Georgien: Saakaschwili zeigt Despoten-Gesicht
Der durch Massenproteste in Bedrängnis gekommene Staatschef beschuldigt Russland und verhängt den Ausnahmezustand. Überraschend will er am 5. Jänner das Volk über seine Präsidentschaft abstimmen lassen.
„Sie versuchen ins Studio einzubrechen.“ Giorgi Targamadze, der Sprecher des unabhängigen Fersehkanals Imedi bekam es mit der Angst. „Ich möchte sagen, dass Imedi immer das einzige Fenster war, durch welches ganz Georgien die Wahrheit sehen konnte.“ Während er sprach hörte man Krach im Hintergrund. Dann gingen die Lichter aus und die Kamera wurde ausgeschaltet.
Dramatische Stunden in der Nacht zum Donnerstag in Tiflis. Sicherheitskräfte sollen den Fernseh-Journalisten Pistolen an die Köpfe gehalten haben. Augenzeugen berichteten später die Ausrüstung des oppositionellen TV-Senders Imedi sei zerstört worden.
Mit Gas- und Lärmgranaten
Nachdem die Opposition sechs Tage lang ununterbrochen Kundgebungen vor dem Parlamentsgebäude abgehalten hatte, verhängte Präsident Michail Saakaschwili, ein Freund der USA, einen 15tägigen Ausnahmezustand. Am Mittwoch hatten georgische Sicherheitskräfte unter Einsatz von Wasserwerfern, Gas- und Lärmgranaten eine Kundgebung der Opposition auf dem Rustaweli-Boulevard aufgelöst. Nach Angaben des georgischen Gesundheitsministeriums wurden 508 Menschen verletzt. Unter den Verletzten waren auch mehrere russischen Journalisten.
Der Protest der Demonstranten richtete sich vor allem gegen den selbstherrlichen Regierungsstil von Saakaschwili und die sich häufenden Verletzungen demokratischer Grundwerte in Georgien. Überraschend wich der am Donnerstag doch einen Schritt zurück und kündigte vorgezogenen Präsidentenwahlen am 5. Jänner an; sie sollen gleichsam zu einem Referendum über seine Präsidentschaft werden.
Die Weltbank hat Georgien zum Musterland von Wirtschaftsreformen gekürt. Doch die Kluft zwischen Arm und Reich wächst ebenso wie die Unzufriedenheit der Bevölkerung steigt. Weiter angeheizt wurde die georgische Krise durch die Inhaftierung und danach die Abschiebung von Irakli Okruaschwili, einst Saakaschwilis Verteidigungsminister. Okruaschwili hatte den Präsidenten beschuldigt, Mordpläne gegen Oppositionelle zu schmieden. Er befindet sich zur Zeit in München.
Saakaschwili erklärte in einer Fernsehansprache russische Kräfte seien für die Unruhen in Tiflis verantwortlich. Der russische Geheimdienst sei zur Zeit „sehr aktiv“ in Georgien. „Wir hatten im voraus Informationen über einen Plan, wonach die georgische Regierung bis zum Ende des Jahres gestürzt werden sollte.“ Saakaschwili kündigte als Reaktion die Ausweisung von russischen Diplomaten an, die angeblich als Spione tätig waren.
„Kampf gegen eigenes Volk“
Prompt kam die Reaktion aus Moskau. Der Vorsitzende der russischen Duma, Boris Gryslow, konterte in einer Stellungnahme, die Politik der georgischen Führung werde schon seit Jahren vom „US-Geheimdienst geleitet“. Der Sprecher des russischen Außenministerium, Michail Kamynin, gab die Ausweisung von drei georgischen Diplomaten bekannt.
Gryslow erklärte, „wenn nach der Auflösung der Demonstration mehr als 500 Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden, ist das schon Blutvergießen.“ Er hoffe, dass die Führung Georgiens „den Kampf gegen das eigene Volk beendet.“
Aufrufe zu Gewaltverzicht
Die USA riefen die georgische Führung auf, weitere Gewalt zu vermeiden. Man verfolge die Ereignisse „aufmerksam und mit Sorge, erklärte Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop. Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana erklärte, die georgische Regierung müsse Maßnahmen einstellen, die zur Destabilisierung der Lage führen.
In Tiflis blieb es gestern ruhig. Armee-Lastwagen blockierte die Straßen, die ins Zentrum führen. Es gab weniger Autoverkehr als üblich. Die Opposition hatte aus Sicherheitsgründen weitere Proteste abgesagt. Sprecher der Opposition erklärten, die Hälfte der Oppositionsführer werde vermisst.
"Die Presse"