6. August 2009

Fall Politkowskaja: Wenig Hoffnung auf Aufklärung

Ulrich HeydenMoskau (SN). Am Mittwoch begann vor einem Moskauer Geschworenengericht die Revisionsverhandlung im Mordfall Anna Politkowskaja. Der Prozess hat Bedeutung weit über den Fall der 2006 getöteten Reporterin hinaus, denn die Morde an Journalisten und Menschenrechtlern in Russland reißen nicht ab. Keiner der spektakulären Fälle wurde bisher aufgeklärt.
Nun wartet die kritische Öffentlichkeit in Russland gespannt, ob es im Fall Politkowskaja möglich sein wird, die Mörder und Hintermänner ausfindig zu machen und zu verurteilen. Allzu viel Hoffnungen gibt es allerdings nicht, denn der erste Prozess, der im Februar mit dem Freispruch für drei vermutliche Organisatoren des Mordes endete, zeichnete sich durch eine auffallend schlechte Vorbereitung aus.
Anna Politkowskaja war in ihrem Hausflur erschossen worden. Die Journalistin hatte für die Kreml-kritische Novaya Gazeta über Kriegsverbrechen in Tschetschenien berichtet und dabei den von Putin eingesetzten Präsidenten Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, persönlich für Entführungen und Folter in der Kaukasusrepublik verantwortlich gemacht. Vor Gericht stehen jetzt – wie im ersten Verfahren – die tschetschenischen Brüder Dschabrail und Ibrahim Machmudow. Sie sollen Politkowskaja beschattet haben. Ein dritter Angeklagter, der ehemalige Polizist Sergej Chadschikurbanow, soll die Adresse der Journalistin ermittelt haben. Pawel Rjagusow, ein ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdiensts, FSB, ist der vierte Angeklagte. Er muss sich wegen einer Entführung verantworten. Sein Fall steht nicht unmittelbar in Zusammenhang mit dem Mord an der Journalistin.
Der mutmaßliche Mörder der Journalistin, Rustam Machmudow, steht nicht vor Gericht. Er ist ein Bruder der beiden angeklagten Tschetschenen. Kaum war der Name von Rustam Machmudow in der Presse aufgetaucht, hatte sich der Hauptverdächtige ins Ausland abgesetzt. Er soll sich in Westeuropa aufhalten.
Die Verteidigerin der Angehörigen von Anna Politkowskaja, Anna Stawischkaja, will durchsetzen, dass die Untersuchung des Mordfalls an die Staatsanwaltschaft zurückgegeben wird. Der mutmaßliche Mörder, Rustam Machmudow, müsse in Abwesenheit als Angeklagter mit in das Verfahren aufgenommen werden, so die Anwältin. Ähnlich äußerte sich auch der Chefredakteur der Novaya Gazeta, Dmitri Muratow. Man könne den neuen Prozess nicht auf der gleichen Beweislage führen, wie im ersten Verfahren. Muratow erklärte, der Mordfall Politkowskaja könne aufgeklärt werden, dafür brauche es aber „politischen Willen“.
Das Gericht vertagte sich auf Freitag und will beraten.

"Salzburger Nachrichten"
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