen zahlreicher Behinderungen bereits im Vorfeld auf. Die Osze verzichtete auf eine Beobachtermission. Man hatte sich mit der Zentralen Wahlkommission Russlands nicht auf die Modalitäten einigen können. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates ist mit Beobachtern in Russland vertreten.Sieht man von Fernseh-Debatten ab, die frühmorgens und spätabends gezeigt wurden, gab es keinen richtigen Wahlkampf. Am Schlagabtausch im Fernsehen beteiligten sich nur drei Kandidaten. Putins Kronprinz blieb den Debatten fern. Die TV-Debatten lösten keine Diskussionen aus. Selbst als Wladimir Schirinowski einen Vertreterder Demokratischen Partei unter Einsatz seiner Fäuste aus dem Studio prügelte, gab es keinen Aufschrei in der Öffentlichkeit. Von dem Ultranationalisten ist man Derartiges gewohnt.

Laut Umfrage des Lewada-Meinungsforschungs-Instituts werden 80 Prozent der Wähler ihre Stimme für Putins Kronprinzen Medwedjew abgeben.KP-Chef Sjuganow wird elf Prozent bekommen, Schirinowski neun Prozent und der Zählkandidat Bogdanow weniger als ein Prozent. Bei der Wahl 2004 bekam Putin 71,3 Prozent.

Vor dem Supermarkt „Siebter Kontinent“ in der „Straße der Volks-Freiwilligen“ stehen zwei alte Männer in abgewetzten Mänteln, den Rücken zum Wind, der Schneeflocken vor sich hertreibt. Beim Stichwort Wahlen fängt der eine, Oleg, sofort
an zu schimpfen. „Gestern wurde ich angerufen. Ich soll zur Wahl gehen. Was für ein Recht haben die, mich zuhause
anzurufen? Woher haben die meine Telefonnummer? Ich habe mich bei der Wohnungsverwaltung
beschwert.“ Oleg sieht keinen Grund, zur Wahl zu gehen. „Jedesmal, wenn ich einkaufen gehe, ist es wieder
teurer geworden.“ Aleksandr, sein Bekannter, hat nur noch wenige Zähne im Mund. Er ist sich sicher, dass es früher
besser war. „Bei Stalin sanken die Preise.“ Oleg hat sich inzwischen beruhigt. Ob Medwedjew ein guter Kandidat
ist? Das sei ein „Maltschischka“, ein Knabe. „Man hat ihn aus einer Ecke hervorgeholt, wie Putin“, meint
Oleg. Für den Posten könne doch nur kandidieren, wer bekannt ist und wer sich „um das Vaterland verdient gemacht hat“. Oleg will den Kommunisten Sjuganow wählen. Er grinst und sagt, als Parteimitglied habe er einen Eid
abgelegt. „Der gilt ewig“.

Tanja sieht die Zukunft positiv. Die Schulpsychologin und Mutter zweier Kinder sieht chic aus. Sie trägt einen flauschigen Pelz, eine rote Baseballmütze und rote Lederhandschuhe. Mit der Wahl,
so meint sie, sei zwar „schon alles entschieden“, doch sie werde trotzdem hingehen. „Man muss seine Bürgerpflicht
erfüllen.“ Sie werde wohl Medwedjew wählen, er sei jung und habe Perspektiven. „Ich kann nicht sagen, dass er mir besonders gefällt, aber ich hoffe, dass er irgendetwas macht.“ Was sie zweifeln lässt? „Man schiebt ihn zu sehr. Irgendjemand steht hinter seinem Rücken. Das ärgert mich.“

"Thüringer Allgemeine"

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