Die Wortwahl in diesem Konflikt wird immer maßloser. Die Bundesregierung, deutsche Medien und deutsche Gerichte beschuldigen Russland der schlimmsten Verbrechen, ohne für diese Beschuldigungen Beweise vorzulegen. Ich meine die angeblichen Vergiftungen von Sergej Skripal in Salisbury und Aleksej Navalny in Sibirien sowie den angeblich von russischen staatlichen Stellen in Auftrag gegebenen Mord an dem Georgier Selimchan Changoschwili im Berliner Tiergarten.
Die neue deutsche Verteidigungsministerin, Christine Lambrecht, will Putin „ins Visier“ nehmen, wie sie kürzlich sagte. Ihre Vorgängerin hat mit einem Angriff auf Russland gedroht. Ihre Vorgängerin, Kramp-Karrenbauer, erklärte, die Nato müsse angesichts zunehmender Herausforderungen durch Russland „sehr deutlich machen“, dass sie auch zu militärischen Maßnahmen bereit sei. Niemand dürfe auf die Idee kommen, Nato-Partner anzugreifen. Von Seiten Russlands gäbe es „Verletzungen des Luftraums über den baltischen Staaten, aber auch zunehmende Übergriffigkeiten rund um das Schwarze Meer“. Solche Worte hörte man von deutschen Politikern zuletzt in den 1960er Jahren.
Als Russland sich 1992 öffnete, fasste ich den Entschluss, als freier Journalist in Moskau zu arbeiten. Ich hoffte, dass sich dort eine Gesellschaft entwickelt, die Bewährtes bewahrt und vom westlichen Kapitalismus nicht alles übernimmt. Ganz so wurde es nicht. Trotzdem bin ich geblieben.
Ich fühlte mich in Russland von Jahr zu Jahr mehr heimisch und begann bei Besuchen in Deutschland, die Russen zu erklären und zu verteidigen. Je mehr Russland vom Westen dämonisiert wird, desto mehr fühle ich mich als Journalist und Mensch herausgefordert, dieser Dämonisierung zu widerstehen und neue Brücken zwischen Russland und Deutschland zu bauen, indem ich Reportagen schreibe und indem ich in meinen Texten und Videos Russen und Deutsche vorstelle, die einander etwas im konstruktiven Sinne zu sagen haben.
Nach 20 Jahren Tätigkeit als freier Moskau-Korrespondent für Mainstream-Medien bekam ich ab 2013 große Probleme, meine Texte weiter zu verkaufen, weshalb ich begann, nur noch für Alternativ- und linke Medien und gelegentlich für RT DE zu arbeiten.
Die großen deutschen Medien veröffentlichen seit 2014 keine Berichte mehr über das reale Russland. In die großen deutschen Zeitungen schafften es fast nur noch Berichte, die zeigten, wie sehr Russen westliche Einstellungen, Lebensweisen und Marken schätzen, wie sehr sie „unter Putin leiden“ und wie russische Oppositionelle für ihre Tätigkeit in Russland bestraft werden.
Es wird ein Bild erzeugt, nach dem Russland rückständig und unberechenbar-aggressiv, ultra-konservativ und xenophob ist. Es wird so getan, als ob Putin und der russische Geheimdienst alles seien, was man zu Russland sagen kann. Aber das geht komplett an der Realität vorbei. Russland ist tausendmal vielschichtiger und interessanter, als dass man die russische Politik über ein, zwei Politiker erklären könnte.
Das Vertrauen zwischen Russland und dem Westen ist zerrüttet. Doch gelegentlich gibt es Hoffnungszeichen. Im Februar wurde zwischen den USA und Russland der New-Start-Vertrag über die Verminderung strategischer Waffen um fünf Jahre verlängert. Mitte Oktober war Viktoria Nuland zu Gesprächen in Moskau. Und am 10. Januar sollen Gespräche zwischen Russland und dem Westen über Sicherheitsfragen in Europa beginnen.
