8. October 2024

"Wenn Ihr uns vergesst, seid ihr verloren" (Fotos und Verse, dt./russ.)

In St. Petersburg fühlt man sich als Europäer heimisch, denn die Architektur erinnert an Städte wie Rom, Florenz und Paris. Aber das ist nur der erste Blick. Je länger man durch die Straßen, Höfe und Treppenhäuser wandert, merkt man, dass diese Stadt sehr eigenartig ist. Es ist nicht nur die wechselvolle Geschichte, die sich in Fassaden, Torbögen und Inschriften zeigt, es sind nicht nur die Musiker, die im Stadtzentrum an jeder Ecke ihre Lieder in russischer Sprache vortragen. Nein, wir befinden uns nicht in Italien! Der Unterschied zwischen der alten Innenstadt und den neuen Hochhausvierteln außerhalb des Zentrums vermitteln Entwicklung und Modernität. Der Kontrast zwischen dichtbebauter Stadt und der Nähe zum Meer, lässt Weite spüren. 

 

"Wenn ihr uns vergesst, seid ihr verloren“

 

Vor den Toren von St. Petersburg, am Strand bei Repino,

wärmen sich Damen im Bikini in der Sonne.

 

Währenddessen streckt im Zentrum von St. Peterburg Architekt Trezzini,

in Bronze gegossen, 

seine Nase so kühn gen Himmel,

als wollte er sagen,

"diese Stadt habe ich ganz allein gebaut".

 

Am Rande der Newa schauen Sphinxe aus Ägypten

seit 150 Jahren würdevoll in die Ferne.

Ägypten, das war damals modern.

 

Aber was ist das?

Am Horizont reckt sich 

ein 460 Meter hoher Turm aus Stahl und Glas in die Höhe.

Das hypermoderne Hauptquartier von Gasprom schmückt sich

mit drei Riesenfahnen, russisch, sowjetisch, monarchisch.

 

Den Kreuzer Awrora -

er gab 1917 den Startschuss für die Revolution -

hat man so aufpoliert,

dass er auch in einen Freizeitpark passen würde.

Schrammen von Krieg und Revolution sind verschwunden.

 

Nur auf dem Marsfeld

erinnern in roten Granit gehauene Verse,

worum es damals ging.

Proletarier starben im Kampf für die Freiheit.

 

Im Stadtzentrum reihen sich Cafes, Restaurants

und preisgünstige Stolowaja´s.

Eine Touristenführerin erzählt uns,

was die Menschen vor 80 Jahren

gezwungen waren zu Essen: Ledergürtel, Tapetenreste und Katzen.

 

872 Tage blockierte damals die deutsche Wehrmacht die Stadt.

Auf dem Piskarowskoje-Friedhof strecken sich neben langen Gräbern

dunkelrote Rosen der Sonne entgegen.

500.000 Tote sind hier begraben.

„Wenn ihr nicht von uns wusstet oder uns vergesst,

seid ihr verloren", höre ich die Rosen wispern.

 

Im Marinski-Theater schwebt eine Ballerina

im Sprung gefühlte Minuten.

 

Aufgewühlt verlasse ich die Stadt.

War das Alles nur ein Traum

oder Wirklichkeit?

 

Ulrich Heyden, 27.09.24

 

«Если вы о нас забыли - вы потерян"

У ворот Петербурга,
на пляже возле Репино,
женщины в бикини греются на солнце.

Тем временем
в центре Санкт-Петербурга
архитектор Трезини, отлитый из бронзы,
тянет свой нос так смело к небу,
как будто он хочет сказать:
«Я построил этот город сам».

На краю Невы Сфинксы из Египта
уже 150 лет смотрят вдаль.
Египет тогда был модным.

Но что это такое?
Возвышается на горизонте
башня высотой 460 метров
из стали и стекла.
Ультрасовременная штаб-квартира Газпрома
украшает себя тремя гигантскими флагами -
российским, советским и имперским.

Крейсер Аврора -
он дал стартовый сигнал революции 1917 года -
так отполирован,
что он также подойдет для парка развлечений.
Шрамы войны и революции исчезли.

Только на Марсовом поле
напоминают стихи,
высеченные в красном граните,
о чем шла речь в то время.
Пролетарии погибли, сражаясь за свободу.

В центре города рестораны, кафе
и недорогие столовые
выстроились как на ниточке.
Гид рассказывает нам,
что люди 80 лет назад
были вынуждены есть
кожанные ремни, обрывки обоев и кошек.
Немецкий Вермахт блокировал город на 872 дня.

На Пискаревском кладбище
тянутся вдоль могил
темно-красные розы навстречу солнцу.
Здесь похоронено 500 000 умерших.
«Если вы о нас не знали или нас забыли -
вы потерян", слышу я шепот роз.

В Мариинском театре мне кажется,
что балерина парит в прыжке минуты.

Переполненный чувствами,
я покидаю город.
Было ли все это сном
или это было реальностью?

Ульрих Хайден, 27.09.24
 

 

Nordwestlich von St. Petersburg: Der Strand von Repino. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Nicht weit Strand vom Strand bei Repino hatte der berühmte Künstler Ilja Repin (1844-1930) sein Atelier. Heute ist es ein Museum. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Standbild des Architekten Dominico Trezzini. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Am Neswki-Prospekt überraschten mich die bunten Beete. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Die "Erlöserkirche auf dem Blut", gebaut zu Ehren des durch ein Attentat getöteten Zaren Alexandr II. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Stille, trotz vieler Besucher in der "Erlöserkirche auf dem Blut". Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Die "Erlöserkirche auf dem Blut" ist berühmt für ihre Mosaiken auf Fußböden und Wänden. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Am Moika-Kanal. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Die Sphinxe an der Newa. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Der Panzerkreuzer Awrora - er gab den Startschuss für die rote Revolution - hängt jetzt an einer weißen Kette. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Inschriften auf dem Marsfeld erinnern an die Revolution 1917/18, die "ein Signal für die Welt" war. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

An Restaurants und Cafes herrscht im Stadtzentrum kein Mangel. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Preiswert Essen kann man in den "Stolowaja´s". Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Nachtleben - fast wie in Italien. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Geheimnissvolle Stimmung zwischen Tag und Nacht. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Auf dem Weg zum Finnischen Bahnhof I. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Auf dem Weg zum Finnischen Bahnhof II. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Der Finnische Bahnhof, nördlich des Stadtdzentrums. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Blick von der Isaak-Kathedrale nach Süden. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Die Eingangstreppe des neuen Gasprom-Turms, gelegen nordwestlich des Stadtdzentrums. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Vor St. Petersburg liegen mehrere Zaren-Schlösser, hier der Katharinen-Palast, gelegen östlich der Stadt in Puschkino. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Ehrenwache von Schülern auf dem Petersburger Piskarjowskoje-Friedhof. Auf dem großen Areal sind eine halbe Million Menschen begraben, Opfer der deutschen Hunger-Blockade von 1941 bis 1944. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Andenken an Tanja Sawitschewa, ein Mädchen, welches 1941/42 Tagebuch führte, indem sie mit Tag und Uhrzeit aufführte, als während der deutschen Hunger-Blockade nacheinander alle Familienmitglieder starben. Nachdem auch ihre Mutter gestorben war, schrieb sie, "alle von der Sawitschew-Familie sind gestorben. Nur eine ist geblieben, Tanja." Auch Tanja verstarb schließlich 1944 an Auszehrung während der Evakuierung aus Leningrad. Sie wurde nur 14 Jahre alt. Foto © Ulrich Heyden 2024

 

Video-Fassung meiner Eindrücke von St. Petersburg

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