Russland: Schmierenkomödie mit Gastarbeitern
Durch die Festnahme von dreihundert Arbeits-Immigranten aus Tadschikistan hat der Kreml die Freilassung von zwei in Zentralasien wegen Schmuggels verurteilten Piloten durchgesetzt.
Man schreibt das Jahr 2011. Doch die Methoden erinnern an das Mittelalter. Russland hat durch die Festnahme von über 300 Gastarbeitern aus dem zentralasiatischen Nachbarland Tadschikistan faktisch durchgesetzt, dass zwei in Tadschikistan wegen Schmuggels verurteilte Piloten freigelassen wurden.
Die beiden Piloten, der Russe Wladimir Sadownitschi und sein Kollege Aleksej Rudenko – eine Este – wurden direkt im Gerichtssaal der süd-tadschikischen Stadt Kurgan-Tjube freigelassen. Die beiden Piloten waren Ende März mit ihrem Transportflugzeug vom Typ Antonow-72 in Kurgan-Tjube gelandet. Es war eine Notlandung ohne offizielle Genehmigung. Das Frachtflugzeug, welches ein Ersatz-Triebwerk an Bord hatte, kam aus Kabul und hatte nicht mehr genug Sprit, um nach Russland weiter zu fliegen. Nach der Landung wurden die Piloten wegen illegalen Grenzübertritts und Schmuggels festgenommen.
Russisches Außenministerium wurde erst spät aktiv
Nach Meinung von Lew Ponomarjow, dem Leiter der russischen Organisation „Bewegung für Menschenrechte“ wurde das russische Außenministerium zu spät für die Befreiung der beiden Piloten aktiv. Erst Anfang November, nachdem die beiden Piloten von einem Gericht in Tadschikistan zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden waren, hätten sich russische Diplomaten wirklich in den Fall eingeschaltet. Der russische Botschafter wurde zu Beratungen nach Moskau bestellt. Gleichzeitig begann die Moskauer Polizei mit einer Jagd auf tadschikische Gastarbeiter. Über 300 Arbeits-Immigranten aus Tadschikistan wurden festgenommen und in Auffanglagern festgehalten. Die russische Migrationsbehörde erklärte, die Festgenommenen hätten keine gültigen Aufenthaltspapiere und würden demnächst in ihre Heimat abgeschoben.
„Stimmung gegen Immigranten aufgepeitscht“
Der Menschenrechtler Lew Ponomarjow verurteilte die Kampagne gegen tadschikische Gastarbeiter, weil dadurch „die Stimmung gegen Immigranten aufgepeitscht werde“. Um die Piloten zu befreien, hätte man Konten des tadschikischen Staates beschlagnahmen können, erklärte Ponomarjow. Aber wenn einfach Bürger unter solchen Bestrafungs-Maßnahmen leiden, sei das „schlecht“. Der Menschrechtler erklärte, die anti-tadschikische Kampagne erinnere an die anti-georgische Kampagne im Jahre 2006. Damals waren mehrere hundert Georgier aus Moskau ausgewiesen worden. Das war die Antwort Moskaus auf die Verhaftung von angeblichen russischen Spionen in Georgien.
Familien in Tadschikistan leben von Überweisungen der Väter
Ein Vertreter des russischen Außenministeriums erklärte gegenüber dem Moskauer „Kommersant“, eine Kampagne gegen Gastarbeiter habe es nicht gegeben. Nur habe man die Festnahme von Tadschiken ohne gültige Aufenthaltsberechtigung diesmal unter Einschaltung der Medien durchgeführt. Damit habe man psychologischen Druck auf die Regierung in Duschanbe ausgeübt.
Die Gastarbeiter aus Tadschikistan, die in den russischen Großstädten auf dem Bau und in der Gebäudereinigung tätig sind, haben im letzten Jahr 2,2 Milliarden Dollar an ihre Familien in Tadschikistan überwiesen. Diese Summe entspricht 39,3 Prozent des Inlandsproduktes der zentralasiatischen Republik.
Urteil „zu hart“
Formal reagierte das Gericht im süd-tadschikischen Kurgan-Tjube mit der Freilassung der beiden Piloten auf eine Einlassung der tadschikischen Staatsanwaltschaft. Diese hatte erklärt, dass das Urteil gegen die beiden Piloten „zu hart“ war. Unter Anrechnung der Zeit, welche die Piloten schon im Gefängnis verbracht hatten und einer Amnestie konnten die Piloten freigelassen werden.