Blick auf das russische Außenministerium Januar 2022. Bild: Ulrich Heyden
Russen sind oft ungezogen, leben manchmal wie Anarchisten und halten sich nicht an Regeln, tragen die Maske unter Nase oder Kinn, erweitern ihre Datschengrundstücke, weil die Grundstücksgrenzen von den Behörden oft nicht kontrolliert werden. In Parks pflücken sie Zweige von Fliederbäumen. Und wenn man erstaunt fragt, warum, bekommt man als Antwort, dass der Flieder dann „besser wächst“.
Noch aus Sowjetzeiten gibt es die Sitte, nicht fest Angenageltes und Brauchbares mitzunehmen, zum Beispiel Gartenerde, die auf einem großen Haufen in einem Wohngebiet liegt, oder einen Sack Sand, wie man sie gelegentlich an unbeaufsichtigten Straßenbaustellen sieht. Dort wo in Deutschland Schilder mit Tempolimit 30 stehen, liegen in Russland mehrere Zentimeter hohe Bodenschwellen, welche Raser zum Langsam-Fahren zwingen. Anders sind die Raser nicht zu stoppen.
Eben im Wissen um ihre mangelnde Disziplin glauben viele Russen, dass das Land eine harte Hand braucht. In Putin sehen viele keine harte Hand. Denn ständig kommt es in Russland zu Korruptionsfällen unter Spitzenbeamten, obwohl Putin immer wieder wegen Korruption belastete Gouverneure – sogar einmal einen Wirtschaftsminister – einsperren ließ. Stalin, unter dem es keine Korruption gab, zählt in Russland bis heute zu den am meisten geachteten Personen der Geschichte.
Ich will nicht verschweigen, dass es in Russland einiges Kritikwürdiges gibt. Ende Dezember wurde vom Obersten Gericht und von einem Moskauer Gericht die Menschenrechtsorganisation Memorial verboten. Memorial hat sich in den letzten 30 Jahren durch Aufarbeitung der Verbrechen während der Stalin-Zeit einen Namen gemacht hat.
Nach Meinung der russischen Staatsanwaltschaft verfälscht Memorial das Bild vom Zweiten Weltkrieg. Nazistische Verbrecher, an deren Händen das Blut sowjetischer Bürger klebt, würden von der Menschenrechtsorganisation reingewaschen, die UdSSR würde als terroristischer Staat dargestellt werden.
Alle diese Vorwürfe müssten eigentlich erst einmal vor einem russischen Gericht verhandelt werden, bevor sie in einem Verbotsverfahren als Beweis angeführt werden.
Nach Meinung der russischen Staatsanwaltschaft rechtfertigt das Menschenrechtszentrum von Memorial terroristische und extremistische Organisationen. Tatsache ist, dass das Menschenrechtszentrum von Memorial Oppositionellen Rechtsschutz gewährt und über ihre Fälle berichtet. Aber ist das schon Unterstützung von Terrorismus?
Faktisch bleibt nur ein Vorwurf gegen Memorial: Immer wieder fehlt auf den Publikationen von Memorial die gesetzlich vorgeschriebene Markierung „ausländischer Agent“. Das hindere russische Bürger, Memorial-Publikationen kritisch zu lesen. Die Menschenrechtsorganisation argumentiert gegen diesen Vorwurf, die Anordnungen zur Markierung seien unverständlich geschrieben.
Es stimmt, dass Memorial sich kritisch zum russischen politischen System äußert. Aber ist das schon Grund für ein Verbot? Memorial greift neuerdings auch Themen auf, die sich direkt gegen die russische Sicht auf die Geschichte richten und sich mit der Geschichtsschreibung in der Post-Maidan-Ukraine decken. Darauf reagieren die russischen Behörden äußerst allergisch.
