Der Kreml schwenkt auf Grün um
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Völlig überraschend wird nach Protesten eine Autobahntrasse verlegt.
Die Russen waren schon etwas verwundert, was sie da am Donnerstagabend im Fernsehen sahen. Präsident Dmitri Medwedjew hatte in seinem Video-Blog einen Baustopp für die neue Autobahn Moskau-St. Petersburg angeordnet. Jewgenia Tschirikowa, die Leiterin der Bürgerinitiative, die seit drei Jahren gegen den Autobahnbau durch den Chimki-Wald kämpft, erklärte, die Entscheidung komme für sie „völlig überraschend“, obwohl sie „sehr lange darauf gewartet“ habe.
Jewgeni Schwarz, einer der Leiter der russischen Sektion der Umweltorganisation WWF, gab sich zurückhaltend. Er erklärte, an einen Erfolg glaube er erst, wenn die Autobahn auf einer anderen Strecke gebaut wird und die beiden Antifa-Aktivisten, Maksim Solopow und Aleksej Gaskarow, die im Juli gegen den Bau protestiert hatten, freigelassen werden.
Medwedjew reagierte mit dem Baustopp offensichtlich auf die zunehmenden Proteste. Am vergangenen Sonntag hatten sich in Moskau 2000 Demonstranten zu einer Kundgebung auf dem Puschkin-Platz versammelt. Das Moskowski Komsomolez lästerte, der Kreml gehe jetzt den Weg einer „grünen Revolution“ um eine „orangene Revolution“ zu verhindern.
Aktivist im Rollstuhl
In seinem Video-Blog spricht Medwedjew in blütenweißem Hemd vor grünen Sträuchern. Zu der Autobahn-Frage gäbe es eine „erhöhte öffentliche Resonanz“, er habe deshalb eine erneute „fachliche und öffentliche Prüfung“ des Projekts angeordnet. Medwedjew erwähnte ausdrücklich auch die Kritik von „Oppositionsparteien“. Premier Putin, von Medwedjew vor Fakten gestellt, vermied jeden positiven Bezug auf die Opposition und schlug seinen gewohnt belehrenden Ton an. „Leider sehen wir, dass die ökologische Problematik manchmal im Konkurrenzkampf benutzt wird.“ Das habe man schon bei dem Widerstand gegen die OstseePipeline gesehen.
Im Chimki-Wald wurde bereits eine 7,5 Kilometer lange Schneise geschlagen. Auf 60Hektar sind alle Bäume gefällt. Nun hat man sich offenbar auf eine alternative Streckenführung geeinigt.
Einer kann sich über den Erfolg der Umweltschützer jedoch nur noch im Rollstuhl freuen: Der Journalist Michail Beketow, der die Bewegung gegen die Rodungen im Chimki-Wald leitete, bis ihn Unbekannte im November 2008 halbtot schlugen. Beketow mussten ein Bein und drei Finger amputiert werden. Der Journalist kann noch Schach spielen aber nicht mehr sprechen. Beketow gehört zu den wenig bekannten Helden Russlands. Im staatlichen Fernsehen werden sie nicht erwähnt.
"Sächsische Zeitung"