3. November 2007

Statt Rosen weiße Binden

Großdemonstration gegen den einstigen Hoffnungsträger Georgiens

100 000 Menschen demonstrierten am Freitag in Tiflis gegen Präsident Michail Saakaschwili. Er war nach der Rosenrevolution vom November 2003 zum Präsidenten gewählt worden. Jetzt wendet sich das Blatt gegen ihn. Eigentlich wollte auch Irakli Okruaschwili an der Demonstration teilnehmen. Der ehemalige Veteidigungsminister ist einer der führenden Köpfe der Opposition und war zwischenzeitlich verhaftet. Jetzt musste er das Land unter ungeklärten Umständen verlassen und befindet sich in München.

Die Rosenrevolution unter Saakaschwili war die erste Bewegung für mehr Demokratie in einer früheren Sowjetrepublik. Auf Georgien folgte die Orangene Revolution in der Ukraine und ein Aufstand im zentralasiatischen Kirgistan. Vor allem wandte sich die Revolution gegen den der Korruption bezichtigten Präsidenten Eduard Schewardnadse. Jetzt wird Saakaschwili selbst Korruption und Machtmissbrauch vorgeworfen. Die Menschen in Georgien sind unzufrieden über die selbstherrliche Politik des Präsidenten. Sie warten immer noch auf eine Verbesserung ihrer sozialen Lage. "Georgien, Georgien", riefen sie vor dem Parlamentsgebäude und "Mischa – geh!"

Am Abend empfing Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse eine Delegation der Opposition. Diese forderte ultimativ, die Parlamentswahlen nicht wie von Saakaschwili geplant, vom Frühjahr auf den Herbst zu verschieben. Außerdem forderte man die Freilassung von Oppositionellen und den Rücktritt des Präsidenten. Dieser hielt sich am Freitag im Osten des Landes auf. Saakaschwili ließ das Ultimatum der Opposition, welches Freitagnachmittag auslief, kommentarlos verstreichen. Die Redner vor dem Parlamentsgebäude drohten mit einer unbefristeten Aktionen des zivilen Ungehorsams.

In der Nacht auf Freitag waren zahlreiche Busse mit Anhängern der Opposition aus anderen Regionen in Tiflis angekommen. Auch viele Studenten beteiligten sich an den Protesten, ungeachtet der Drohungen von Seiten der Rektoren, die eine Teilnahme verboten hatten. Als Zeichen ihrer friedlichen Absichten trugen die Menschen weiße Armbinden. Die Polizei schritt nicht ein. Die Geschäfte hatten – bis auf teure Boutiquen – geöffnet. In den Cafés verfolgten die Georgier die Live-Übertragung der Proteste im unabhängigen Fernsehkanal "Imedi".

Die Opposition umfasst ein weites Spektrum von Nationalisten bis hin zur linken Arbeitspartei. Zu den Führern gehören der ehemalige Minister Georgi Chaindrawa, der Sohn des ehemaligen georgischen Präsidenten, Konstantin Gamsachurdia, sowie der Geschäftsmann Badri Patarkazischwili. Er ist Mitbesitzer des Fernsehkanals "Imedi".

Am Donnerstag hatten sich Vertreter der Opposition zu getrennten Gesprächen mit dem Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Marc Perrin de Brichambaut, und dem Vertreter der US-Administration, Daniel Fried, getroffen. Der US-Politiker lehnte eine Vermittlerrolle ab. Die Oppositionsvertreter versicherten, dass sie an dem Ziel eines Nato- und EU-Beitritts festhalten. In Teilen der Opposition gibt es offenbar die Hoffnung, dass die USA einen Machtwechsel unterstützen. Die Regierung in Moskau schweigt bisher. Der ehemalige georgische Präsident Schewardnadse warnte vor einer Zuspitzung der Lage. Wenn Blut fließen werde, sei das eine "Tragödie" für das Land. Das könnte in einen Bürgerkrieg münden.

"Märkische Allgemeine"

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