Dem Verbotsverfahren gegen Memorial ging ein Vorfall im Moskauer Sacharow-Zentrum voraus. Dort sollte der Film „Gareth Jones“ der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland gezeigt werden. Der Film, der 2019 auf der Berlinale vorgeführt wurde, handelt von der Hungersnot in der Ukraine Anfang der 1930er Jahre (in der Ukraine genannt „Holodomor“), die nach Meinung der Regierung in Kiew gezielt von Moskau gegen das ukrainische Volk organisiert wurde, um es auszulöschen. Die Film-Veranstaltung in Moskau wurde von russischen Ultrapatrioten gestört. Die Polizei blockierte den Vorführsaal und ging nicht gegen die Störer vor.
Tatsächlich gab es in den 1930er Jahren nicht nur in der Ukraine, sondern auch in anderen landwirtschaftlichen Gebieten im südlichen Teil der Sowjetunion Hungersnöte.
Das Verbot von Memorial stößt bei einzelnen bekannten Russen, die ein gutes Verhältnis zum Kreml haben, auf Kritik. Der Menschenrechtler Aleksandr Brod erklärte, die Forschung über die Repressionen in der Sowjetzeit müssten unbedingt fortgesetzt werden. Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei „Gerechtes Russland“ Sergej Mironow twitterte: „Die Entscheidung des Obersten Gerichts zum Verbot von „Memorial“ ist, als wenn man den Opfern der Repressionen, mir und meinen Verwandten ins Gesicht gespuckt hat. Mein Großvater Jemeljan wurde 1937 erschossen. Er war ein einfacher Bauer und sie führten den Plan gegen ‚die Feinde‘ aus. Der Staat hat das Examen über die eigene Geschichte nicht bestanden. Ein fataler Fehler!“
Ich bin der Meinung, dass es besser wäre, sich mit den Argumenten der Holodomor-Behauptungen öffentlich auseinanderzusetzen, anstatt ein Verbotsverfahren gegen Memorial einzuleiten. Memorial versucht zwar, Putin und den Stalinismus auf eine Ebene zu stellen, was man kritisieren muss. Es ist aber eine Tatsache, dass ein Verbot von Memorial das politische Klima mehr vergiftet als einige Entgleisungen von Memorial.
Moskauer U-Bahnstation Straße des Friedens. Bild: Ulrich Heyden
Es gibt etwas, was mir Sorgen macht. Russlands Gegenpropaganda gegen die Medien-Attacken des westlichen Mainstreams haben manchmal etwas sehr Monotones und Einförmiges. Propaganda und Gegenpropaganda führen dazu, dass Vorurteile und Schwarz-Weiß-Denken zunehmen und offene, angstfreie Diskussionen weniger werden.
Das Klima für einen offenen Meinungsaustausch hat sich verschlechtert. Seit zwei Jahren werden – wegen der Corona-Krise – keine Demonstrationen mehr erlaubt, zahlreiche Organisationen wurden als „ausländische Agenten“ eingestuft.
Warum das alles? Weil der Westen versucht, Russland mit Einflussagenten zu destabilisieren und ideologisch aufzuweichen, weil Teile der russischen Führung demokratische Freiheiten in dieser Vorkriegszeit als unnötigen Luxus sehen oder weil Teile der russischen Führung Demokratie und Meinungsfreiheit einfach nicht schätzen?
Putin hat übrigens auf seiner letzten großen Pressekonferenz erklärt, es sei normal, dass westliche Lebensformen und Einstellungen auch in Russland Anhänger finden. Man dürfe das nicht unterdrücken, sondern müsse sich damit auseinandersetzen. Aber was ist eine solche Aussage wert, wenn wenige Tage später Memorial verboten wird?
