2. February 2009

Zorn regt sich in Russland

Wirtschaftskrise. Der Rubel ist in freiem Fall, Hiobsbotschaften überschlagen sich. Die Menschen wagen erste Demonstrationen.

ULRICH HEYDEN

MOSKAU (SN, n-ost). Mehr als 10.000 Menschen haben in Russland landesweit gegen die Politik von Ministerpräsident Wladimir Putin demonstriert. Fast in jeder größeren Stadt gingen am Samstag anlässlich eines nationalen Protesttags Menschen auf die Straße. „Die Revolution ist der einzige Ausweg aus der Krise“, rief Kommunisten-Chef Gennadi Sjuganow im Zentrum von Moskau seinen etwa 1000 Anhängern zu.

Demonstranten forderten denRücktritt Putins. Die Staatsmacht organisierte Gegenveranstaltungen, Schlägertrupps rückten aus, Demonstranten wurden verhaftet. Doch der Zorn wächst mit der rasanten Verschlechterung der Lage. Am Freitag zeigte sich Putins Vize Igor Schuwalow vor dem Parlament. „Insgesamt wird 2009 ziemlich hart“, sagte er, schob ein „Wir haben die Situation unter Kontrolle“ hinterher und versprach die Modernisierung der rohstoffabhängigen Wirtschaft. Indessen fällt der Kurs des Rubels gegenüber dem Dollar immer weiter. Seit Oktober verteuerte sich der Dollar von 26 auf 35 Rubel,der Euro von 34 auf 45 Rubel. Auch Medikamente und andere Importwaren sind teurer geworden.

Die Meinungsforscher melden einen Einbruch der Popularität Putins – des Mannes, den die Russen verehrten, weil unter ihm acht Jahr lang die Wirtschaftwuchs und die Einkommen stiegen. Der Ultranationalist Wladimir Schirinowski erklärte, es gebe keine Krise Russlands, sondern einen Angriff der USA „an der Finanzfront".

Selbst die genusssüchtigen Moskauer sparen. In den sonst sogar um Mitternacht noch hochfrequentiertenCafés der 11-Millionen-Stadt sind nur noch wenige Menschen anzutreffen. Auch dieTaxi-Fahrer, von denen die Mehrzahl ihr Geschäft schwarz betreibt, stöhnen über Umsatzverluste. „Ich habe nur halb so viele Kunden wie sonst“, sagt Raschid,
ein junger Mann aus Usbekistan. Das gleiche Bild in den teureren Moskauer Supermärkten: Wo früher lange Schlangen standen, wird man nun schnell abgefertigt. Bei den Industriegiganten in der Provinz gibt es Kurzarbeit und Produktionspausen. Der Lkw-Hersteller „Kamas“ in Tatarstan hat seine Produktion seit Ende November mit kurzen Unterbrechungen gestoppt und will erst wieder ab 12. Februar produzieren. 3.000 Fahrzeuge stehen unverkauft vor der Fabrik.

Die Prognosen sind alarmierend. Der Vize-Präsident des russischen Unternehmerverbandes Igor Jürgens geht nach einem Wirtschaftswachstum von sechs Prozent im vergangenen Jahr für 2009 „im besten Fall“ von einem Null-Wachstum aus, im„schlimmsten Fall“ mit einemRückgang um zehn Prozent. Der ehemalige Putin-Berater Andrej Illarionow betont, die Industrieproduktion sei von Juli bis Dezember2008 um 19,7 Prozent gesunken. Er hält eine verfehlte
Wirtschaftspolitik für mitverantwortlich. ie Industrieproduktionsei um zwei Jahrzehnte zurückgeworfen
worden.

Der stellvertretende Sozialminister Maksim Topilin rechnet damit, dass es Ende des Jahres sieben Millionen Arbeitslose geben wird. Zur Zeit sind 5,8 Millionen – sieben Prozent der „wirtschaftlich aktiven Bevölkerung“, so der Minister. Die Staatsreserven schmelzen. Elf Milliarden Dollar gingen bislang an in Not geratene Betriebeund Banken. 90 weitere Milliarden sollen folgen. Doch es kommt nur wenig Geld nach. Die für 2009 im Budget angesetzten Einnahmen müssen auf Grund der gesunkenen Ölpreise um die Hälfte nach unten korrigiert werden.

"Salzburger Nachrichten"

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