Angst vor Krieg am Kaukasus
Konfliktherd. Fast täglich kommt es an der Grenze zwischen Südossetien und dem georgischen Kernland zu Schießereien.
Ulrich Heyden Moskau (SN, n-ost). In Zchinwali, der Hauptstadt von Südossetien, liegen die Nerven blank. Da es in diesen Tagen zu Schießereien an der Grenze zwischen Südossetien und dem georgischen Kernland gekommen war, verlassen die ersten Bürger die Stadt.
Die Menschen fürchten, dass es zum Jahrestag des russisch-georgischen Krieges zu einem neuen großen Konflikt kommen könnte. „Wir saßen die ganze Nacht im Keller und dachten, der Krieg beginnt“, sagte ein Bewohner von Zchinwali der russischen Zeitung „Kommersant“. Immer wieder seien in Zchinwali Explosionen zu hören. Zwei auf Zchinwali abgeschossene Granaten seien in der Luft explodiert, erklärte ein Vertreter des Innenministeriums von Südossetien.Gegenseitige Vorwürfe Seit Mitte voriger Woche vergeht kein Tag mehr, an dem nicht über neue Explosionen im Grenzgebiet zwischen Südossetien und dem georgischen Kernland berichtet wird. Georgien bestreitet, auf südossetisches Territorium zu schießen. Das russische Verteidigungsministerium drohte, bei „weiteren Provokationen“ mit „allen Mitteln“ zu reagieren. Vertreter der EU-Beobachter-Mission, die auf der georgischen Seite an der Grenze zu Südossetien patrouilliert, wollten die Vorwürfe, Südossetien sei von georgischer Seite beschossen worden, nicht bestätigen. Doch was wirklich im Grenzbereich passiert, können auch die EU-Beobachter nicht vollständig erfassen, denn die Regierung in Zchinwali verweigert ihnen den Zugang zu der abtrünnigen georgischen Provinz, die nach dem Krieg im August 2008 von Russland und Nicaragua als Staat anerkannt wurde.
Zwei Hitzköpfe
Die Situation um Südossetien kann leicht wieder außer Kontrolle geraten. Denn in der Region stehen sich zwei Hitzköpfe gegenüber. Der georgische Präsident Michail Saakaschwili hat den Versuch vom letzten August, das abtrünnige Südossetien mit militärischer Gewalt in den georgischen Staat zurückzuholen, bisher nicht als Fehler kritisiert, wohl aber die georgische Opposition. Auf der anderen Seite erhebt der Präsident von Südossetien, Eduard Kokojty, neuerdings Territorialansprüche auf die zum georgischen Kernland gehörende Truso-Schlucht.Doch auch im Kreml gebe es Kräfte, die einen Krieg führen wollten, meint der Chefredakteur des kremlkritischen „Radio Echo Moskwy“, Alexej Benediktow, ohne Namen zu nennen. Das Ziel sei, den georgischen Präsidenten Saakaschwili zu stürzen. Russlands Antwort Am 8. August vor einem Jahr rückten russische Truppen mit Panzern nach Zchinwali, die Hauptstadt Südossetiens, ein. Der russische Präsident Dmitrij Medwedew erklärte damals, der Vor-marsch sei die Antwort für die Beschießung von Zchinwali durch georgische Truppen in der Nacht zuvor. Dabei waren russische Friedenssoldaten verletzt worden. Bei den Kämpfen um Zchinwali starben 160 Menschen. Die russischen Truppen rückten dann bis auf 40 Kilometer auf die georgische Hauptstadt Tiflis vor, zogen sich dann aber wieder zurück. In Südossetien sind jedoch noch mehrere Tausend russische Soldaten stationiert.
Der stellvertretende Leiter der EU-Beobachter-Mission in Georgien, der französische General Gilles Janvier, rief angesichts der „sensiblen Zeit“ vor dem Jahrestag des russisch-georgischen Krieges beide Seiten zur Zurückhaltung auf. Die 27 EU-Außenminister hatten das Mandat der EU-Beobachter in Georgien vor Kurzem um ein Jahr verlängert. Nach Medienberichten ist geplant, in die EU-Beobachter-Mission ab September amerikanische Militärexperten aufzunehmen.
Saakaschwili kann sich der Unterstützung der USA sicher sein, wenn sie auch nicht mehr so uneingeschränkt ist, wie zu Zeiten von George W. Bush. In einer Rede vor dem georgischen Parlament versicherte US-Vizepräsident Joe Biden vor Kurzem, die Erneuerung der Beziehungen zu Russland werde nicht auf Kosten Georgiens gehen. Georgien werde weiter finanziell unterstützt und die georgische Armee weiter modernisiert.
Biden erklärte jedoch auch, es gebe „keinen militärischen Weg der Reintegration“ der abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien. Nur ein „friedliches und wohlhabendes Georgien“ habe die Chance, seine territoriale Integrität wiederherzustellen.
"Salzburger Nachrichten"