Das Verhältnis zwischen dem Kreml und der Opposition hat sich 2021 deutlich verschärft. Nach den Duma-Wahlen im September gab es in Moskau Proteste. Die Opposition war der Meinung, dass es während der Online-Wahlen, von denen 30 Prozent der Moskauer Wahlberechtigten Gebrauch gemacht haben, zu Manipulationen kam. Acht Kandidaten der Opposition – Kommunisten und Liberale – lagen nach der Auszählung der Stimmzettel aus den Wahlurnen in der Nacht nach der Wahl in Führung. Doch am Vormittag des Folgetages – inzwischen waren die Online-Wahlergebnisse dazugerechnet worden – wurden alle acht Oppositionskandidaten von den Kandidaten von Einiges Russland überflügelt.
Daraufhin kam es in Moskau zu zwei „Treffen von Wählern mit Kandidaten der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation“ (KPRF) unter freiem Himmel auf dem Puschkin-Platz. Die Polizei löste diese nicht angemeldeten Kundgebungen nicht auf. Allerdings wurden zahlreiche KPRF-Kandidaten und -Funktionäre sowie der unabhängige linke Soziologe Boris Kagarlitsky wegen Teilnahme oder Aufruf zu den Kundgebungen für kurze oder längere Zeit verhaftet.
Schon ein Jahr vor den Duma-Wahlen hatte es gegen einen bekannten linken Politiker Repressions-Maßnahmen gegeben. Nikolai Platoschkin, ehemaliger Sekretär der sowjetischen und dann russischen Botschaft in Bad Godesberg und dann Berlin, der 2019 die „Bewegung für einen neuen Sozialismus“ gründete, wurde wegen eines angeblichen Aufrufs zu Massenunruhen – es ging um Protestkundgebungen gegen die Änderung der russischen Verfassung – für fast ein Jahr unter Hausarrest gestellt.
Die Repression gegen bekannte Mitglieder der KPRF, die bisher im System integriert war, und Liberale führt dazu, dass das Verhältnis dieser beiden bisher verfeindeten politischen Flügel freundlich wurde. Da die Nawalny-Strukturen zerschlagen wurden, wurde die KPRF für die Liberalen als einzige große legale Oppositionspartei attraktiv. Nicht wenige Liberale wählten kommunistische Kandidaten und riefen zur Wahl dieser Kandidaten auf.
Die Basilikus-Kathedrale in Moskau. Bild: Ulrich Heyden
In diesem Jahr war die Gefahr eines großen Krieges um den Donbass das erste Mal seit 2014 wieder mit den Händen zu greifen. Wie 2014 nimmt die Angst vor einem Krieg in Russland und dem Westen wieder zu.
Der Unterschied zu 2014 ist, dass das politische Spektrum Deutschlands, welches sich gegen eine Zuspitzung gegenüber Russland stellt, durch die anti-russische Medien-Berichterstattung in eine völlige Außenseiterposition gedrängt wurde.
Diejenigen in der politischen Führung Deutschlands und der USA, die meinen, ein Krieg gegen Russland sei führbar, haben zurzeit unbegrenzte Handlungsmöglichkeiten. Eine Friedensbewegung, die wie 1983 in Westdeutschland mit Hunderttausenden auf die Straße geht und gegen die immer maßloseren Töne gegen Russland auftritt, gibt es nicht. Pazifismus und Anti-Militarismus sind bei deutschen Intellektuellen schon seit dem Krieg in Jugoslawien aus der Mode. Es gibt tausend andere Themen, die angeblich viel wichtiger sind als die Kriegsgefahr. Die Klimakrise, das Impfen, der Rassismus, gesunde Ernährung und Gender-Politik.
Es ist paradox. Deutschland, welches viele Russen die letzten 30 Jahre als eine Art Vorbild für eine demokratische Gesellschaft gesehen haben, provoziert Russland mit maßlosen, unbelegten Vorwürfen und die deutsche Intelligenz tut so, als sei das ganz normal.
Die Leitartikler von der TAZ bis zur Bild-Zeitung haben es geschafft, jeden, der es auch nur wagt, für einen Dialog mit Russland einzutreten, als Putin-Freund aus dem demokratischen Gemeinwesen auszuschließen.
