15. December 2008

Kreml-Gegner gründen Partei

„Marsch der Nichteinverstandenen“ – Festnahmen bei Protesten Die russischen Liberalen wollten die Gründung ihrer Partei „Solidarnost“ mit einem Marsch der „Nichteinverstandenen“ krönen, doch die Polizei verhinderte die ungenehmigte Demonstration.

Von SZ-Mitarbeiter Ulrich Heyden

Moskau. Die riesige Tanne auf dem Triumfalnaja-Platz im Zentrum von Moskau, war festlich geschmückt, doch von Weihnachtsstimmung war im Zentrum von Moskau gestern nichts zu spüren. Alle paar Minuten schleppten Polizisten Oppositionelle, die sich am verbotenen Marsch der Nichteinverstandenen beteiligen wollten, an Armen und Beinen in die bereitstehenden Gefängnis-Wagen. Der Platz, auf dem Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow einen „Marsch der Nichteinverstandenen“ starten wollte, war von Hunderten von Polizisten besetzt. Auf der angrenzenden Twerskaja-Straße – eine von Moskaus schicken Einkaufs-Meilen – stand eine lange Kolonne schwerer Armee-Laster.

Trotzdem sammelten sich an den Absperrungen der Polizei Hunderte von Oppositionellen, die gegen eine Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre und die befürchteten Massenentlassungen und Lohnkürzungen wegen der Finanzkrise demonstrieren wollten. Die Polizei verhaftete Dutzende von Demonstranten, darunter den Schriftsteller Eduard Limonow, Journalisten der Zeitung „Kommersant“ und des Fernsehkanals „Ren TV“ sowie mehrere Armee-Veteranen, die am nahe gelegenen Puschkin-Platz protestieren wollten. Trotz des starken Polizeiaufgebots in der Moskauer Innenstadt kam es dann doch noch zu einer spontanen Demonstration am Pawelezki Bahnhof. Etwa 100 Demonstranten zogen mit Rufen wie „Wir brauchen ein anderes Russland“, „Russland – ohne Putin“ und „Das ist unsere Stadt“ durch die Straßen. In Petersburg kamen etwa 1000 Menschen zu einer genehmigten Kundgebung des Oppositionsbündnisses „Marsch der Nichteinverstandenen“. Aber auch in der Newa-Stadt gab es am Rande der Kundgebung Dutzende von Festnahmen. Am Samstag hatte Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow einen erneuten Versuch gemacht, die in kleine Organisationen zersplitterte liberale Opposition zu vereinen. Unter den Klängen von Viktor Zojs Rock-Hymne „Wir warten auf den Wechsel“ wurde im Moskauer Vorort Chimki von 100 Delegierten die Partei Solidarnost gegründet. Die politische Führung habe „unter dem Mantra liberaler Prinzipien eine vollständige Diktatur geschaffen“, erklärte Kasparow. Man könne derzeit zwar keine orangene Revolution machen, aber „mit Sicherheit eine orangene Organisation schaffen“, sagte Walerija Nowodworskaja, die zu Sowjetzeiten Dissidentin war.

Der Name der neuen Partei ist der bekannten polnischen Gewerkschaft entlehnt. Im Gegensatz zum polnischen Modell versammelten sich in dem Hotel am Rande von Moskau aber nicht Gewerkschafter sondern vor allem Intellektuelle und kleine Geschäftsleute. Ob der Kreml die Solidarnost als Partei registrieren lassen wird, ist aber noch fraglich, denn die bürokratischen Hürden wurden in den letzten Jahren erhöht.

"Saarbrücker Zeitung"

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