26. April 2016

Verlust der Unabhängigkeit

Ukraine: Auf Druck der USA muss Premierminister Arseni Jazenjuk nach langer Hängepartie nun doch abdanken

In der US-Regierung scheint die Hoffnung zu schwinden, dass sich in der Ukraine Demokratie und Marktwirtschaft nach westlichem Muster implantieren lassen. So wird vor nackter Erpressung nicht zurückgeschreckt, um das Land auf den „richtigen Weg“ zu bringen. Bei einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko Anfang April am Rande des Atom-Gipfels in Washington gab Vizepräsident Joe Biden klar zu verstehen, es werde den nächsten, auch von seiner Regierung verbürgten Kredit von 1,7 Milliarden Dollar nur geben, sollte in Kiew endlich die Bildung einer neuen Regierung zustande kommen.

Zwei Monate lang gärt dort eine administrative und Vertrauenskrise, die Anfang der Woche nach langer Hängepartie zum Rücktritt von Premier Arseni Jazenjuk geführt hat. Dessen Zustimmungswerte lagen zuletzt noch bei einem Prozent, doch verspürte die Werchowna Rada kein übermäßiges Verlangen nach einem klaren Misstrauensvotum und Absetzungsbeschluss, wie das Poroschenko vorschwebte. Oligarchen wie Rinat Achmetow wollten Jazenjuk so spät wie möglich abtreten sehen – wenn überhaupt.
Bisher waren als Nachfolger drei nicht eben überzeugende Kandidaten im Gespräch. Am häufigsten genannt wurde zunächst Finanzministerin Natalia Jaresko, die als Kind ukrainischer Eltern in den USA aufwuchs. Man traute ihr zu, eine „technokratische Regierung“ zu führen, die Reformen im Finanz- und Energiesektor beschleunigt, so das Büro des Staatschefs. Als weitere Anwärter galten Andrej Sadowyj, rechtsnationalistischer Bürgermeister von Lviv (Lemberg), und Wladimir Grojsman, der nationalliberale Vorsitzende des Parlaments, der den Rückhalt Poroschenkos hat, aber Bedingungen stellt.

Ansage in Odessa

Neuwahlen könnten ein Ausweg sein, werden jedoch in Washington wie Kiew gleichermaßen als Risiko empfunden, da sie dem Oppositionsblock, der auf antirussische Rhetorik verzichtet und den antisozialen Charakter der bisherigen, ohnehin nur fragmentarischen Reformen heftig attackiert, Gewinne bescheren dürften. Überdies steht Poroschenko (geschätztes Vermögen um die 900 Millionen Dollar) mit seinem Schokoladen-Konzern Roschen schwer unter Druck. Beim Amtsantritt im Mai 2014 hatte er versichert, sein Unternehmen verkaufen zu wollen, nun aber war den Panama Papers zu entnehmen, dass nichts dergleichen geschah, der Präsident stattdessen weiter wie ein Oligarch agiert hat: Als solcher gründete er im Sommer 2014 ein Holding-Konstrukt mit Offshore-Firmen auf den Jungferninseln, auf Zypern und in den Niederlanden. Wer derart angezählt ist, gewinnt keine Wahl in einem Land, das seit Monaten an der Abbruchkante zum Staatsbankrott balanciert, bis Ende 2015 einen Einbruch seines ökonomischen Ertrags von 17 Prozent verzeichnet hat, und dessen Bevölkerung einer rasanten Geldentwertung (Inflationsrate derzeit: 80 Prozent) und erheblich steigenden Energiepreisen ausgesetzt ist.

Geoffrey Pyatt, US-Botschafter in Kiew, hatte schon Anfang Februar via Twitter gewarnt: „Gefährliche Stimmen sagen: Es reichen Technokraten-Minister und eine professionelle Lenkung des Staates.“ Es wäre freilich ein „großer Fehler“, so zu verfahren, schrieb Pyatt weiter. „Das wird den Kreml ermutigen, die Ukraine als Demokratie darzustellen, die immer schwächer wird, anstatt zu wachsen.“ Am 24. März wurde Pyatt bei einem Auftritt im Gagarin-Hotel von Odessa noch deutlicher, als er vortrug, Präsidialadministration, Regierung und Parlament müssten jetzt zusammen für das Wohl des Landes arbeiten und „keine politischen Spiele mehr spielen“, bei denen nur Sonderinteressen verfolgt würden. Pyatt wörtlich: „In diesem Zusammenhang glaube ich, dass vorgezogene Parlamentswahlen die nötigen Reformen nur verzögern und mehr Instabilität schaffen, wenn doch noch so vieles zu tun ist.“

War es Zufall oder nicht? Nur vier Tage nach dem Pyatt-Statement in Odessa veranstaltete der ins Moskauer Exil geflüchtete ukrainische Ex-Premier Nikolai Asarow einen Runden Tisch und verlangte, das im Februar 2014 gesprengte Parlament müsse wieder zusammentreten und Neuwahlen beschließen. Asarow hofft offenbar, dass die Ukrainer wenigstens zum Teil begreifen, wie sehr sie inzwischen von Washington gelenkt werden und an Souveränität verlieren. Doch gibt es dazu keine Alternative, solange die Konfrontation mit Russland andauert, die wiederum der ukrainischen Führung zu einer unverzichtbaren Legitimation im Westen verhilft.

Ungeduld in Berlin

Für die deutsche Ukraine-Diplomatie sind Ermahnungen und Ungeduld kein Tabu mehr. „Manchmal habe ich den Eindruck, dass in Moskau wie in Kiew außer Acht bleibt, wie ernst die Lage ist“, ließ sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach dem jüngsten Vierertreffen im Normandie-Format (Ukraine, Russland, Frankreich, Deutschland) zitieren. Sowohl bei Russland wie der Ukraine sei der politische Wille geboten, dem Minsker Abkommen gerecht zu werden. Bisher hatte man in Berlin vor allem Moskau die Verantwortung für fortgesetzte Spannungen in der Ostukraine gegeben. Andrej Melnik, Ukraine-Botschafter in Deutschland, gefiel die Tendenz zur Äquidistanz ganz und gar nicht. Im einem Interview warf er der Regierung Merkel umgehend einen „übertrieben moskaufreundlichen Kurs“ vor. Versöhnliche Signale in Richtung Kreml würden dort als Schwäche empfunden.

veröffentlicht in: der Freitag

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