Für Deutschland ist das nicht neu. Auch im deutschen Faschismus und noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg galten Menschen mit Verständnis für Russland als Gefahr für das Gemeinwesen.
Während viele deutsche Russland-Freunde heute einen niedergeschlagenen Eindruck machen, ist es bei den Russen ganz anders. Die Russen sind es seit Jahrhunderten gewohnt, dass sie vom Westen als die Bösewichte angeklagt werden. Und Russland selbst hat in den letzten 30 Jahren zahlreiche Finanzkrisen, Kriege und Terrorismus durchgemacht, so dass die Russen nichts aus der Fassung bringt. Russland hat ein großes Territorium, eine Bevölkerung, deren Vorfahren erfolgreich Okkupations-Versuche abgewehrt haben, eine schlagkräftige Armee, eine erfolgreiche Diplomatie, welche mit dazu beigetragen hat, dass Russland viele befreundete Staaten hat und dass aus dem heißen Krieg 2015 im Donbass kein größerer Konflikt wurde. Putins Popularität ist nach wie vor hoch.
In den russischen Medien war der Ukraine-Konflikt in den letzten sieben Jahren ein Hauptthema. In vielen Talk-Shows wurden Vertreter aus der Ukraine eingeladen. Aber es wurde selten ruhig diskutiert. Oft arten diese Talk-Shows in Schreiereien aus. Viele Fernsehzuschauer sind von diesen Sendungen ermüdet. Viele meinen auch, dass mit dem Thema Ukraine von den sozialen Problemen und der Korruption in Russland abgelenkt werden soll.
Der Neue Arbat in Moskau. Bild: Ulrich Heyden
Die Diplomatie zwischen Deutschland und Russland scheint am Ende zu sein. Am 17. November veröffentlichte das russische Außenministerium die Korrespondenz zwischen Moskau, Paris und Berlin zur Vorbereitung des nächsten Normandie-Treffens. Die Veröffentlichung solcher Briefe ist in der Diplomatie absolut unüblich.
Von russischer Seite war es ein Akt der Verzweiflung. Moskau sah – angesichts ständiger Verfälschungen seiner Positionen zum Krieg im Donbass in den großen deutschen Medien – keine andere Möglichkeit mehr, seine Position unverfälscht an die Öffentlichkeit in der EU zu bringen.
Moskau erklärte, ein weiteres Normandie-Treffen mache nur Sinn, wenn Kiew bereit ist, sich mit Vertretern der Volksrepubliken Donezk und Lugansk zu treffen, so wie es im Minsker Abkommen festgeschrieben wurde. Aber Berlin und Paris wollen in dieser Frage keinen Druck auf Kiew ausüben. Kiew will das Minsker Abkommen nachverhandeln, was von den Volksrepubliken und Moskau scharf kritisiert wird.
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Nach dem ukrainischen Truppenaufmarsch im Donbass im Mai dieses Jahres erklärte Putin, dass man einen Angriff auf die Volksrepubliken Lugansk und Donezk, nicht tatenlos zusehen werde. Die Bereitschaft, die 800.000 Menschen mit einem russischen Pass in den Volksrepubliken Lugansk und Donezk im Falle eines ukrainischen Angriffs zu schützen, wurde in den letzten Wochen von hohen russischen Politikern und auch vom russischen Generalstab bekräftigt. Ja, Russland erklärt, es sei bereit den Donbass zu besetzen, wenn die ukrainische Armee dort angreift oder wenn die USA Raketen in der Ukraine aufstellen.
Dass es in der Ukraine Tausende von westlichen Militärberatern gibt – nach russischen Angaben 10.000 – verschweigen die deutschen Medien. Sie verschweigen auch die gefährliche Rolle rechtsradikaler Bataillone in der Ukraine und die Militarisierung der ukrainischen Gesellschaft. Verschwiegen wurde auch der am 26. Oktober durchgeführte erste Angriff einer ukrainischen Bayraktar-Kampfdrohne türkischer Produktion auf eine Stellung der „Volksrepublik Donezk„.
