Der russische Riese wankt
Kapitalkrise und Ölpreisabfall schmälern Moskaus Machtansprüche.
ULRICH HEYDEN MOSKAU (SN, n-ost). Ein ungewohntes Bild in einer Filiale der staatlichen Sperbank, Russlands größtem Finanzinstitut, im Westen Moskaus: Wo sich sonst lange Schlangen vor den Schaltern bilden, ist es jetzt fast leer. Russlands Banken haben die Bedingungenfür die Kreditvergabe verschärft. Wegen akuten Geldmangels weigern sich Privatbanken bereits, Sparguthaben vorzeitig zurückzuzahlen. Die Bevölkerung ist verunsichert. Es gibt Gerüchte über Entlassungen und Kurzarbeit. Für Unruhe sorgt der schwächer werdende Rubel. Seit Juli ist der Wechselkurs von 23 auf 27 Rubel pro US-Dollar gestiegen.
Mit der Finanzkrise, die auch auf Russland voll durchgeschlagen habe, gehöre das Geschäftsmodell der jüngsten Jahre jetzt der Vergangenheit an, schreibt die Wirtschaftszeitung „Wedomosti". Große Unternehmen nahmen unaufhörlichKredite auf, gaben als Sicherheit gegenüber den Banken ihre Aktienpakete an, die im Wert unaufhörlich stiegen, und nahmen mit dem neuen Geld wieder neue Kredite auf. Nun kommt der Katzenjammer: Die Unternehmen müssen Kredite abbezahlen. Die Regierung hat den Unternehmen und Banken Finanzhilfevon 171 Mrd. Euro in Aussicht gestellt. Diese Summe entspricht fast dem russischen Haushalt.
Völlig uneigennützig ist die Hilfe nicht. Denn gleichzeitig versucht der Kreml, das Feld von „Oligarchen“zu reinigen, die in den wilden Jahren unter Boris Jelzin großgeworden sind. Fünf in Not geratene Banken – Globex, Svyas Bank, KIT Finance, Sobinbank und die Russian Capital Bank – wechselten bereits den Besitzer. Der Kreml nützt die Krise auch für eine Neuorientierungbei der Energiepolitik. Vizepremier Igor Setschin kündigte eine aktive Ölpreis-Politik an: Man erwäge die Möglichkeit,„einige Erdölquellen zu versiegeln und als Reserve zu nützen, um noch effizienter auf dem Preismarkt zu arbeiten“.
Russlands Haushalt hängt großteils von den Einnahmenaus dem Öl- und Gasgeschäft ab. Doch seit Juli ist der Ölpreis
von 147 auf 70 Dollar gefallen. Bei einem Ölpreis unter 70 Dollar gerate der russische Haushalt, der seit vier Jahren im Plus ist, ins Minus, urteilen Experten. Noch hat Russland finanzpolitischen Spielraum. Mit Reserven von 515 Mrd. US-Dollar liegt das Land weltweit auf Platz 3. Die Mittel reichen laut Finanzminister Aleksej Kudrinfür zwei Krisen-Jahre. Diese Prognose geht jedoch von einem ausgeglichenen Haushalt aus.
"Salzburger Nachrichten"