Mit ein paar Tomaten ist es nicht getan
Russlands Präsident Wladimir Putin spricht vom Kreml aus zu seinem Volk – und knöpft sich noch einmal die Türkei vor
Wladimir Putin hielt gestern im Georgi-Saal des Kreml seine alljährliche und nun schon zwölfte Rede vor der Föderalen Versammlung. Zu der Versammlung gehören die Abgeordneten der beiden Kammern des russischen Parlaments, die Mitglieder der Regierung, des Verfassungs- und Obersten Gerichts und einige Personen des öffentlichen Lebens. Die Rede wurde wie immer live von russischen Fernsehkanälen übertragen und gilt als wegweisend für die russische Politik.
Zu Beginn der Versammlung rief Putin zu einer Schweigeminute auf. Die Kamera schwenkte zu zwei Frauen, die unter lauter Männern in dunklen Sakkos im Publikum saßen. Da saß die Witwe des Piloten Oleg Peschkow, der nach seinem Sprung aus dem abstürzenden Kampfflugzeug S 24 von syrisch-turkmenischen Kämpfern am Fallschirm schwebend erschossen worden war. Neben ihr saß die Witwe des Marineinfanteristen Aleksandr Posynitsch, der bei der Rettungsaktion für den zweiten S-24-Piloten durch eine Attacke turkmenischer Kämpfer starb.
Putin sprach davon, dass Russland schon seit Mitte der 1990er-Jahre mit dem Terrorismus konfrontiert wird. Die Tragödien von Geiselnahmen und Anschlägen auf Fernzüge und U-Bahnen in Russland hätten „Tausende Menschen getötet“. Die Staaten im Nahen Osten und in Nordafrika hätten sich in eine „Zone des Chaos“ verwandelt. Staaten seien zerstört worden, und diejenige, die das angerichteten haben, hätten sich „aus der Verantwortung gestohlen“. Putin meinte wohl die USA, nannte sie aber nicht namentlich. Der Kreml-Chef erklärte, dass man jetzt alle Meinungsverschiedenheiten beiseiteschieben müsse, um „eine kräftige Faust, eine einige antiterroristische Front auf Grundlage des internationalen Rechts und unter der Ägide der Vereinten Nationen aufzubauen“.
Russland werde „nicht mit den Waffen rasseln“, erklärte Putin. „Doch wenn jemand, der ein Kriegsverbrechen begangen hat und Menschen von uns ermordet hat“, glaube, mit dem Import-Stopp für Tomaten und der Beschränkungen von Bauprojekten in Russland davonzukommen, „so hat sich derjenige schwer geirrt“. Damit spielte der Kreml-Chef auf die Führung der Türkei an. Man kann davon ausgehen, dass Putins Worte Folgen haben werden: „Wir werden weiter daran erinnern, was sie gemacht haben.“ Doch was hat Putin konkret vor? Will er den Abschuss des russischen Kampfflugzeuges vor die Uno bringen? Will er die Wirtschaftsbeziehungen mit der Türkei komplett einstellen?
Auffällig war, dass Putin nicht in eine antitürkische Hysterie verfiel. Er richtete seine Vorwürfe ausschließlich gegen die Führung der Türkei. Das türkische Volk sei „gut, arbeitsam und begabt“, so der russische Präsident. Russland habe in der Türkei „viele verlässliche Freunde“.
veröffentlicht im Südkurier