Hoffnung auf Tauwetter
USA und Russland verzichten auf wechselseitige Drohungen
Von Ulrich Heyden
Der Amtsantritt von Obama könnte ein Tauwetter in den russisch-amerikanischen Beziehungen einleiten. Gestern erklärte ein Vertreter des russischen Generalstabs, man werde nun doch nicht wie geplant Kurzstrecken-Raketen vom Typ Iskander in der Ostsee-Exklave Kaliningrad aufstellen. Der Grund, so der Vertreter des Generalstabs: In Washington werde der Aufbau des Raketenabwehrschirms „nicht forciert“.
Am 5. November, einen Tag nach der Wahl von Obama, hatte der russische Präsident Dmitri Medwedew die Aufstellung von Iskander-Raketen angekündigt. Allerdings hatte der russische Präsident schon damals erklärt, man werde von einer Stationierung der Raketen absehen, wenn die USA auf ihren Abwehrschild in Polen verzichten.
Der neue US-Präsident hatte auf die Drohung aus dem Kreml nicht reagiert. Medwedew wollte Obama offenbar gleich zu Beginn auf Herz und Nieren prüfen. Die Prüfung hat nun offenbar ergeben, dass es heute mehr Grund für Diplomatie als für Drohgebärden gibt. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg erklärte Putin, man sei „zurückhaltend optimistisch“, denn offenbar habe man „in der Umgebung von Herrn Obama“ mit dem Raketenabwehrschirm „keine Eile“.
Der Grund für das Tauwetter? Offenbar nehmen Moskau und Washington gern Abschied von gegenseitigen Drohgebärden, denn wegen der Finanzkrise steht beiden das Wasser bis zum Hals. Zbigniew Brzezinski, der sich mit seinen Eindämmungs-Konzepten gegen Russland einen Namen machte und ein wichtiger Berater von Bush war, äußerte öffentlich Zweifel, ob der US-Kongress angesichts der Finanzkrise „dieses aufwendige Projekt“ des Raketen-Abwehr-Schirms finanzieren könne. Kaum gesagt, berichteten Moskauer Medien, Russland könne den Amerikanern einen Transport-Korridor für Güter nach Afghanistan öffnen. Moskau hält noch mehr Lock-Angebote bereit. In dem Interview erinnerte Putin an den alten russischen Vorschlag, gemeinsam mit den USA und Europa einen Raketenabwehrschirm zu entwickeln.
Ist die Finanzkrise also der Auslöser für einen Umbau des internationalen Sicherheitssystems? Einiges spricht für diese Interpretation. Was nützt es Russland, wenn man nach außen hin die Zähne bleckt, aber im Land soziale Unruhen ausbrechen, weil Sozialprogramme gestrichen werden und die Zahl der Arbeitslosen steigt? Putin hatte schon früher betont, dass Russland auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen ist. Das gilt angesichts der Finanzkrise umso mehr.
"Saarbrücker Zeitung"