Meine Meinung ist: Kiew versucht – mit Deckung der USA – Russland aus der Reserve zu locken und russische militärische Kräfte zu binden. Es ist ein gefährliches Spiel. Denn die Truppenverlegungen in der Ukraine und die ständigen Nato-Manöver im Schwarzen Meer erhöhen die Gefahr eines zufälligen Zusammenstoßes.
In der russischen Führung hält man es für möglich, dass die NATO in der Ukraine eine Provokation vorbereitet. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schojgu erklärte am 21. Dezember auf einer Versammlung hoher Militärs, 120 Berater einer US-Militärfirma würden in Orten nahe der Volksrepublik Donezk und zwar in Awdejewka und Priasowsk Stellungen für Angriffe von ukrainische Soldaten auf die Volksrepublik Donezk vorbereiten. In den Orten Awdejewka und Krasni Liman seien Behälter mit unbekannten chemischen Stoffen gelagert worden.
Nun möchte ich auf die wirtschaftliche Situation in Russland zu sprechen kommen. Russland hat zwar seit 2014 seine Unabhängigkeit im Bereich der Lebensmittelproduktion gestärkt und ist auf dem Weltmarkt ein wichtiger Getreide-Exporteur. Aber bei den Waren des täglichen Bedarfs ist Russland nach wie vor sehr stark vom Ausland abhängig.
Experten der Moskauer Higher School of Economics haben errechnet, dass Russland im Bereich der Waren des täglichen Bedarfs zu 75 Prozent von Importen aus dem Ausland abhängig ist. Lebensmittel, Autos und Benzin flossen in die Untersuchung nicht mit ein.
Die höchste Abhängigkeit Russlands besteht bei Auto-Ersatzteilen mit 95 Prozent, Kinderspielzeug 92 Prozent, Schuhe 87 Prozent, Telekommunikation 86 Prozent, Kleidung 82 Prozent, Fernseher 78 Prozent. Der Anteil der russischen Mikroelektronik bei in Russland verkauften Waren liegt heute bei zehn Prozent.
Was ist die Ursache für diese katastrophale Situation? Während der Schocktherapie unter Präsident Boris Jelzin in den 1990er Jahren sind nicht nur ganze Industriebranchen, sondern auch ganze Ausbildungszweige und wissenschaftliche Institute zusammengebrochen und nicht wieder in Betrieb genommen worden. Es ist heute billiger, ausländische Handys und Bauteile für Fernseher in Asien zu kaufen, als selbst neue Fabriken zu bauen und Institute zu gründen.
Russland hat sich mit dem Beginn der Präsidentschaft von Wladimir Putin im Jahre 2000 auf eine internationale Kooperation im Bereich des Flugzeugbaus eingelassen, ohne gleichzeitig eigene Standbeine im Bereich der Zivilluftfahrt zu entwickeln.
Das erste kleine nachsowjetische Mittelstreckenflugzeug, Suchoi Superjet 100, das 2011 den Flugbetrieb aufnahm, besteht zu einem großen Teil aus ausländischen Komponenten.
Der Bau des ersten großen nachsowjetischen Mittelstreckenflugzeugs, MC 21, geriet 2018 in Gefahr, weil die USA gegen eine russische Firma, die Material für die Herstellung von Verbundstoff für die Flügel des MC-21-Liners in den USA kaufen wollte, Sanktionen verhängte.
Russland musste in aller Eile einen eigenen Verbundstoff und auch ein eigenes Triebwerk für das neue Mittelstreckenflugzeug entwickeln. Denn eigentlich sollte die MC 21 mit einem amerikanischen Triebwerk fliegen.
Die Serienfertigung der MC 21 soll im nächsten Jahr beginnen, wurde aber schon mehrmals verschoben. Die russische Zivilluftfahrt fliegt vorwiegend mit geleasten Flugzeugen aus westlichen Staaten.