Vieles an dem Fall der beiden Piloten ist mysteriös. Der Moskauer Kommersant berichtete unter Berufung auf Aussagen russischer Diplomaten, dass Tadschikistan sich mit dem harten Urteil gegen die beiden Piloten an dem Urteil an gegen einen hochgestellten Tadschiken rächen wollte. 2009 war Rustam Chukumow, der Sohn des Leiters der tadschikischen Eisenbahn, im Moskauer Umland wegen Drogenhandel festgenommen und zu einer Haftstrafe verurteilt worden.
Gastarbeiter – kriminell und „infiziert“?
Die Kampagne gegen die tadschikischen Arbeits-Immigranten, die ohne Visum nach Russland einreisen können, hatte in den letzten Wochen skurrile Ausmaße angenommen. Der Leiter der russischen Migrationsbehörde Konstantin Romodanowski erklärte, die Kriminalitätsrate unter den Gastarbeitern sei besonders hoch. Und der russische Oberarzt Gennadi Onistschenko erklärte, man dürfe keine tadschikischen Gastarbeiter mehr einreisen lassen, denn ein Großteil der Tadschiken sei mit HIV und Tuberkulose infiziert. Die Moskauer Tageszeitung Moskowski Komsomolez hält die Zahlen jedoch für übertrieben.
Die „Gastarbeitery“ aus Zentralasien, wie die Arbeits-Immigranten in Anlehnung an den deutschen Begriff heißen, sind überall dort im Einsatz, wo es harte Arbeit zu geringem Lohn gibt. Zusammen mit ihren Kollegen aus Kirgistan und Usbekistan leben sie in Container-Dörfern am Rande der Baustellen oder zu acht in Zwei-Zimmer-Wohnungen in Plattenbauten, Wand an Wand mit russischen Familien.
Offiziell arbeiten 700.000 Tadschiken in Russland. Doch die wirkliche Zahl dürfte weit darüber liegen. Nach Schätzungen aus dem Jahr 2009 arbeiten in Russland insgesamt 7,2 Millionen Gastarbeiter aus Zentralasien, dem Kaukasus, der Ukraine und Moldau, davon fünf Millionen nicht legal. Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen können die „Gastarbeitery“, , für Schmiergelder bei obskuren Vermittler-Firmen kaufen.
Kein Thema für die Gewerkschaften
Dass die Männer aus Zentralasien harte Arbeit für wenig Geld machen, weckt bei den Russen ungute Gefühle. Viele sehen in den „Gastarbeitery“ nichts weiter als Lohndrücker. Doch der russische Dach-Gewerkschaftsverband FNPR kümmert sich nicht um die Arbeits-Immigranten. Nur ein paar linke Duma-Abgeordnete und Menschenrechtler bringen in der Öffentlichkeit zur Sprache, wenn mal wieder Reinigungs- oder Baufirmen den Migranten den Lohn vorenthalten oder die Pässe einbehalten.
Duschanbe pokert
Bei dem Tauziehen zwischen Moskau und Duschanbe geht es möglicherweise jedoch um mehr als nur um die beiden Piloten. Der Moskauer Kommersant berichtete unter Berufung auf russische Diplomaten, Tadschikistan habe sich mit dem Vorgehen gegen die Piloten für das Urteil gegen den Tadschiken Rustam Chukumow rächen wollen. Der Vater von Chukumow ist immerhin der Leiter der tadschikischen Eisenbahn. 2009 war Rustam Chukumow im Moskauer Umland wegen Drogenhandel festgenommen und zu einer Haftstrafe verurteilt worden.
Ein weiterer Grund für den Konflikt zwischen Moskau und Duschanbe ist möglicherweise das selbstbewusstere Auftreten von Tadschikistan gegenüber Russland. Tadschikistan gehört zu den Staaten, mit denen Russland ab Januar 2012 eine eurasische Freihandelszone und mittelfristig eine Eurasische Union bilden will. Duschanbe möchte – so der russische Duma-Abgeordnet Semjon Bagdasorow - „gegenüber seinen Partnern USA, dem Iran und China zu demonstrieren, dass man von Russland unabhängig ist“. Auch versuche Duschanbe die russische Militärbasis aus Tadschikistan zu verdrängen. Doch tatsächlich ist es wohl so, dass Duschanbe gegenüber Moskau einfach nur pokert um günstige Bedingungen für zukünftige eurasische Staatenbündnisse durchzusetzen.
veröffentlicht in: Eurasisches Magazin