Fremd im Hause des Propheten
Moskau verliert durch den Sturz Muammar al-Gaddafis in Libyen und die andauernde Staatskrise in Syrien weiter an Einfluss im arabischen Raum
In den sechziger Jahren war für die UdSSR Ägypten strategischer Verbündeter in der arabischen Welt. 2.000 sowjetische Ingenieure bauten am Assuan-Staudamm, 20.000 Militärberater waren bis 1972 an Nil und Mittelmeer stationiert. Die Sowjetunion rüstete die ägyptische Armee mit Flugabwehrraketen, Panzern und panzerbrechenden Waffen aus, drängte aber 1973 den damaligen Präsidenten Anwar as-Sadat, von einer Rückeroberung der Sinai-Halbinsel abzusehen.
Der Kreml fürchtete unabsehbare Folgen für die Region sowie einen Zusammenstoß mit den USA und verlor danach in Kairo spürbar an Reputation. Während der Camp-David-Diplomatie 1978/79 zwischen den USA, Ägypten und Israel war Moskau nur Zaungast.
Drei Jahrzehnte später und nach dem arabischen Frühling hat sich dieser Niedergang eher noch verstärkt: Der russische Einfluss in Nahost hat mit der Geltung von einst nicht mehr viel zu tun. Bestenfalls in Damaskus wird Moskau noch gehört. Dort hat Russland freilich mit Partnern zu tun, deren Tage gezählt sein könnten.
Anders als in Libyen
Für Präsident Dmitri Medwedjew ist ein Eingriff der internationalen Staatengemeinschaft wie in Libyen keine Option zur Lösung der syrischen Krise. Syrien-Resolutionen des UN-Sicherheitsrates sollten aus seiner Sicht keiner Intervention Vorschub leisten und nicht allein Gewalt der syrischen Armee geißeln, sondern auch Ausschreitungen der Gegenseite benennen. Wer in Syrien Slogans gegen die Regierung rufe, sei nicht automatisch Anhänger europäischer Demokratien. Andererseits deutete Medwedjew schon im August an, sein Land werde gezwungen sein, „eine Entscheidung zu treffen“, sollte Bashar al-Assad nicht die Gewalt beenden und mit der Opposition verhandeln.
Während der russische Staatschef gegenüber dem Westen bei aller Kritik auf den gepflegten Ton achtet, bevorzugen seine Sicherheitsexperten eine resolute Sprache. Fjodоr Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“ und Mitglied des Russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, kritisiert die NATO-Hilfe für die libyschen Rebellen als „koloniale Methoden“ und als „Präzedenzfall“. Die NATO habe sich zwar an das in der UN-Resolution 1973 formulierte Verbot gehalten und keine Bodentruppen entsandt. Doch habe die Allianz erstmals in einen Bürgerkrieg direkt eingegriffen und die Opposition zur legitimen Regierung erklärt.
Inzwischen hat Russland als 75. Staat den Nationalen Übergangsrat in Tripolis anerkannt, bleibt aber reserviert. Konstantin Kosatschow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Duma, beteuert in seinem Blog zwar, er freue sich „aufrichtig“ über den Sieg des libyschen Volkes. Doch fügt er hinzu, er wünsche sich, dass weder „eine neue Diktatur noch blutiges Chaos triumphieren“.
Russland hatte sich am 17. März im Sicherheitsrat beim Votum über Resolution 1973 mit China, Deutschland, Brasilien und Indien der Stimme enthalten. Als die NATO die ihr erteilte Handlungsvollmacht nach eigenem Gutdünken auslegte, geißelte Premier Wladimir Putin die Intervention zugunsten der Rebellen als „Kreuzzug“.
Jeder Funke ist gefährlich
Seit dem Sturz Muammar al-Gaddafis fürchtet Moskau nun um seine ökonomischen Interessen. Der Übergangsrat habe zwar zugesichert, dass Verträge eingehalten würden, teilt der Kreml mit. Doch sei man befremdet über Medienberichte, wonach im Falle Frankreichs die Parteinahme für das Anti-Gaddafi-Lager mit vorteilhaften Kontrakten im Öl-Sektor vergolten werden solle. Energieminister Sergej Schmatko lässt sich nicht beirren und versichert: Gespräche mit der neuen Regierung über eine Rückkehr russischer Ölgesellschaften nach Libyen seien geplant. Unter Gaddafi regelten Verträge zwischen Moskau und Tripolis zuletzt einen Warenverkehr im Wert von zehn Milliarden Dollar pro Jahr. Russland investierte bei der Gas- und Öl-Technologie sowie beim Eisenbahnbau und war in Libyen kaum weniger engagiert als beim bislang wichtigsten Nahost-Klienten Syrien. Dort freilich gibt es in der Hafenstadt Tartus mit einem Marinestützpunkt noch ein letztes strategisches Reservat im „fernen Ausland“. Von der Sowjetunion übernommene Militärbasen in Kuba und Vietnam wurden 2001 beziehungsweise 2002 geschlossen.
Heute sind es weniger Rivalitäten mit den USA, die Moskau anspornen, in Arabien trotz aller Einbußen Flagge zu zeigen, als ökonomische Ambitionen und die Angst, der labile Frieden in diesem Teil der Erde könne durch militärisches Eingreifen von außen zerstört werden. Nutznießer solcher Ordnungspolitik würden radikale Islamisten sein, fürchtet der Kreml.
Nach dem Sturm auf die israelische Botschaft in Kairo wählte Michail Margelow, Medwedjews Afrika-Beauftragter, dramatische Worte. Die Täter seien die „Rekruten für den nächsten Terrorakt“. Wichtig sei nicht, wer mit dem Hammer die Betonmauer vor der Botschaft eingeschlagen habe, wichtig sei zu wissen, „wer hinter den Tätern steht“. Jeder Funke in der arabischen Welt könne heute „Flammen auslösen“. Selbst eine Aufkündigung des Camp-David-Vertrages zwischen Ägypten und Israel hält Margelow nicht für ausgeschlossen.
Je mehr Russlands Stellenwert in Nahost schwindet, desto entschlossener wird in Zentralasien Terrain behauptet. Auf dem Gipfel der Präsidenten Russlands, Tadschikistans, Pakistans und Afghanistans Anfang September in Duschanbe sprach Präsident Medwedjew Klartext: Man solle sich vor Augen halten, welches Machtvakuum in Zentralasien entstehe, falls bis 2014 die NATO ihre Truppen aus Afghanistan abzieht. Sollten dann nicht Russland und andere Staaten der Region in konzertierter Aktion für Stabilität sorgen?
Medwedjew wollte jedoch wohl den Eindruck vermeiden, die Russische Föderation empfehle sich als alleinige Ordnungsmacht. „Partner, die nicht aus der Region kommen“ – gemeint waren die USA und ihre NATO-Alliierten –, blieben „sehr wichtig“, ließ er wissen. Dennoch sollten die zentralasiatischen Partner jetzt mit ihrer Kooperation beginnen, weil „letztlich der Frieden in der Region und die Sicherheit von unseren Staaten gesichert wird“.
Hintergrund
Ulrich Heyden arbeitet als Korrespondent in Moskau. Von ihm erschien Opposition gegen das System Putin. Herrschaft und Widerstand im modernen Russland (mit U. Weinmann, 2008)
veröffentlicht in: der Freitag