Der verbissene Kampf der Julia Timoschenko, 15.08.12
Von SZ-Mitarbeiter Ulrich Heyden
Moskau. An diesem Sonntag sitzt Julia Timoschenko nun ein Jahr in Haft. Die ehemalige Ikone der orangenen Revolution empfängt im Krankenhaus Gäste, Politiker aus dem Ausland und kämpft trotz ihres Bandscheibenvorfalls verbissen gegen die ukrainische Willkür-Justiz.
Nicht nur Beobachter aus dem Westen, auch große Teile der ukrainischen Bevölkerung halten die Strafverfahren gegen Timoschenko für politisch motiviert. Offenbar rächt sich der Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, an der Volksheldin, die den Wahlfälscher Janukowitsch 2004 aus dem Amt jagte.
Die juristische Verfolgung von Julia Timoschenko hat allerdings auch viel mit den Kämpfen verschiedener ukrainischer Oligarchen-Clans zu tun. Im Oktober 2011 wurde Timoschenko wegen eines für die Ukraine unvorteilhaften Gas-Vertrag zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Im April 2012 begann ein zweiter Prozess, wegen ihrer Tätigkeit als Chefin des Gas-Unternehmens Vereinigte Energie-Systeme in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. In dem Verfahren geht es um den Verdacht der Veruntreuung von 295 Millionen Euro.
In einem Gespräch mit ausländischen Korrespondenten betonte Präsident Viktor Janukowitsch, gegen Timoschenko werde auch wegen des Mordes an dem Geschäftsmann Jewgeni Schtscherban ermittelt, der 1996 verübt wurde. Nachdem sich die Führungsfiguren der orangenen Revolution zerstritten hatten, wurde Janukowitsch 2010 zum Präsidenten der Ukraine gewählt.
Der neue Präsident kopiert den Regierungs-Stil von Wladimir Putin, indem er sich als Garant sozialer Leistungen präsentiert. Doch durch die Erhöhung des Rentenalters für Frauen, die Erhöhung der Gaspreise und die Einschränkung der Pressefreiheit ist die Popularität von Janukowitsch gesunken.
Dass beide Verfahren gegen die inhaftierte Timoschenko etwas mit dem Gas-Geschäft zu tun haben, ist kein Zufall. Der Kampf um den Markt für den Verkauf und die Weiterleitung von Gas war zwischen den Oligarchen-Clans in der Ukraine immer hart umkämpft.
Kiew praktiziert eine Schaukelpolitik zwischen Brüssel und Moskau, aber verprellt zurzeit beide Seiten. Die Europäische Union fordert Rechtsstaatlichkeit, und Moskau will nicht zulassen, dass der Gas-Vertrag von 2009 im Nachhinein angezweifelt wird.
Der Kreml sieht den Entwicklungen in der Ukraine scheinbar gelassen entgegen. Die Ostsee-Pipeline lässt die Bedeutung der Ukraine als Transitland für russisches Gas nach Europa schrumpfen. Russland hofft, dass die ukrainische Regierung irgendwann der Zoll-Union mit Russland, Weißrussland und Kasachstan zustimmt, denn auf den östlichen Markt kann die Ukraine nicht verzichten.
Die Lage von Julia Timoschenko scheint fast aussichtslos. Auf einem Kongress von mehreren Oppositionsparteien wurde sie jetzt als Spitzenkandidatin für die Parlamentswahlen im Oktober nominiert. Da jedoch in der Ukraine Häftlinge nicht kandidieren dürfen, hat die Nominierung nur symbolischen Wert.
Wenn es Präsident Janukowitsch nicht schafft, die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise abzudämpfen, hätte die ukrainische Opposition bei den Parlamentswahlen im Oktober Chancen. Für Julia Timoschenko gehen die Massen aber heute nicht mehr auf die Straße.
veröffentlicht in: Saarbrücker Zeitung