5. October 2010

„Jeder braucht seinen Chodorkowski“

Von UIlrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau

In bitterem Ton rechnet Moskaus geschasster Bürgermeister Juri Luschkow mit dem Kreml ab.

Gleich 12 Seiten machte die Redaktion des kleinen liberalen Wochenmagazins New Times für das Exklusivinterview mit dem geschassten Bürgermeister Juri Luschkow frei. In dem Kreml-kritsichen Blatt durfte der Ex-Bürgermeister die Gründe für seine Entlassung und seine Pläne fürdie Zukunft darlegen. Luschkow war am vergangenen Dienstag von Präsident Dmitri Medwedjew wegen „Vertrauensverlust“ entlassen worden.
Nach Meinung von Luschkow hat seine Entlassung nichts mit den Milliardengeschäften seiner Ehefrau, der Bauunternehmerin Jelena Baturina, zu tun. Er sei abgesetzt worden, weil die Wahlen nahen. 2011 wird die Duma gewählt, 2012 der Präsident. „Moskau soll so wählen, wie es die oberste Führung will.“ Der Kreml brauche als Bürgermeister einen, der sich „unterordnet“.

Trotz möglicher Strafverfolgung wolle er sich nicht ins Ausland absetzen, erklärte der Ex-Bürgermeister. Luschkow, der das politische System in Russland nie kritisiert hat, sieht nun plötzlich erhebliche Demokratiedefizite. Seine Absetzung stehe in der Tradition der Stalinschen Säuberungen von 1937, behauptet der 74-Jährige forsch und bestreitet, dass die Demonstrationsverbote gegen die liberale Opposition in Moskau auf seinen Befehl zurückgingen. Luschkow will nun eine „politische Bewegung“ gründen, die sich aber dafür einsetzen werde, dass die von Putin 2004 abgeschaffte Direktwahl der Gouverneure wieder eingeführt wird.

Auf der Frage, „Sie können sich dort wieder finden, wo sich jetzt Chodorkowski befindet?“, meinte Luschkow trotzig: „Ich denke, jeder braucht seinen Chodorkowski.“

"Sächsische Zeitung"
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