16. September 2011

Kolumnen aus dem Arbeitslager Nr. 7

Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau

Michail Chodorkowski, Ex-Milliardär und Russlands bekanntester Häftling, schreibt Texte über den Alltag im Gefängnis.


Kann man in einem russischen Gefängnis ein Mensch bleiben? Diese Frage stellt man sich angesichts der menschenunwürdigen Bedingungen in russischen Gefängnissen, mit überbelegten Zellen, schlechter medizinischer Versorgung und übertriebener Strenge. Doch kein geringerer als Michail Chodorkowski, einst Chef des Ölkonzerns Yukos und reichster Mann Russland, zeigt, dass man selbst unter unwürdigen Bedingungen ein Mensch bleiben kann.

Für das Moskauer Wochenmagazin „New Times“ schreibt Chodorkowski Kolumnen über die Schicksale seiner Mitgefangenen. Die Artikel-Serie heißt „Gefängnis-Menschen“.

Chodorkowski selbst hat eine Odyssee durch Gefängnisse und Arbeitslager hinter sich. Seit Oktober 2003 sitzt der einst reichste Mann Russlands wegen Steuerhinterziehung hinter Gittern. Nach dem zweiten Prozess wegen angeblichem Öl-Diebstahl, der im Dezember 2010 endete, kommt Chodorkowski erst 2017 frei. Die Kolumnen, die der ehemalige Unternehmer jetzt schreibt, werden im Abstand von zwei bis drei Wochen erscheinen – so wie es es die Bedingungen zulassen, sagt „New Times“-Chefin Jewgenia Albatz.

Chodorkowski lebt tief in der russischen Provinz, im Arbeitslager Nr. 7 in Segescha. Der Ort liegt im Norden Kareliens.

In Russland haben die staatlichen Medien den ehemaligen Chef des Ölkonzerns Yukos zum Buhmann der Nation aufgebaut. Chodorkowski bekommt nur Unterstützung von Liberalen und Menschenrechtlern. Populär ist der ehemalige Unternehmer nicht. Für viele Beobachter ist klar, dass der russische Ministerpräsident Wladimir Putin mit der Inhaftierung von Chodorkowski die latente Unzufriedenheit über die ungerechte Verteilung des Reichtums in Russland zu dämpfen versucht. Dass der ehemalige Konzernchef über seine Mitgefangenen schreibt, passt nicht in das von staatlichen Medien entworfene Bild eines gewissenlosen Glücksritters.

Wie es Chodorkowski gelingt, seine Kolumnen zu schreiben, bleibt jedoch ein Rätsel. Denn im Arbeitslager wird ein neues Strafvollzugssystem erprobt, bei dem die Häftlinge keine Zeit mehr für persönliche Dinge haben. Von morgens bis abends werden die Häftlinge beschäftigt – mit Arbeiten, Marschieren, Singen und „Bildungsveranstaltungen“. Gespräche zwischen den Gefangenen sind nur bei Anwesenheit eines Aufsehers erlaubt.

veröffentlicht in: Sächsische Zeitung

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