Von Wilhelm Domke-Schulz
Ein Riss geht durch die deutsche Gesellschaft, wie schon lange nicht mehr. Angefeuert durch die immer brachialer werdende, völlig einseitig, transatlantisch dominierte Ideologisierung in der deutschen Politik und in den deutschen Leitmedien, die sich einem ergebnisoffenen demokratischen Dialog unterschiedlicher Meinungen strikt verweigern und Bürger oder andere Staaten nur noch in Gut und Böse unterteilen.
Und Schuld an all dem sind natürlich immer nur die Anderen, entweder die bösen Bürger im Inland oder die angeblich feindlich gesinnten anderen Staaten außerhalb, während sich die Propagandisten des ausschließlich guten „Werte-Westen“ permanent mit einem kritikresistenten, selbstherrlichen Heiligenschein umgeben.
Wie konnte es dazu kommen? Was ist da eigentlich schiefgelaufen? Und - sind das nicht eigentlich nichts anderes, als die Jahrzehnte alten, immer nur oberflächlich vernarbten, tiefen Wunden, die da wieder aufbrechen? Gut möglich. Nein. Eher sehr wahrscheinlich.
Denn, um die eigentlichen Ursachen der dramatischen Polarisierung in der deutschen Gegenwart verstehen zu können, muss man weiter zurück in die Geschichte blicken. Ulrich Heyden hat das in seinem neuen Werk „Wie Deutschland gespalten wurde“ getan. Darin beleuchtet er, wie es nach Kriegsende zur deutschen Teilung kam und zwar unter einen bisher kaum untersuchten Aspekt, nämlich „der Politik der KPD 1945 bis 1951“.
Natürlich kann man sich als Leser erstmal fragen, ja mein Gott, das alles ist mittlerweile schon über 70 Jahre her, ist das nicht bloß noch Schnee von gestern, also müßig sich damit zu beschäftigen? Und außerdem. Welche Rolle soll damals die Kommunistische Partei schon gespielt haben?
Nach der Lektüre der gut über 400 Seiten stellt sich diese Frage nicht mehr, denn wie zitierte Helmut Kohl anno 1995 im Deutschen Bundestag so weise: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten“.
Unter diesem Blickwinkel betrachtet ist Heydens bemerkenswerte Überarbeitung seiner Magisterarbeit an der Historischen Fakultät in Hamburg von 1990 eine Abhandlung, die an Aktualität und mitunter leider sehr bestürzenden Parallelen zur Gegenwart nichts eingebüßt hat. Das wird schon im Vorwort deutlich. Heyden stellt hier den Kontext zur jüngeren Zeitgeschichte Gesamtdeutschlands her.
Die friedlichen Revolutionäre von 1989 sind für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und viele von ihnen vor allem auch für die D-Mark auf die Straße gegangen. Die D-Mark kam dann sehr schnell in den Osten, aber mit den sogenannten „westlichen Werten“ sieht es dagegen, freundlich formuliert, heute mehr denn je eher sehr durchwachsen aus, wenn man die „Erfolgsbilanz“ der letzten 30 Jahre, an dieser Stelle, aus kritisch-ostdeutscher Sicht betrachtet:
Die Vollbeschäftigung im Osten wurde durch flächendeckende Entindustrialisierung, Unterbezahlung und von zweistelliger Massenarbeitslosigkeit abgelöst.
Nach dem Abzug der Sowjetarmee kam die NATO-Osterweiterung, auf 40 Jahre Frieden in der DDR folgte die gesamtdeutsche Beteiligung an rund einem Dutzend teils völkerrechtswidriger Kriege weltweit, wie zum Beispiel in Syrien.
An die Stelle enger internationaler Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil, wie in der DDR favorisiert, sind so Sanktionspolitik oder schlimmer noch, Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer, souveräner Staaten bis hin zum gewaltsamen Sturz unliebsamer Regierungen, wie zum Beispiel in der Ukraine, getreten.
Und auch die erhoffte freie Selbstbestimmung der Ostdeutschen wird heute durch einen über 95%igen Anteil Westdeutscher an sämtlichen ostdeutschen Führungspositionen konterkariert. Dass eine solch einseitige Personalpolitik, die noch immer die Züge eines antikommunistischen Feldzuges trägt, mitunter nicht nur degradierte Ostdeutsche an das Besatzungsregime des deutschen Kaiserreiches in Deutsch-Südwest-Afrika erinnert, sollte bei solchen Zahlen eigentlich nicht verwundern.
Bei den alljährlichen Jubelfeiern zur sogenannten deutschen „Wiedervereinigung“ werden kritische Stimmen kaum gehört. Dabei ist selbst der Begriff schon manipulierend. Er suggeriert ein harmonisches Zusammenwachsen, das so nie stattgefunden hat. Dazu waren die beiden deutschen Staaten und deren Verhandlungsoptionen viel zu verschieden.