Die russische Regierung ist stolz auf die Digitalisierung in allen Bereichen des russischen Lebens. Allerdings steht das Prestigeprojekt „Rosnano“, eine 2011 unter Leitung von Anatoli Tschubais gegründete staatliche Aktiengesellschaft vor dem Bankrott. Rosnano hatte 97 Fabriken und Entwicklungszentren bei der Erforschung und Produktion von Produkten aus dem Bereich der Nanotechnologie großzügig mit staatlich gesicherten Krediten unterstützt. Doch Mitte November verbot die Moskauer Börse überraschend den Handel mit den Wertpapieren von Rosnano, denn das Unternehmen kann seine Schulden nicht bezahlen.
Die russische Wirtschafts- und Finanzpolitik wird heute von Wirtschaftsliberalen bestimmt. Es gibt jedoch auch einen links-patriotischen politischen Sektor, der sich für eine starke Sozialpolitik, eine aktive staatliche Investitionspolitik und in einigen Wirtschaftsbereichen für die Widereinführung von Planwirtschaft eintritt.
Zu dem links-patriotischen Sektor gehört ein Kreis von Ökonomen und Unternehmern, die sich im Moskauer Wirtschaftsforum zusammengeschlossen haben. Dieser Expertenkreis fordert von der Zentralbank die Senkung des Leitzinses von zurzeit 8,5 Prozent, denn dieser hohe Leitzins sei der Tod für kleine und mittlere Unternehmen. Außerdem wird die Erhöhung der Renten gefordert. Finanziert werden soll diese Erhöhung aus Russlands üppigen Finanzreserven.
Die russische Regierung steht mit ihrer Impfkampagne vor einem Fiasko. Ein Jahr nach dem Start der Impfkampagne sind nur 51 Prozent der Menschen zweimal geimpft. Ein wesentlicher Grund für die Nichtbereitschaft zur Impfung ist das mangelnde Vertrauen der Bevölkerung in die Beamten und das Gesundheitswesen.
Um die Immunität der Bevölkerung auf 80 Prozent zu erhöhen, hat die russische Regierung zwei Gesetze in die Duma eingebracht. Kaum wurden die Gesetz-Projekte in der Bevölkerung bekannt, gab es Protestkundgebungen in mehreren russischen Städten.
Nach dem einen Gesetz, welches am 16. Dezember in erster Lesung von der Duma verabschiedet wurde, dürfen Bürger ab 1. Februar öffentliche Veranstaltungen, Kultureinrichtungen, Restaurants und Geschäfte nur besuchen können, wenn sie einen QR-Code über eine Impfung, ein Dokument über eine Genesung von Corona oder eine ärztliche Freistellung vom Impfen vorlegen können.
Für das Gesetz stimmten 329 Abgeordnete, 87 stimmten dagegen. Die Gegenstimmen kommen vor allem von den Kommunisten und von der Partei Gerechtes Russland. Die beiden linken Oppositionsparteien sind gegen die Gesetze, weil sie Grundrechte verletzen.
Das zweite von der Regierung eingebrachte Gesetz – über die Einführung von QR-Codes in der Eisenbahn sowie beim nationalen und internationalen Flugverkehr – wurde den Abgeordneten nicht zur Abstimmung vorgelegt. Dieses Gesetz soll noch überarbeitet werden. Das Dokument sei „aus technologischen und logistischen“ Gründen „sehr schwierig“, sagte Putins Pressesprecher Dmitri Peskow.
Zur Erklärung: Einen QR-Code bekommen die Bürger Russlands über ein staatliches Internet-Portal, die in den letzten sechs Monaten genesen, zweimal geimpft oder geboostert sind.
