1. June 2012

Kein großer Bahnhof für den Gast aus Moskau

Von SZ-Mitarbeiter Ulrich Heyden

Moskau. Mit militärischen Ehren wird der neugewählte russische Präsident Wladimir Putin heute in Berlin empfangen. Der Besucher kommt direkt aus Minsk. Ausgerechnet im autoritär regierten Weißrussland, mit Russland in einer Zollunion verbunden, begann Putins erste Auslandsreise nach seinem Amtsantritt Anfang Mai.

In Berlin wird sich Putin mit Kanzlerin Angela Merkel zu einem Mittagessen zurückziehen. Das Treffen, so Putin-Berater Juri Uschakow, solle "völlig informell" und "ohne Protokoll" stattfinden. Es gehe um einen freien Meinungsaustausch über alle Fragen der deutsch-russischen Beziehungen, aber auch um das US-Raketenabwehrsystem und die Lage in Syrien. Merkel wird nach Auskunft von Regierungssprecher Steffen Seibert versuchen, das weitere Vorgehen gegen den syrischen Machthaber Bashar Al-Assad abzustimmen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass Russland zu weiteren Sanktionen bereit ist. Man könne davon ausgehen, dass Putin die bekannte Position zu Syrien vertreten werde, teilte sein Sprecher mit.

Im Anschluss an das Treffen mit der Kanzlerin wird der ehemalige KGB-Offizier Putin mit dem ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck zusammentreffen. Bei der Begegnung mit dem Bundespräsidenten geht es unter anderem um den Stand der Planungen für ein Deutschland- und ein Russland-Jahr im jeweils anderen Land.

Eine gute Basis für das Verhältnis bleiben die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen, die sich weiter positiv entwickeln. Bei einer Umfrage der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer im Frühjahr gingen 71 Prozent der befragten deutschen Firmen von einer positiven Entwicklung der russischen Wirtschaft aus. 49 Prozent planen dieses Jahr Investitionen in Russland.

Anders als zu Zeiten von Kanzler Gerhard Schröder ist für Putins Berlin-Besuch diesmal nur das Minimal-Programm vorgesehen. Nur sechs Stunden Zeit nimmt sich der Russe, dann wird er weiterreisen nach Paris zu einem Abendessen mit dem neuen französischen Präsidenten François Hollande. Auch dort wird es darum gehen, sich auf eine gemeinsame Sprachregelung zu Syrien zu verständigen. Putin setzt dabei nicht auf weitere Sanktionen, sondern auf die Umsetzung des Friedensplans von UN-Sonderbotschafter Kofi Annan. Dieser ziele nicht auf einen Regime-Wechsel, sondern auf Reformen und den "Dialog aller Syrier", betonte der russische Außenminister Sergej Lawrow. Man müsse weiter Druck auf "beide syrischen Seiten" ausüben.

Russland verlangt zudem eine "unvoreingenommene Untersuchung" des Massakers in der syrischen Ortschaft Hula durch die Uno. Die regierungsnahe Zeitung "Nesawisimaja Gaseta" zitierte Berichte "unabhängiger Journalisten" in Syrien, wonach das Massaker in Hula von "Provokateuren" verübt wurde. Erst am Dienstag hatte sich Lawrow besorgt darüber geäußert, dass "einige Länder" versuchten, die "tragischen Ereignisse" zu nutzen, um das Scheitern von Annans Friedensplan zu erklären. Die Ausweisung der syrischen Botschafter aus einer Reihe von westlichen Ländern trifft im russischen Außenministerium auf scharfe Kritik. Denn dadurch gingen die "wichtigsten Kanäle" verloren, um auf die syrische Regierung "konstruktiven Druck" auszuüben, heißt es in einer Erklärung aus Moskau.

veröffentlicht in: Saarbrücker Zeitung

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