„Die Bedingungen bestimmen wir“, lautete bekanntlich das überlieferte Mantra des westdeutschen Verhandlungsführers Wolfgang Schäuble. Der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der BRD, wie es korrekterweise heißen müsste, konnte so zu keiner „Wiedervereinigung“ auf Augenhöhe werden. Die dominante westdeutsche Verhandlungsführung „von oben herab“, wirkte sich entsprechend katastrophal auf Gesellschaft und Wirtschaft im Osten Deutschlands aus und besiegelte so das gänzlich unharmonische Ende einer jahrzehntelangen Teilung Deutschlands unter völlig konträren Vorzeichen.
Warum ist das so gelaufen? Wie kam es überhaupt zur Gründung zweier deutscher Staaten mit gänzlich unterschiedlichen Gesellschaftssystemen? Um das zu verdeutlichen, blickt Heyden hauptsächlich auf die ersten vier Nachkriegsjahre zurück.
Die KPD hatte in der Zeit des Faschismus große Opfer bringen müssen, erlebte aber nach Kriegsende in den Westzonen zunächst großen Zulauf. Von anfangs 75.000, wuchs sie bis 1947 auf 324.000 Mitglieder an. Sie war in den meisten Landesregierungen vertreten und spielte auch in der Kommunalpolitik und den Arbeitervertretungen eine wichtige Rolle. Während sie in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) innerhalb kürzester Zeit zur dominierenden politischen Kraft wurde, verlor sie im Westen Deutschlands dagegen recht schnell wieder an Einfluss. Das hatte verschiedene Ursachen.
Einerseits bildeten sämtliche anderen politischen Parteien umgehend eine Art „ideologischen Block“ gegen die westdeutsche Sektion der KPD, indem man sie vor allem für die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der SBZ mitverantwortlich machte und ihr darüber hinaus vorwarf, im Westen eine Art Sowjetsozialismus errichten zu wollen.
Andererseits gerieten die Kommunisten immer öfter mit den westlichen Besatzungsmächten aneinander, weil sie wiederholt bedenkliche Versäumnisse der westdeutschen Nachkriegsentwicklung kritisierten. Außerdem taten die ideologischen Grabenkämpfe innerhalb der KPD und eine spürbare Abhängigkeit zur ostdeutschen SED und damit verbunden zur KPdSU der Sowjetunion, ein Übriges zu ihrem offenbar unvermeidlichen Untergang.
Detailliert untersucht der Buchautor den Prozess des politischen Niedergangs der KPD in den westlichen Besatzungszonen. Ein Schwerpunkt der Untersuchung ist das Wirken der Kommunistischen Partei in Hamburg, eine wichtige Quelle das KPD-nahe Organ Hamburger Volkszeitung (HVZ).
Die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation im Nachkriegs-Hamburg bot, wie in den westlichen Besatzungszonen insgesamt, keine guten Voraussetzungen für einen politischen Erfolg der KPD. Auf breites Wohlwollen konnten die Kommunisten, die mehrheitlich Illegalität, Verfolgung, Inhaftierung, Exil und Folter überstanden hatten, in der hanseatischen Bürgerschaft nicht hoffen.
So hatte sich zum Beispiel die Zusammensetzung der über 50.000 Mitarbeiter umfassenden städtischen Verwaltung nach der militärischen Kapitulation Deutschlands nicht grundlegend geändert. 81 % der leitenden Beamten waren ehemalige NSDAP-Mitglieder. Bei den leitenden Angestellten lag der Anteil 1948 noch bei 48%. Im Gegensatz dazu waren zunächst lediglich 200 Antifaschisten neu aufgenommen worden, die dann aber auch schon bald wieder aus der Verwaltung hinausgedrängt worden sind.
Ähnlich hohe Anteile von ehemaligen NSDAP-Genossen gab es auch in der Hamburger Justiz, im Ernährungsamt, im NWDR (Nord West Deutscher Rundfunk) und in der Hamburger Wirtschaft. Im gesamten Gebiet der westlichen Besatzungszonen sah es nicht wesentlich anders aus. Kräftiger Widerstand gegen den ideologisch neuen, alten Feind KPD war hier vorprogrammiert.
Dabei hatte die KPD-Führung bereits während des Faschismus Konzepte zur Errichtung einer „kämpferischen Demokratie“ in Deutschland erarbeitet, in der die Fehler der Weimarer Republik, in der alte Macht-, Finanz- und Wirtschaftsstrukturen des Kaiserreichs nicht zerschlagen worden waren, nicht wiederholt werden sollten.
