15. November 2010
NATO sucht nach sicherer Nachschubroute
Russland. Auf dem NATO-Gipfel in Lissabon soll ein Vertrag über den Transit von Militärgütern über Russland nach Afghanistan unterzeichnet werden.
ulrich heyden moskau, washington (SN). Nach einer Eiszeit in der Folge des Georgien-Krieges haben sich der Westen und Russland in Sicherheitsfragen in Riesenschritten angenähert. Dass Russland im Juni im UN-Sicherheitsrat für Sanktionen gegen den Iran stimmte, wurde von den USA als Erfolg gewertet.
Auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen machte bei seinem Besuch in Moskau Anfang November gut Wetter. Anstatt sich gegenseitig Sorgen zu machen, könne man militärische Ressourcen nutzen, um gemeinsam „reale Bedrohungen“ zu bekämpfen, „den Terrorismus, die Instabilität in Afghanistan und den Drogenhandel aus diesem Land, ballistische Raketen und die Piraterie“, erklärte er.
Bei ihrem Treffen in Lissabon Ende dieser Woche will die NATO nun zu konkreten Vereinbarungen über eine Beteiligung Russlands an der Raketenabwehr und vor allem auch zu einem Transitabkommen für den Transport von Militärgütern nach Afghanistan kommen. Eine Vereinbarung über einen Luftkorridor für US-Militärflugzeuge hatten Präsident Barack Obama und sein russischer Amtskollege Dmitrij Medwedew bereits im Juli 2009 in Moskau unterzeichnet. Die Vereinbarung sieht Überflugrechte für 4000 US-Militärflugzeuge pro Jahr vor. Ähnliche Vereinbarungen hat Russland auch mit Deutschland und Frankreich abgeschlossen. Vereinbarungen mit Spanien und Italien sollten folgen, erklärte Russlands NATO-Botschafter Dmitrij Rogosin.
Außer dem Luftkorridor nutzen die USA für die Versorgung ihrer Truppen am Hindukusch auch die Eisenbahn. Ausgangspunkt ist die lettische Hauptstadt Riga. Die Versorgung per Eisenbahn über russisches Territorium ist Teil des „Northern Distribution Network“ (NDN), einer hochgeheimen Versorgungsstruktur, welche außer dem russischen auch die Territorien von Kasachstan, Usbekistan, Georgien und Aserbaidschan nutzt. Da die USA über die Schiene in Russland nur Versorgungsgüter transportieren dürfen, will die NATO nun erreichen, dass auch gepanzerte Fahrzeuge per Schiene nach Afghanistan transportiert werden dürfen.
Vorteil für Russland
„Ist das für Russland von Vorteil?“, fragt die liberal-konservative Moskauer Zeitung „Nesawissimaja Gazeta“ und antwortet mit Ja. Es gehe nicht nur um das Geld, das für den Transit bezahlt werde. Wichtiger sei die Stärkung der Kooperation zwischen Russland und der NATO „im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, den internationalen Drogenhandel, die Weiterverbreitung von Raketentechnologie und die illegale Migration“.
Wenn es zudem gelinge, zu einer annehmbaren Vereinbarung über einen Europäischen Raketenschirm zu kommen, werde man „sich nicht nur auf US-Militärtechnik stützen, sondern auch auf den vaterländischen (russischen, Anm.) militärisch-industriellen Komplex“. NATO-Gesandter Rogosin zeigte sich bezüglich eines gemeinsamen Raketenschirms skeptisch. Sämtliche Spekulationen über eine Beteiligung russischer Truppen am Krieg in Afghanistan wies er strikt zurück. Das sei für Russland „ein Tabu“. Auch Spezialisten zur Unterstützung der afghanischen Armee werde Russland nicht schicken. Die Schmach der sowjetischen Armee, die im Krieg gegen die Mudschaheddin in den Jahren 1979 bis 1989 kläglich scheiterte, steckt den Russen bis heute in den Knochen. In russischem Interesse ist es aber offenbar auch nicht, dass die NATO in Afghanistan scheitert. Sollte das westliche Militärbündnis unverrichteter Dinge vom Hindukusch abziehen, könnte sich der militante islamische Fundamentalismus vom Süden her nach Russland ausbreiten und die fast 20 Millionen Moslems im eigenen Land infizieren, so die Befürchtung in Moskau. Auch der illegale Export von Drogen aus Afghanistan nach Russland wird als Bedrohung gesehen. Daher feierten die russischen Medien die gemeinsame Aktion von amerikanischen und afghanischen Militärs, die mit Unterstützung russischer Anti-Drogen-Spezialisten Ende Oktober vier Drogenlabore in Afghanistan zerstörten.
Gegen den islamischen Fundamentalismus arbeiten die Geheimdienste Russlands und der NATO-Staaten schon länger zusammen. Bereits im April 2000, Wladimir Putin war gerade zum Präsident gewählt worden, wurde bekannt, dass der damalige Chef des deutschen Bundesnachrichtendienstes, August Hanning, der russischen Seite Informationen über die tschetschenischen Separatisten und ihre Helfer im Ausland übergeben haben soll – anlässlich einer Dienstreise in die damals brutal umkämpfte Provinz. Immer wieder berichten westliche Medien auch darüber, dass die USA die Kenntnisse von sowjetischen Afghanistan-Veteranen nutzen. Von offizieller Seite wird über diese Zusammenarbeit jedoch nicht geredet.
veröffentlicht in: Salzburger Nachrichten
ulrich heyden moskau, washington (SN). Nach einer Eiszeit in der Folge des Georgien-Krieges haben sich der Westen und Russland in Sicherheitsfragen in Riesenschritten angenähert. Dass Russland im Juni im UN-Sicherheitsrat für Sanktionen gegen den Iran stimmte, wurde von den USA als Erfolg gewertet.
Auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen machte bei seinem Besuch in Moskau Anfang November gut Wetter. Anstatt sich gegenseitig Sorgen zu machen, könne man militärische Ressourcen nutzen, um gemeinsam „reale Bedrohungen“ zu bekämpfen, „den Terrorismus, die Instabilität in Afghanistan und den Drogenhandel aus diesem Land, ballistische Raketen und die Piraterie“, erklärte er.
Bei ihrem Treffen in Lissabon Ende dieser Woche will die NATO nun zu konkreten Vereinbarungen über eine Beteiligung Russlands an der Raketenabwehr und vor allem auch zu einem Transitabkommen für den Transport von Militärgütern nach Afghanistan kommen. Eine Vereinbarung über einen Luftkorridor für US-Militärflugzeuge hatten Präsident Barack Obama und sein russischer Amtskollege Dmitrij Medwedew bereits im Juli 2009 in Moskau unterzeichnet. Die Vereinbarung sieht Überflugrechte für 4000 US-Militärflugzeuge pro Jahr vor. Ähnliche Vereinbarungen hat Russland auch mit Deutschland und Frankreich abgeschlossen. Vereinbarungen mit Spanien und Italien sollten folgen, erklärte Russlands NATO-Botschafter Dmitrij Rogosin.
Außer dem Luftkorridor nutzen die USA für die Versorgung ihrer Truppen am Hindukusch auch die Eisenbahn. Ausgangspunkt ist die lettische Hauptstadt Riga. Die Versorgung per Eisenbahn über russisches Territorium ist Teil des „Northern Distribution Network“ (NDN), einer hochgeheimen Versorgungsstruktur, welche außer dem russischen auch die Territorien von Kasachstan, Usbekistan, Georgien und Aserbaidschan nutzt. Da die USA über die Schiene in Russland nur Versorgungsgüter transportieren dürfen, will die NATO nun erreichen, dass auch gepanzerte Fahrzeuge per Schiene nach Afghanistan transportiert werden dürfen.
Vorteil für Russland
„Ist das für Russland von Vorteil?“, fragt die liberal-konservative Moskauer Zeitung „Nesawissimaja Gazeta“ und antwortet mit Ja. Es gehe nicht nur um das Geld, das für den Transit bezahlt werde. Wichtiger sei die Stärkung der Kooperation zwischen Russland und der NATO „im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, den internationalen Drogenhandel, die Weiterverbreitung von Raketentechnologie und die illegale Migration“.
Wenn es zudem gelinge, zu einer annehmbaren Vereinbarung über einen Europäischen Raketenschirm zu kommen, werde man „sich nicht nur auf US-Militärtechnik stützen, sondern auch auf den vaterländischen (russischen, Anm.) militärisch-industriellen Komplex“. NATO-Gesandter Rogosin zeigte sich bezüglich eines gemeinsamen Raketenschirms skeptisch. Sämtliche Spekulationen über eine Beteiligung russischer Truppen am Krieg in Afghanistan wies er strikt zurück. Das sei für Russland „ein Tabu“. Auch Spezialisten zur Unterstützung der afghanischen Armee werde Russland nicht schicken. Die Schmach der sowjetischen Armee, die im Krieg gegen die Mudschaheddin in den Jahren 1979 bis 1989 kläglich scheiterte, steckt den Russen bis heute in den Knochen. In russischem Interesse ist es aber offenbar auch nicht, dass die NATO in Afghanistan scheitert. Sollte das westliche Militärbündnis unverrichteter Dinge vom Hindukusch abziehen, könnte sich der militante islamische Fundamentalismus vom Süden her nach Russland ausbreiten und die fast 20 Millionen Moslems im eigenen Land infizieren, so die Befürchtung in Moskau. Auch der illegale Export von Drogen aus Afghanistan nach Russland wird als Bedrohung gesehen. Daher feierten die russischen Medien die gemeinsame Aktion von amerikanischen und afghanischen Militärs, die mit Unterstützung russischer Anti-Drogen-Spezialisten Ende Oktober vier Drogenlabore in Afghanistan zerstörten.
Gegen den islamischen Fundamentalismus arbeiten die Geheimdienste Russlands und der NATO-Staaten schon länger zusammen. Bereits im April 2000, Wladimir Putin war gerade zum Präsident gewählt worden, wurde bekannt, dass der damalige Chef des deutschen Bundesnachrichtendienstes, August Hanning, der russischen Seite Informationen über die tschetschenischen Separatisten und ihre Helfer im Ausland übergeben haben soll – anlässlich einer Dienstreise in die damals brutal umkämpfte Provinz. Immer wieder berichten westliche Medien auch darüber, dass die USA die Kenntnisse von sowjetischen Afghanistan-Veteranen nutzen. Von offizieller Seite wird über diese Zusammenarbeit jedoch nicht geredet.
veröffentlicht in: Salzburger Nachrichten
Im Brennpunkt