Kreml-Chef distanziert sich von Stalin
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Dmitri Medwedjew hat vor einer Verfälschung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs gewarnt. Vor dem 65. Tag des Sieges, der am Sonntag in Russland begangen wird, veröffentlichte die „Iswestija“ am Freitag ein langes Interview mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew, in dem dieser zur Rolle von Stalin und zu den von Russland beklagten Geschichtsfälschungen Stellung nahm.
Von bestimmten Politikern, so Medwedjew, würden heute aus eigennützigen Zielen „pseudowissenschaftliche Interpretationen“ des Zweiten Weltkrieges in Umlauf gebracht. Damit werde die Rolle der Roten Armee während des Krieges infrage gestellt. In vielen Ländern würden heute Faschisten gar rehabilitiert, beklagte der russische Präsident. Damit spielte Medwedjew auf die baltischen Staaten an, wo SS-Verbände rehabilitiert wurden.
27 Millionen Tote
Die entscheidende Rolle der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg werde in der internationalen Debatte teilweise verfälscht, befand Medwedjew. 27 Millionen Bürger der Sowjetunion seien im Zweiten Weltkrieg gestorben. Ohne diese Opfer würde es das „blühende und reiche Europa“ heute nicht geben. Vor der Militärparade am Sonntag auf dem Roten Platz, zu der auch Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet wird, warnte Medwedjew vor einer Idealisierung der Sowjetunion. „Die Sowjetunion war ein sehr kompliziertes Gebilde, und man kann das Regime nicht anders als totalitär nennen“, sagte der Kremlchef.
Angesprochen auf die Rolle Stalins erklärte Medwedjew, den Krieg habe „unser Volk und nicht Stalin“ gewonnen. Stalin habe „massenweise Verbrechen gegen das eigene Volk“ begangen. Eine Rückkehr der Stalin-Symbole und Plakate werde es in Russland „niemals“ geben, sagte Medwedjew. Auch einen Stalin-Kult – wie vielfach behauptet – gäbe es in Russland heute nicht. Meinungsumfragen zufolge haben 37 Prozent der Russen gegenüber Stalin noch positive Gefühle.
"Sächsische Zeitung"