31. December 2013

Kommt jetzt eine neue Terrorwelle?

Kommentar zu "Terroranschläge/Russland"

Regensburg (ots) - von Ulrich Heyden, MZ

Kommt in Russland jetzt eine neue Terrorwelle? Der selbst ernannte "Emir des Kaukasus" und angebliche Führer der bewaffneten islamistischen Gruppen, der Tschetschene Doku Umarow, rief bereits im Juli 2013 in einer Videobotschaft auf, die Spiele "mit allen Mitteln, die Allah erlaubt", zu verhindern. Die Winterspiele selbst sind nicht gefährdet, denn die Region Sotschi ist mit mehreren Sicherheitskordons umgeben. Aber Anschläge treffen friedliche Russen jetzt an Orten, die sich nur schwer gegen Terroristen abschirmen lassen.

Alles, was der Kreml jetzt bräuchte, wäre Ruhe im Land. Russland will sich von seiner humanen, sportlichen Seite zeigen. Die Milliarden Euro, die in den Bau der Sportanlagen, Eisenbahnlinien und neuen Straßen in Sotschi investiert wurden, sollen sich mindestens in einem Image-Gewinn für das Land auszahlen. Russlands Präsident Wladimir Putin will die Welt in Sotschi nicht nur mit der Kombination von Meer, Palmen und schneebedeckten Bergen beeindrucken. Er will auch ein Signal setzen, dass Russland sich als die mächtigste Macht im Kaukasus sieht. Die Nato, in welche der georgische Präsident Michail Saakaschwili sein Land möglichst schnell führen wollte, möchte der russische Präsident in der an Erdöl und strategischen Pipelines reichen Region nicht sehen.

Doch gegen den islamistischen Untergrund im Nordkaukasus scheinen selbst die kampferfahrene russische Armee und die inzwischen modern ausgerüsteten Spezialeinheiten machtlos. Seit 1998 gewann in der Region unter dem Einfluss von Söldnern aus Saudi-Arabien und Jordanien der Wahabismus an Einfluss. Seit dem Ende des zweiten Tschetschenienkrieges 2003 entwickelten sich in den muslimisch geprägten Teilrepubliken Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien militante Gruppen - sogenannte Dschamate, die den Nordkaukasus von Russland lösen und in der Region einen Gottesstaat errichten wollen.

Seit dem Ende des Tschetschenienkrieges köchelt im Nordkaukasus ein Bürgerkrieg auf kleiner Flamme. Der islamistische Untergrund macht mit immer neuen Terror-Aktionen gegen örtliche Minister, Staatsanwälte, Vertreter der Sicherheitsstrukturen, Vertreter der Kreml-nahen Partei Einiges Russland und angeblich Moskau-hörige Muftis von sich reden. Die russischen Spezialeinheiten reagieren mit brutalen Säuberungsaktionen, bei denen aller paar Monate, wenn nicht Wochen, die Stadt-Wohnungen oder Wald-Verstecke von Terroristen gestürmt werden.

Die "Lesniki", wie man die bewaffneten islamistischen Gruppen in den Wäldern nennt, bekommen trotz der zahlreichen "Säuberungsaktionen" immer neuen Nachschub von jungen Männern, die teils aus religiöser Überzeugung, teils wegen des Geldes, das sie in den Kampfgruppen verdienen können, bereit sind, das zivile Leben in den Städten aufzugeben. Für die Verhaftung eines verdächtigten jungen Mannes in Dagestan reicht es oft schon aus, dass der Festgenommene den Backenbart der Salafisten trägt. Bei Verhören wird oft Folter angewandt, wie die Rechtsschutzorganisation "Mütter von Dagestan" berichtet. Die Salafisten, die Strömung des "reinen Islam" gewinnt im Nordkaukasus immer mehr Anhänger. Vor allem in Dagestan kontrollieren sie bereits zahlreiche Moscheen. Außerdem verfügen sie über eigene Schulen und Kindergärten.

Der Kreml muss sich die Frage stellen, ob er den Kaukasus nur beherrschen oder ob er auch die Menschen, die dort leben, als Staatsbürger gewinnen will. Dazu reicht es nicht, den Wiederaufbau von Tschetschenien mit Milliarden Rubel zu unterstützen. Der Kreml muss öffentlich für Dialog und Toleranz mit den Menschen im Kaukasus eintreten und den anti-kaukasischen Rassismus bekämpfen.

veröffentlicht in: Mittelbayerische Zeitung

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