In der innerparteilichen Diskussion zur Nachkriegsordnung spielte dabei schon die Durchsetzbarkeit von politischen Zielen eine zentrale Rolle. In einem Nachkriegsdeutschland, dessen Mehrheitsbevölkerung außerstande oder nicht willens gewesen war, sich selbst vom Faschismus zu befreien, wollte die westdeutsche KPD-Führung aus taktischen Gründen zunächst nur solche Forderungen aufstellen, die in der Bevölkerung eine breite Massenbasis hätten gewinnen können.
Aber auch die verbliebenen Kernforderungen der KPD, wie die nach einer echten Entnazifizierung der Gesellschaft, der Schaffung einer Friedenswirtschaft durch Transformation der Rüstungsindustrie in eine entmilitarisierte Zivilwirtschaft, der Entprivatisierung und Vergesellschaftung der Wirtschaft durch Liquidierung von Monopolen und monopolistischer Gebilde, durch die Zerschlagung von Trusts und Konzernen, die Durchsetzung von Mitbestimmung von Werktätigen in den Unternehmen und die Schaffung einer multipolaren Presselandschaft basierend auf echter Meinungsvielfalt und Monopol-unabhängiger Meinungsfreiheit hatten im Grunde von Anfang an keine Chance. Denn all dies ist im Westen Deutschlands nicht realisiert worden. Die Fehler der Weimarer Republik wurden wiederholt.
Die mehr als halbherzige Entnazifizierung im Westen Deutschlands ging auf Trumans 1947 entwickelter Doktrin von der „Eindämmung der Sowjetunion“ zurück. Westdeutschland sollte zu einem antirussischen Bollwerk ausgebaut werden, mit eigenem Staat, eigener Währung und einem eigenen Wirtschaftssystem, das sich vom vorhergehenden nicht spürbar unterscheiden sollte.
Die wiederholten Angebote der Sowjetunion und der westdeutschen Sektion der KPD, im Zuge eines Friedensvertrages mit allen Alliierten einen neutralen, blockfreien deutschen Staat zu gründen, mit einer gemeinsamen Zentralregierung und einem einheitlichen Wirtschaftssystem, wie zum Beispiel in Österreich, waren da nur im Wege. Und so war das Schicksal der westdeutschen KPD, die bis in die 50iger Jahre hinein einen Friedensvertrag und die Gründung eines entmilitarisierten gesamtdeutschen Staates forderte, von vornherein besiegelt. Und Deutschland hatte wieder einmal, nach 1848, 1918, 1945 und in der Folge dann auch 1990 die große Chance auf einen friedliebenden, wahrhaft demokratischen und sozialen Staat verspielt.
Ein mögliches Fazit für den Leser: Eine wirklich demokratische, friedensorientierte Nachkriegsgesellschaft hätte man im Westen Deutschlands nur dann aufbauen können, wenn man entweder einen konsequenten Elitentausch und Eigentumswechsel in der Wirtschaft vorgenommen hätte, vergleichbar mit der grundlegenden Umgestaltung im Osten Deutschlands. Oder, wenn man ein ähnliches, blockfreies Modell, wie in Österreich verfolgt hätte. Da beides nicht geschehen ist, können die westdeutsch dominierten, gesamtdeutschen Politik-, Wirtschafts- und Massenmedieneliten, mit dem ihr Denken und Handeln bestimmenden Kommunisten- und Russenhass, auf nunmehr eine fast 90jährige, ungebrochene Tradition zurückblicken, mit den oben beschriebenen fatalen Folgen für die Innen- und Außenpolitik. Nichts worauf man wirklich stolz sein könnte.
Um diese fatalen Fehlentwicklungen zu analysieren und tragfähige Konzepte zur Bewältigung des mittlerweile schon über hundert Jahre aufgetürmten Reformstaus der deutschen Gesellschaft zu entwickeln und umzusetzen, bedarf es mehr solcher Bücher, wie dem von Ulrich Heyden „Wie Deutschland gespalten wurde – Die Politik der KPD 1945-1951“, erschienen bei tredition:
https://tredition.de/autoren/ulrich-heyden-30935/wie-deutschland-gespalten-wurde-paperback-138954/
Paperback, 19,99 €
Zur Person: Wilhelm Domke-Schulz ist Medienwissenschaftler und Regisseur zahlreicher Dokumentarfilme (https://domke-schulz-film.de/). 2019 erschien sein Roman-Debüt „Werners wundersame Reise durch die DDR“ (Verlag am Park) https://www.eulenspiegel.com/verlage/eulenspiegel-verlag/neuerscheinungen/titel/2283-werners-wundersame-reise-durch-die-ddr.html
Domke-Schulz wohnt in einem Vorort von Leipzig.
veröffentlicht in: scharf links