Die Meinung der Kirche zu den QR-Codes ist gespalten. Der Außenamtssprecher der russisch-orthodoxen Kirche hat die QR-Codes zwar als ein in anderen Ländern erfolgreiches Mittel gepriesen. Doch in der Kirche gibt es auch Widerspruch. Der stellvertretende Leiter des Moskauer Patriarchats, Episkop Sawwa (Tutunow), erklärte in seinem Telegram-Kanal, das Ziel sei nicht das Impfen, sondern „die Codierung der Bevölkerung“.
Die Teilrepublik Tatarstan hat bereits mit einem QR-Code-Pilot-Projekt begonnen. In Tatarstan müssen die Codes im gesamten Verkehrs-Sektor vorgelegt werden, also auch bei Straßen-, U-Bahnen und Trolleybussen.
Wladimir Putin versteht offenbar, dass man die Impfabwehr der Bevölkerung mit Argumenten brechen muss. Und so schlüpfte er am 22. November in einer Fernseh-Übertragung in die Rolle des Interviewers. Der russische Präsident interviewte Denis Logunow, den stellvertretenden Leiter des Gamalaj-Zentrums, dass den Impfstoff Sputnik V entwickelt hat. Der Präsident ließ sich von Logunow erklären, wie wichtig Booster-Impfungen sind. Logunow erzählte Putin von einem neuen Impfstoff der nicht gespritzt wird, sondern über die Nase verabreicht wird. Putin erklärte sich bereit, diesen Impfstoff als einer der ersten zu nutzen, was er dann auch tat.
Die Bundesregierung hat die Spannungen gegenüber Russland seit 2014 schrittweise verschärft. Parallel zu diesen Verschärfungen gibt es Bemühungen auf der Ebene einzelner Persönlichkeiten und Organisationen, eine Brücke zu Russland aufrecht zu erhalten. Zu den Akteuren auf diesem Feld gehörte eine Gruppe von deutschen Politikern und Generälen, die sich mit einem Aufruf für einen Dialog mit Russland an die Öffentlichkeit wandten. Zu den Akteuren gehören auch das Deutsch-Russische-Forum, das Deutsch-Russische Kulturjahr mit zahlreichen Veranstaltungen, vor allem aber viele kleine Initiativen, die keine staatliche Unterstützung erhalten, sondern auf Grundlage freiwilliger, ehrenamtlicher Arbeit existieren.
Leider dringt von diesen Initiativen, die eine Brücke zu Russland aufrechterhalten wollen, so gut wie nichts an die Öffentlichkeit, weil die großen Medien nicht darüber berichten.
Die Partei Die Linke, hat sich seit 2014 von einer ausgesprochen Russland-freundlichen Partei auf eine Position der Äquidistanz zu den Großmächten zurückgezogen. Der Großteil der Partei Die Linke scheut sich heute, die Kräfte in der Welt zu benennen, die den Konflikt in der Ukraine entzündet haben, also die aggressiven Kreise in den USA um Victoria Nuland, das Pentagon und die großen Medien in Deutschland.
Es wäre notwendig, dass sich die Kräfte, welche sich gegen die Isolierung Russlands und Kriegshetze stellen, Aufklärungskampagnen starten. Es ist lebenswichtig geworden, sich mit den wichtigsten ideologischen und politischen Elementen der Russophobie auseinandersetzen und nachzuweisen, dass die Gefahr für den Frieden in Europa nicht von Russland, sondern von den USA, der Nato und ihren Unterstützern in Deutschland ausgeht.
Es geht darum, die Gleichsetzung von Hitler-Faschismus und Sowjetunion zu widersprechen. Es geht darum, zu verhindern, dass die Vertuschung der Gräuel des Zweiten Weltkrieges in Kino und Fernsehen und die Reinwaschung von Hitler-Kollaborateuren in Osteuropa gestoppt wird.
Man muss nicht alles, was die russische Regierung tut, gutheißen. Aber man muss dafür streiten, dass die Dämonisierung Russlands aufhört. Damit kann der Westen seinen Teil dazu beitragen, dass Russland sich nicht nach außen isoliert.
veröffentlicht in: Krass und Konkret