Krebskranke Kinder warten auf Spenden
(Ulrich Heyden). Moskau.Es war ein gelungener Abend, am 10. Dezember 2010 im Eissportpalast von St. Petersburg. Es gab gut zu Essen und ein interessantes Musik-Programm. Zum Schluss setzte sich sogar Wladimir Putin ans Klavier und klimperte mit zwei Fingern das Sowjet-Lied, "Was Heimat bedeutet".
Doch das war noch nicht alles. Der Ministerpräsident sang in Begleitung einer Jazz-Band auf Englisch den Fats-Domino-Hit Blueberry Hills, wobei er, fast genauso, wie es Show-Größen tun, bei bestimmten Wörtern mit einem Arm ins Publikum zeigte.
Im Saal saßen an runden Tischen die Gouverneurin von St. Petersburg, Walentina Matwijenko, hohe Kreml-Beamte und extra eingeflogen, mehrere internationale Show-Größen, darunter Mickey Rourke, Alain Delon, Gérard Depardieu, Sharon Stone, Kevin Kostner, Monica Belucci und Vincent Cassel. Wer die Stars nach St. Petersburg geholt hat, ist bis heute unklar. War es Putin selbst oder die bisher unbekannte Stiftung "Föderation", die als Veranstalter auftrat, aber in Russland nicht als Wohltätigkeitsorganisation registriert ist und bis vor kurzem noch nicht mal ein eigenes Konto hatte? Die Frage ist nicht ohne Bedeutung, denn nun, drei Monate nach dem Konzert stellt sich heraus, dass weder bei den russischen Krankenhäusern noch bei den krebskranken russischen Kindern Spendengelder oder medizinische Ausrüstung angekommen sind.
Den Stein ins Rollen brachte ein Offener Brief von Olga Kusnezowa, der Mutter der krebskranken Lisa. Die 13-Jährige liegt im St. Petersburger Stadtkrankenhaus Nummer 31. Lisa hat zwar Besuch von Hollywood-Stars bekommen aber bisher keine Spendengelder erhalten. "Wir haben nichts erhalten außer den Seifenblasen von Mickey Rourke und den Birnen von Alain Delon, als sie das Krankenhaus besuchten," erklärte die Mutter des Kindes in einem Interview.
Der Offene Brief der Mutter sorgte in Moskau für erheblichen Wirbel. Seit Tagen melden Kreml-kritische Zeitungen nun immer neue Details über das Ausbleiben der Hilfe. Nur das Krankenhaus Nummer 1 in St. Petersburg habe eine Spende in Höhe von 50 000 Euro bekommen. Doch das sei eine persönliche Spende des französischen Schauspielers Gérard Depardieu gewesen, berichtete die Zeitung Kommersant.
Das Thema Krankenhaus und Wohltätigkeit gehört in Russland zu den sensibelsten Themen überhaupt. Alle Russen sind zwar pflichtversichert und eigentlich müsste jeder Bürger deshalb im Krankenhaus kostenlos behandelt werden, doch die Realität sieht anders aus. Wer im Krankenhaus behandelt wird, macht den Ärzten ein Geldgeschenk. Auf Russisch heißt das, "seine Dankbarkeit zeigen". Außerdem kommt es immer wieder vor, dass bei kranken Kindern die Mütter auf eigene Kosten für eine bestimmte Zeit ins Krankenhaus übersiedeln, um den Krankenschwestern bei der Versorgung des Kindes zu helfen.
Wenn sich also jetzt hohe Beamte und Show-Größen der Wohltätigkeit rühmen, dann trifft das bei den Russen auf einen empfindlichen Nerv, zumindest aber auf Skepsis. Nach Meinung vieler Russen stehen zwischen Spender und Notleidendem immer eine ganze Schar von obskuren "Vermittlern", so dass bei den Notleidenden oft gar nichts mehr ankommt.
Die Sprecherin der Stiftung "Föderation", Kristina Snikers, erklärte, auf dem Wohltätigkeits-Konzert in St. Petersburg sei gar kein Geld gesammelt worden. Es habe auch keine Eintrittsgelder gegeben. Russische Medien berichteten dagegen von Eintrittsgeldern in Höhe von 5000 bis 25 000 Euro. Putins Pressesprecher Dmitri Peskow erklärte, mit dem Konzert habe man die Spendenbereitschaft der Gäste stimulieren wollen. Warum, außer von Gérard Depardieu, bisher kein Geld geflossen ist, konnte Putins Pressesprecher allerdings auch nicht sagen.
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veröffentlicht in: Nordkurier