6. April 2007

Michail Chodorkowski - Gefangen in der Stille

Früher galt er als der reichste Mann im Land. Der Journalist Waleri Panjuschkin zeichnet das Leben des Häftlings nach.

Muss Michail Chodorkowski ewig in Sibirien bleiben? Die russische Staatsanwaltschaft bereitet einen neuen Prozess vor, diesmal wegen Geldwäsche. Dem ehemaligen Jukos-Chef drohen weitere 15 Jahre. Was steckt dahinter - und welche Rolle spielt Chodorkowski? Diesen Fragen geht Waleri Panjuschkin nach. Der junge russische Journalist hat das erste Buch über den ehemaligen Chef des Ölkonzerns Jukos vorgelegt.

In Russland erschien es unter dem Titel „Gefangener der Stille“ – ohne besonderes Echo. Denn um den ehemaligen Jukos-Chef ist es in seiner Heimat eher still geworden. Die staatlichen Medien haben ihn als eigennützigen Steuersünder abgeurteilt. Nun sitzt Russlands ehemals reichster Manneine achtjährige Haftstrafe in einemArbeitslager 5000 Kilometer östlich Moskaus ab.

Um es gleich vorweg zu sagen: Wer ein Buch mit Details aus dem Privatleben von Russlands einst reichstem Mann erwartet, wer vielleicht auch etwas über seine Seele erfahren wollte, wird in dem Buch Panjuschkins nicht so richtig fündig. Was gab Michail Chodorkowski die innere Kraft, sich gegen Putin zu stellen, Oppositionsparteien zu finanzieren und eigene Geschäftspläne, wie etwa die Verschmelzung seines Unternehmens mit dem US-Multi Exxon Mobil, in die Wege zu leiten? Warum arrangierte er sich nicht mit dem Kreml, wie die anderen russischen Milliardäre? Diese Fragen reißt das Buch an, doch letzte Antworten gibtes nicht, kann es vielleicht auch nicht geben.

Panjuschkin stand zwar im Briefwechsel mit dem Inhaftierten und entlockt dem ehemaligen Unternehmer so manch interessanten Satz, doch die Stärke des Buches liegt nicht in der Beschreibung der Person Chodorkowski, sondern in der eindrucksvollen Geschichte des Unternehmens Jukos, welches Chodorkowski 1995 hoch verschuldet kaufte und zu einem der weltweit größten Energiekonzerne auf-baute.

Chodorkowski war von dem Gedanken der Effektivität beseelt. Alles, was dem Erfolg seines Unternehmens im Weg stand, veraltete Gesetze, kaukasische Banditen, schmiergeldhungrige Bürokraten, räumte er beiseite oder überging er. Aber der Selfmade-Unternehmer Chodorkowski war auch Produkt der russischen Geschichte. Er akzeptierte und kopierte notgedrungen die immer noch gültigen russischen Feudalgesetze. Er folgte treu dem sowjetischen Premierminister Iwan Silajew, dem er 1991 als Berater diente, und dann Boris Jelzin, dessen Wahlkampf er 1996 mitfinanzierte. 1995 erwarb Chodorkowski das staatliche Ölunternehmen Jukos.

Im russischen Kapitalismus besteht nur, wer führen und sich auf einen Freundeskreis stützen kann. Chodorkowski konnte beides. Bei Jukos stellte er vorzugsweise ehemalige Kommilitonen aus seiner Chemie-Fakultät ein. Für die Führung des Konzerns baute er eine Villensiedlung. Dort lebten die Jukos-Manager Haus an Haus. Die Aufbauarbeit um den Konzern hat Chodorkowski hart gemacht. „Es gab nur zwei Alternativen“, so erinnert sich der Ölmagnat in einem Brief an den Buchautor, „entweder auf die Knie zu fallen oder ins Gefängnis zu gehen.“

Ob er sich zu Sowjetzeiten als Vorsitzender der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol nicht an Gesinnungsterror und der Kontrolle des Privatlebens beteiligt habe, will der Autor wissen. Nein, erklärt Chodorkowski, er sei damals nur für organisatorische Fragen zuständig gewesen. „Andersdenkende“ habe es an seiner Fakultät nicht gegeben. Obwohl er ein überzeugter Komsomolze gewesen sei, habe er an den Kommunismus geglaubt. 1991 – nach einigen Auslandsreisen – sei sein Weltbild zerbrochen.

Wer in Russland ein Buch über Chodorkowski schreibt und den Unternehmer nicht in Bausch und Bogen verurteilt, setzt sich zwangsläufig dem Verdacht aus, er sei von Chodorkowski bezahlt. Panjuschkin macht es den notorischen Nörglern nicht leicht. Denn er schildert auch so manche Episode, welche den ehemaligen Jukos-Chef in ein ungünstiges Licht stellt. Er erzählt, Sicherheitsleute von Chodorkowski hätten eine Mieterin aus einem Wohnhaus vertrieben, welches sich die Jukos-Bank Menatep als neues Domizil ausgeguckt hatte.

Ist Chodorkowski nun schuldig oder nicht? Panjuschkin beschreibt, dass in Russland keine demokratischen Gesetze gelten, sondern dass nach feudalen Regeln regiert wird. Chodorkowski habe Gesetze übertreten und Steuern hinterzogen, ja, aber er hatte die Vision einer freien Gesellschaft und war auch bereit, die Ansätze einer solchen Gesellschaft mit seinem Geld zu unterstützen, indem er eine Stiftung für Jugendbildung gründete und oppositionelle Parteien finanzierte.

Der Kreml stellt Chodorkowski als Schreckgespenst dar, als egoistischen Vertreter der Superreichen. Doch es sind nicht die Oligarchen, die den ehemaligen Konzernchef heute unterstützen. Diese haben sich mit Putin arrangiert. Chodorkowski selbst – so berichtet der Autor – setzte auf die Russen, die mehr als 100000 Dollar im Jahr verdienen, auf die aufstrebende Schicht also. Diese Menschen wollte er für sein Projekt eines modernen Russlands gewinnen. Doch der ehemalige Jukos-Chef habe sich getäuscht. Seine wirklichen Anhänger haben wenig Geld, es sind Universitätsdozenten, Journalisten, Bürgerrechtler, Lehrer und Studenten. Sie verzeihen dem Milliardär so manchen Fehler, aber sie setzen Hoffnung in ihn: Mithilfe von Chodorkowski, so hoffen sie, könnte sich Russland zu einer Gesellschaft mit bürgerlichen Freiheiten entwickeln.

Waleri Panjuschkin: Michail Chodorkowski. Heyne Verlag, München 2006. 304 Seiten, 8,95 Euro.

Rheinischer Merkur

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